Dem umstrittenen Querfrontler Ernst Niekisch wurde jetzt eine bahnbrechende Biografie gewidmet. COMPACT-Online publiziert eine ausführliche Rezension des bahnbrechenden Werkes in zwei Teilen: heute der erste, der zweite folgt morgen. Sie können das besprochene Buch von Uwe Sauermann, „Ernst Niekisch – Widerstand gegen den Westen“, im COMPACT-Shop bestellen.

    _ von Klaus Kunze

    „Von der Parteien Hass und Gunst verzerrt“, schrieb Schiller über Wallenstein, „schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.“ Ernst Niekischs schillerndes Charakterbild schwankt auch, aber weil mal Linke, mal die Rechte ihn – peinlich berührt von dieser Verwandtschaft – von sich wegschieben. Die Wissenschaft dagegen wählt sich nur zu oft einzelne, zeitbedingte Äußerungen des Nationalrevolutionärs, um ihn in die aus jeweiliger Sicht passende Schublade zu stecken und die eigene Ansicht damit zu untermauern.

    Seit Uwe Sauermanns Werk über Niekischs Zeitschrift „Widerstand“ von 1926 bis zum Verbot 1934 sollten viele Kontroversen und Fehldeutungen beendet sein. Niekisch war unbedingter Nationalist und kein Sozialist im heutigen Sprachgebrauch. Die Bezeichnung Nationalbolschewist führt uns in die Irre, und Niekischs unbedingter Antifaschismus erst recht. Es ist Sauermanns wissenschaftliches Verdienst, mit terminologischen Missverständnissen aufzuräumen.

    Ernst Niekisch (1889–1967) gehörte zu den führenden Nationalrevolutionären der Weimarer Republik. Nach 1945 schloss er sich zunächst der SED an, siedelte jedoch 1963 nach West-Berlin über. Zuletzt unterstützte er den SDS. Foto: gdw-berlin.de

    Methodisch lehnt sich Sauermann an Armin Mohler und dessen Standardwerk über die Konservative Revolution an. Nur wenn man die vielfältigen tagespolitischen Ereignisse der Weimarer Zeit kennt, versteht man die auf sie bezogenen Drehungen und Wendungen der politischen und ideologischen Akteure. Gesichtspunkte und Argumente tauchen wie über Nacht auf, um vielleicht zwei Jahre später in den Hintergrund zu treten. Ernst Niekisch tritt als Akteur in die Geschichte ein in Reaktion auf den Sturz des Kaiserreichs. Am 7. November 1918 hatte Kurt Eisner im München eine Räterepublik ausgerufen. Der sozialistische Revolutionär Ernst Niekisch gründete in Augsburg einen Arbeiter- und Soldatenrat und übernahm den Vorsitz. Er büßte es 1919 mit zwei Jahren Festungshaft und Entlassung aus dem Schuldienst.

    1924 arbeitete er am „Rundbrief“ des Hofgeismarer Kreises der Jungsozialisten mit. Dieser Kreis zerfiel 1925, als sich dort der marxistische Flügel durchsetzte. Marxist, weist Sauermann nach, war Niekisch nie. Die Weimarer Zeit brachte einen geistig brodelnden Hexenkessel wildester Theorien, Gruppierungen, Sektierer und Sonderlinge mit sich. Mit sicherer Hand führt Sauermann den Leser durch das Labyrinth geistiger Strömungen, die sich oft um prägende Literaten bildeten. Sie beargwöhnten und bekämpften einander, warben sich die Gefolgschaft ab, hassten und versöhnten sich. Gegen den Urwald kreativer Entwürfe jener Epoche nimmt sich das geistige Leben des heutigen Deutschland wie eine monotone Steppe aus.

    Es ist Sauermanns Leistung, die ideologischen Wendungen Niekischs vor dem Hintergrund jener Zeit transparent zu machen. Wer nur eine Schrift Niekischs von 1929 liest und danach eine von 1932, schließlich Publikationen nach 1945, wäre wohl ziemlich verwirrt. Sauermann hat den roten Faden gefunden, der über die Jahrzehnte und politischen Systeme hinweg Niekisch verstehbar macht: Es ist sein radikaler nationalistischer Etatismus.

    Niekisch hat es geschafft, seit 1918 bis zu seinem Tode 1967 mit allen fünf politischen Systemen auf Kriegsfuß zu stehen – einmal Revolutionär, immer Revolutionär! Wegen seiner strikt antifaschistischen Haltung verbrachte er die Jahre 1937 bis 1945 wiederum im Gefängnis. „Hitler, ein deutsches Verhängnis“ titelte er 1932 eine Schrift. Nach 1945 trat er in die SED ein, bis er auch hier 1955 resignierte und nach Westberlin zog.

    Der rote Faden

    Innerhalb jeder Ideologie gibt es unhinterfragbare Axiome. Diese ruhen wiederum auf prägenden emotionalen Bedürfnissen. In der Stunde traumatischer Erlebnisse wandeln sich Saulusse zu Paulussen, werden Fanatiker oder Propheten geboren und bleiben es ihr Lebtag. „Und ich beschloß, Politiker zu werden“ – nach diesem Ausspruch eines anderen Fanatikers hatte Ernst Niekisch nach der Kapitulation von 1918 gehandelt. Fast dreißig Jahre war er alt und hatte unauffällig gelebt. Die deutsche Niederlage und anschließende Not weckten in ihm den Homo politicus Niekisch.

    Sein gesamtes geistiges und politisches Wirken ist aus der deutschen Schwäche von 1918 erklärbar. Nur ein starker Staat, das war für Niekisch klar, vermochte Deutschland aus dem wirtschaftlichen und moralischen Elend zu führen. Während Marxisten die Arbeiterklasse für ausgebeutet hielten, sah Niekisch das ganze deutsche Volk als durch das Versailler Diktat und die Reparationen als ausgeplündert an.
    Dagegen setzte Niekisch auf einen unbedingten Etatismus: Ein starker, disziplinierender Machtstaat sollte die Nation aus der Knechtschaft zu neuer Größe führen. Er war bereit, „…für das höchste aller unserer Werte,“ nämlich die nationale Unabhängigkeit, „alles hinzugeben; ihr, wenn sie nicht anders zu erlangen wäre, auch unsere gegenwärtigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Ordnungen zum Opfer zu bringen.“

    Einen „Sozialismus“ benötigt Niekisch nicht als Selbstzweck, sondern als gesellschaftliches Gestaltungsprinzip, um der freien Willkür der Individuen größtmögliche Schranken zu setzen und sie quasi im Gleichschritt in eine Richtung zu lenken: einen mächtigen deutschen Staat. Auf die Arbeiterschaft setzte er lange, weil ihm das Bürgertum dazu viel zu schwach, dekadent und liberal war: Es hatte zu viel zu verlieren, um revolutionären Elan zu entfalten: „Deutscher Widerstand ist dort, wo man die Verantwortung dafür trägt, dass dem sozialrevolutionären Einsatz nicht die nationalrevolutionäre Hinterabsicht fehle, daß der Sturz der bürgerlichen Gesellschaft zugleich der Anbruch der Auferstehung Deutschlands sei.“

    Die bolschewistische Methode

    Prinzipien waren Niekisch gleichgültig, wenn sie nicht mit dem nationalen Interesse konform gingen. Je nach innen- und außenpolitischer Lage lobte Niekisch, was zu einem starken Staat führen konnte, oder verdammte, was ihn verhinderte. Niekisch war Revolutionär und Bolschewist insoweit, als er das Schwache und das Westliche rigoros beseitigen wollte und zu diesem Zwecke vor bolschewistischen Methoden nicht zurückschreckte. Der „Bolschewismus“ Niekischs war die taktische Methode seiner Strategie, das Endziel einer von einer spezifischen Idee erfüllten deutschen Staatlichkeit zu erreichen.

    Uwe Sauermann ist den literarischen Hinterlassenschaften akribisch und kritisch nachgegangen: Niekisch war nie besonders völkisch inspiriert. Er war ja politisch aus der Münchener Räterepublik hervorgegangen, die mit originär bolschewistischen Methoden eine zeitweise Diktatur der Arbeiter- und Soldatenräte erzwungen hatte. Als sein Blick sich von der zu befreienden Arbeiterklasse auf sein ganzes zu befreiendes Volk weitete, blieb er der in seinen Methoden nicht wählerische „Bolschewist“. Das Etikett blieb hängen. Er trug es zeitweilig mit Stolz. (Fortsetzung folgt morgen)

    Uwe Sauermann, „Ernst Niekisch – Widerstand gegen den Westen“, im COMPACT-Shop bestellen

    Ernst Niekisch (1889 – 1967) war ein politischer Denker und faszinierender Autor, der sich von der extremen Linken zum Visionär des deutschen Nationalismus entwickelte. Dennoch wurde er 1939 vom Volksgerichtshof zu einer lebenslangen Zuchthausstrafe verurteilt. Warum dieser Nationalist und zugleich Antifaschist mit Hitlers Nationalsozialismus kollidieren musste und heute noch Interesse verdient, geht aus diesem Buch hervor. Er war ein „unbedingter“ Nationalist, der trotz gänzlich veränderter Umstände heutigen „Nationalkonservativen“ als Test für die Ernsthaftigkeit ihres Anliegens dienen und auch Linke verunsichern kann.

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