Er hatte zwei Seiten: Sultan Murad IV. liebte die Kunst und den Krieg. Dass er den Kaffeekonsum im Osmanischen Reich unter Androhung der Todesstrafe verbot, hatte politische Gründe. Weitgehend unbekannte historische Tatsachen liefert die COMPACT-Sonderausgabe „Geheime Geschichte“. Lesen Sie, was der Mainstream verschweigt. Hier mehr erfahren.
Konstantinopel im 17. Jahrhundert: Die Straßen in der pulsierenden Hauptstadt des Osmanischen Reiches sind voller Menschen, auch jetzt noch, da sich die Abenddämmerung über die Metropole legt. Doch was ist das? Eine verhüllte Gestalt schleicht wie ein Schatten durch die Gassen – ein Mann mit einem gewaltigen Breitschwert, das er unter seiner Kleidung versteckt hat.
Keiner erkennt ihn, denn er hat sich verkleidet. Es ist Sultan Murad IV., Herrscher des Türkenreiches. Aber warum ist er als einfacher Bürger getarnt unterwegs – und dann auch noch mit einer tödlichen Waffe?
Aufstand gegen den Sultan
Um das Rätsel zu lösen, muss man den Mann hinter der Maske verstehen: Sultan Murad IV., geboren 1612 in Konstantinopel (dem heutigen Istanbul) als Sohn von Ahmed I., bestieg 1623 als Elfjähriger den Thron, nachdem sein Onkel Mustafa I. wegen geistiger Umnachtung abgesetzt worden war.

Doch Murad war natürlich zu jung, um allein zu regieren – seine Mutter Kösem, eine der mächtigsten Frauen der osmanischen Geschichte, übernahm als Valide Sultan die Regentschaft. Sie zog im Harem die Fäden, während das Reich von Chaos erschüttert wurde. „Solche Turbulenzen sind typisch für das frühe 17. Jahrhundert. Am Hof bestimmten rivalisierende Netzwerke, wer den Thron bestieg“, sagt Markus Koller, Professor für osmanische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum.
Aufstände der Janitscharen und Spahis, der Eliteeinheiten der Hohen Pforte, erschütterten das Türkenreich. Die Soldaten, einst treue Wächter des Sultans, waren zu einem korrupten Haufen herabgesunken, der Privilegien forderte und Wesire lynchte. 1631 stürmten die Rebellen den Palast in Konstantinopel und drohten, Murad abzusetzen, wenn er ihnen nicht 18 seiner Berater auslieferte. Es war eine Zeit der Unsicherheit, in der das Osmanische Reich – einst ein Koloss von Buda im heutigen Ungarn bis zum Roten Meer, mit Vasallen in Nordafrika und dem Irak – von inneren Feinden zerfressen wurde.

Herrscher mit eiserner Faust
Doch Murad war inzwischen kein Kind mehr. Ab 1632, mit 20 Jahren, übernahm er die volle Macht und wandelte sich zum „Herrscher mit eiserner Faust“, wie die Encyclopedia of the Ottoman Empire ihn nennt. Doch der Regent hatte auch eine andere Seite: Begabt in Dichtkunst und Kalligrafie, liebte er die Jagd und stählte seinen Körper durch harte Übungen. Gnade war jedoch ein Fremdwort für ihn.
Er ließ Rivalen, darunter seine eigenen Brüder, hinrichten, um Thronanwärter auszuschalten – eine brutale Tradition, die venezianische Gesandte schockiert überlieferten. Militärisch glänzte er: 1635 vertrieb er die Safawiden aus Armenien und Aserbaidschan, 1638 eroberte er Bagdad von den Persern zurück, was ihn zum erfolgreichsten Kriegsherrn seit Süleyman dem Prächtigen machte.
Am Tag der Rückeroberung Bagdads sollen bis zu 30.000 persische Gegner hingerichtet worden sein, wenngleich Historiker Koller anmerkt: „Solche Zahlen sind allerdings mit Vorsicht zu genießen. Sie stammen aus unterschiedlichen Quellen, die gezielt ein Bild von Grausamkeit zeichnen wollten.“
Schätzungen gehen von Tausenden, vielleicht über 100.000 Exekutionen während seiner Herrschaft aus – selbst der höchste muslimische Würdenträger, der Shaykh al-Islam, fiel seinem Zorn zum Opfer – ein Novum in der osmanischen Geschichte.
Kaffee? Kopf ab!
Aber was hat das alles mit Kaffee zu tun? Das Heißgetränk war aus dem Jemen über Arabien ins Osmanische Reich gelangt war und wurde schon im 15. Jahrhundert zum beliebten Genussmittel unter den Türken. Im 16. Jahrhundert entstanden in Konstantinopel die ersten Kaffeehäuser, Kahvehane genannt. Sie wurden zu sozialen Begegnungsstätten: Bürger aller Stände trafen sich dort, um zu plaudern, Schach zu spielen, Geschichten auszutauschen oder – und das war der Knackpunkt – über Politik zu diskutieren.
Experte Steward Lee Allen, Autor des Buches „The Devil’s Cup: A History of the World According to Coffee“, schreibt über Murad:
„Er beobachtete, dass Leute, die Alkohol tranken, einfach betrunken wurden, sangen und fröhlich waren, während die Kaffeetrinker nüchtern blieben und gegen die Regierung intrigierten.“
In den Augen des Sultans wurden die Kaffeehäuser zu Brutstätten der Rebellion: Janitscharen und Spahis schmiedeten dort Pläne gegen die Hohe Pforte. Murads eigener Bruder Osman II. war 1622 im Zuge eines solchen Komplotts ermordet worden – die Verschwörer hatten sich in einem Kahvehane getroffen. Kein Wunder, dass der Herrscher misstrauisch wurde.
Murad trank selbst Kaffee und Wein
Zugleich brandmarkte die konservative Kadizadeli-Bewegung, angeführt von dem muslimischen Prediger wie Kadizade Mehmed Efendi, den Kaffee als Symbol des moralischen Verfalls: Er sei ein Rauschmittel wie Wein, verboten vom Koran. Koller merkt an: „Murad IV. stand diesen Predigern nahe und stand wahrscheinlich auch unter deren theologischem Einfluss.“
Ab 1633 schlug der Sultan zu: Er verbot nicht nur Tabak und Opium (ein Verbot von 1609 wurde erneuert), sondern schloss auch die Kaffeehäuser. Ausgangssperren wurden verhängt, und der Konsum von Kaffee, Wein oder Tabak in der Öffentlichkeit wurde zur Kapitalstrafe. Wurde jemand ertappt, wurde sofort enthauptet. Und Murad? Er patrouillierte inkognito durch die nächtlichen Gassen, oft mit seinem Henker im Schlepptau, führte aber auch gerne mal das Breitschwert persönlich.
Dabei trank Murad selbst Kaffee und Alkohol in seinem Palast! Tatsächlich verbot er den Konsum nicht pauschal, sondern nur öffentlich. In den eigenen vier Wänden durfte jeder Bürger des Osmanischen Reiches weiterhin diesen Genüssen frönen.
Am Suff verreckt
Die Nachfolger des Kopf-ab-Sultans milderten die Strafen: Beim ersten Verstoß gab’s Prügel, beim zweiten wurde man in einen Ledersack genäht und ins Meer geworfen. Murad selbst starb 1640 mit 27 Jahren an Leberzirrhose – ironischerweise durch übermäßigen Alkoholkonsum. Koller resümiert über den Sultan:
„Ob er grausam war oder welchen Lebensstil er führte, hängt stark davon ab, welches Bild spätere Autoren zeichnen wollten. Fest steht, dass er versuchte, tiefgreifende Reformen in einer Zeit umzusetzen, die von Umbrüchen gekennzeichnet war.“
Heute, da Kaffeehäuser nicht nur in Istanbul zum Alltag gehören, wirkt die Episode um Murad IV. wie eine surreale Geschichte. Doch sie ist wahr – wie so vieles, das sich einem nur erschließt, wenn man sich mit „der Geschichte hinter der Geschichte“ befasst.
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