Die Ergebnisse der Bundestagswahl haben die Kluft zwischen Sachsen und dem Rest der Republik einmal mehr verdeutlicht – und der Idee eines «Säxits» neuen Auftrieb gegeben. Mehr über die widerständigen Sachsen lesen Sie in dem Standardwerk Die deutschen Stämme des Anthropologen und Historikers Andreas Vonderach. Hier mehr erfahren.

    _ von Bert Wawrzinek

    Spätestens seit dem katalanischen Referendum von 2019, bei dem 90 Prozent aller Teilnehmer für eine Trennung von Spanien votierten, hat die Volksbewegung des «Independentismo» neuen Schwung bekommen. Während die Zentralregierung in Madrid damals mit Polizeigewalt und Drohungen reagierte, befürchtete Brüssel gleich einen Präzedenzfall für weitere Separationsbewegungen nicht nur in Schottland, Nordirland oder Südtirol. Ebenso könnten sich Basken, Korsen und Flamen in ihrem Eigensinn ermutigt fühlen.

    In sechs Bundesländern wünscht schon jeder Fünfte, dass das eigene Bundesland die BRD verlässt.

    Auch hierzulande entbrannte die Diskussion über Katalonien. Einige Beobachter sahen einen «Triumph der Volkssouveränität» über die «Supranationalität des Westens», andere wittern dunkle islamistische und marxistische Umtriebe, die den spanischen Nationalstaat zu destabilisieren suchen. Auch George Soros wurde als Finanzier der Unabhängigkeitsbewegung genannt. Ganz sicher aber haben wir es mit einer Entwicklung zu tun, die auch bei uns eine inspirierende Wirkung auslösen könnte – gerade nach der Bundestagswahl am Sonntag.

    Freistaat Bayern

    Seit Urgedenken kämpft die Bayernpartei (BP) für einen unabhängigen Staat. 1946 gegründet, zog sie drei Jahre später mit 17 Abgeordneten in den ersten Deutschen Bundestag ein. In ihrem Stammland holten die Traditionalisten damals 20,9 Prozent der Stimmen. Seither geht es bergab. Bei der Landtagswahl 2018 erhielt die Partei noch 1,7 Prozent und ist derzeit mit einigen Dutzend Abgeordneten in Kommunalparlamenten vertreten.

    Der Abbau etwa von Erz und Silber hat in Sachsen eine jahrhundertelange Tradition. Die Bergparaden zur Weihnachtszeit, hier 2013 in Chemnitz, sollen immaterielles Kulturerbe der Unesco werden. Foto: picture alliance / dpa

    Im Jahr 2009 kündigte die BP ein Volksbegehren an – Motto: «Freiheit für Bayern»: Bis 2020 sollte die weiß-blaue Eigenstaatlichkeit erreicht sein. Doch im Dezember 2016 wies das Bundesverfassungsgericht einen Kläger ab, der wegen «Nichtzulassung einer Volksabstimmung über den Austritt Bayerns aus der BRD» mit einer Verfassungsbeschwerde nach Karlsruhe gezogen war.

    «Für Sezessionsbestrebungen einzelner Länder ist unter dem Grundgesetz (…) kein Raum. Sie verstoßen gegen die verfassungsmäßige Ordnung», urteilten die Richter. Nicht anders argumentierte das spanische Verfassungsgericht, als es das katalonische Referendum für illegal erklärte.

    Die Bayernpartei argumentiert nun, dass in genannter Urteilsbegründung die von der Bundesrepublik Deutschland anerkannte KSZE-Akte von Helsinki unberücksichtigt geblieben sei. Die aber sehe ausdrücklich ein «Selbstbestimmungsrecht der Völker» vor, wonach ein Volk das Recht habe, frei über seine politische Verfassung, seine Staats- und Regierungsform zu entscheiden.

    Dass die gegenwärtig 13 Millionen Bayern ein eigenes Volk sind und Bayern ein Staat und keine Berliner Provinz, steht für die BP außer Frage und wird der politischen Debatte auch weiterhin belebende Impulse liefern.

    Doch die Sehnsucht nach mehr Eigenständigkeit beschränkt sich keineswegs auf die Bewohner des Bayernlandes. Auch anderswo wächst das Unbehagen, immer neuen Vorgaben aus Berlin und Brüssel hilflos ausgesetzt zu sein.

    Laut einer Umfrage des internationalen Meinungsforschungsinstituts YouGov wünscht sich in sechs deutschen Bundesländern schon jeder Fünfte, dass das eigene Bundesland die BRD verlässt. Nach Bayern, wo sogar jeder Dritte eine Unabhängigkeit befürwortet, folgen das Saarland und Thüringen mit 22 Prozent der Befragten. In Sachsen-Anhalt sind es noch 20, dazwischen liegen, mit 21 Prozent Zustimmung, Mecklenburg-Vorpommern – und der Freistaat Sachsen.

    Freistaat Sachsen

    Ein bisschen schrill klang das schon im Oktober 2015, jener Ruf nach einem «Säxit» anlässlich einer Pegida-Kundgebung in Dresden. Tatjana Festerling, damals noch Gallionsfigur der Islamkritiker, forderte unter tosendem Beifall, Sachsens Unabhängigkeit von Deutschland und der Europäischen Union mittels Volkentscheid herbeizuführen. Als Begründung nannte die Rednerin das aus ihrer Sicht gesetzwidrige Verhalten der Bundesregierung in der Asylfrage.

    Trutzburg der Sachsen: Die Festung Königstein südlich von Dresden, hier um 1756, wurde niemals militärisch eingenommen. Foto: Bernardo Bellotto, CC0, Wikimedia Commons

    Obgleich mehr rhetorische Provokation, wurde damit deutlich, dass die Sachsen, die 1989 mit dem Schlachtruf «Wir sind das Volk» Mauer und Diktatur zum Einsturz gebracht hatten, 26 Jahre später selbstbewusst genug waren, jene Mauer symbolisch zurückzufordern, um sich gegen eine als Bedrohung empfundene illegale Migration und deren Befürworter zu wappnen.

    Auch die radikale Linke, die Antifa, forderte damals den «Säxit» – freilich andersherum: Die widerspenstigen Sachsen müssten aus der multikulturell gedachten BRD herausgeworfen werden.

    Die Sachsen lassen sich den Schneid nicht abkaufen und bleiben eigensinnig.

    Seitdem vergeht kaum eine Woche, in der sich nicht ein Wust von Schmähungen in Politik und Medien über den Freistaat ergießt. Was zählen da schon ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum und der aktuelle Spitzenplatz im Ländervergleich der Bildungssysteme? Doch die Sachsen ließen sich den Schneid nicht abkaufen, blieben eigensinnig – und machten am vergangenen Sonntag ausgerechnet die AfD mit 24,6 Prozent zur stärksten politischen Kraft im Freistaat.

    Tradition contra Zentralismus

    Friedrich August III. im Jahre 1914. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Im Mai 1992 war in Dresden eine neue sächsische Landesverfassung beschlossen worden, welche in Artikel 5 ein «Volk des Freistaates Sachsen» benennt und dessen sorbischer Minderheit in Artikel 6 als «gleichberechtigtem Teil des Staatsvolkes» den Schutz von Identität, Sprache und Kultur garantiert. Niemand wird bezweifeln, dass die Sachsen – nicht weniger als ihre bayerischen Nachbarn – über eine unverwechselbare Eigenart verfügen, eine mehr als tausendjährige Geschichte und Kultur, deren Zeugnisse weltweit höchste Anerkennung finden.

    Aus einer umkämpften Grenzmark entstand durch Innovationskraft und Leistungswillen von Generationen die einst höchstindustrialisierte Region der Erde. Dem obersächsischen Kulturkreis entstammen Bach, Händel, Schumann, Wagner, Lessing, Novalis und Nietzsche, von hier aus ging der Protestantismus in die Welt.

    Um wieviel ärmer wäre die Bundesrepublik ohne die kulturelle Mitgift Sachsens, die Barockschöpfungen des Augusteischen Zeitalters, die unschätzbaren Kostbarkeiten in Schlössern, Burgen und Sammlungen, die Musikstätten in Leipzig und Dresden, das Meißner Porzellan?

    Nicht zuletzt bleibt die mitteldeutsche Erfolgsgeschichte untrennbar mit Sachsens vormaligem Königshaus, den Wettinern, verbunden. Über einen Zeitraum von mehr als 800 Jahren stellte die «erste Familie des Landes» (Claus Laske), eines der ältesten Fürstengeschlechter des Reiches, mit Markgrafen, Kurfürsten und Königen im Gebiet des heutigen Sachsens, in Teilen Thüringens und der Lausitz, die politischen Weichen. Demgegenüber macht der Zeitraum eingeschränkter staatlicher Souveränität – 1871 bis in unsere Tage – nur eine kurze Spanne aus.

    Unvergessen: Als im November 1918 die revolutionären Unruhen auf Dresden, Leipzig und Chemnitz übergriffen, untersagte der sächsische König Friedrich August III. die Niederschlagung der Aufstände mit Gewalt und verzichtete freiwillig auf den Thron. Bei seiner Abdankung soll er gesagt haben: «Nu, dann macht doch Euern Dreck alleene.» Als ihn nur zwei Jahre später wieder eine jubelnde Menschenmenge am Neustädter Bahnhof in Dresden empfing, konnte er sich die schelmische Bemerkung «Ihr seid mer ja scheene Demogradn!» nicht verkneifen.

    Man muss es nicht auf die Spitze treiben, aber die Idee mit dem Selbstbestimmungsrecht könnte vor dem Hintergrund dieser stolzen Vergangenheit auch sächsische Politiker ermuntern, den Sirenenklängen des Berliner Zentralismus selbstbewusst zu widerstehen. Das Sachsenvolk würde es zu honorieren wissen.

    _ Bert Wawrzinek wurde 1959 in Leipzig geboren und lebt heute im Stolpener Land. Im ersten Leben Rockmusiker, betreibt er seit über 25 Jahren ein Antiquariat im Dresdner Barockviertel. Fotoquelle Titelbild: sachsen-shirts.shop

    In seinem Buch Die deutschen Stämme geht der Anthropologe und Historiker Andreas Vonderach der Herkunft und Geschichte der Sachsen und anderer deutschen Stämme nach. Ein Standardwerk zum Werdegang unseres Volkes – basierend auf den aktuellsten Forschungsergebnissen. Hier bestellen oder auf das Banner unten klicken.

     

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