Einst war sie eines der beliebtesten Ferienziele der Deutschen: Die Halbinsel zwischen Kurischem Haff und Ostsee bot Erholung und Inspiration – auch berühmten Literaten und Künstlern. In seinem Werk „Land der dunklen Wälder“ bewahrt Fritjof Berg die Erinnerung an dieses Kleinod Ostpreußens in guten wie in schweren Zeiten. Hier mehr erfahren

    Die Landzunge zwischen dem Dörfchen Sarkau, das heute russisch Lesnoi heißt, und der Stadt Memel, die litauisch Klaipeda genannt wird, „ist so merkwürdig, dass man sie eigentlich ebenso gut als Spanien und Italien gesehen haben muss, wenn einem nicht ein wunderbares Bild in der Seele fehlen soll“, schrieb Wilhelm von Humboldt vor mehr als 200 Jahren.

    Der preußische Gelehrte verfasste diese Hommage auf die Kurische Nehrung jenen etwa 100 Kilometer Landstreifen, der das Kurische Haff von der Ostsee trennt, nachdem er auf Dienstreise von Tilsit über Memel nach Pillau unterwegs war. Ebenso begeistert zeigte sich der 1888 in Königsberg geborene Dichter Fritz Kudnig, der von dem „Land, wo das Wunder noch blüht“, schwärmte.

    Inzwischen finden nur noch wenige den Weg auf die zauberhafte Halbinsel, die noch in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts beliebtes Ferienziel war und zahlreiche Gäste, darunter auch viele Prominente, begrüßen konnte, wie man in Fritjof Bergs zweibändigem Werk „Land der dunklen Wälder“ erfährt. Heute ist die Kurische Nehrung zweigeteilt: 52 Kilometer gehören zu Litauen, 46 zur russischen Provinz Kaliningrad.

    Urwüchsige Landschaft

    Mit ungefähr 5.000 Jahren ist die Kurische Nehrung aus erdgeschichtlicher Sicht sehr jung. Im Verlauf der Zeit wurde sie als schnellste Landverbindung zwischen Königsberg und Memel genutzt, unter anderem auch von der preußischen Königsfamilie auf der Flucht vor Napoleon. Einst reich bewaldet, führten Rodungen ab dem 16. Jahrhundert zur Versandung der Landschaft, die Dünen begannen zu wandern, und der Sand begrub mehr als ein Dutzend Dörfer unter sich.

    Altes deutsches Holzhaus in Nidden (Ostpreußen). Foto: Majonit | Shutterstock.com

    Der Ostpreuße Franz Epha fand im 19. Jahrhundert einen Weg, das fragil gewordene Ökosystem der Halbinsel zu stabilisieren, indem er eine besondere Art der Baumbepflanzung nutzte und Strauchzäune anlegte, um den Wanderdünen ihre Gefahr zu nehmen.

    Der damalige Dünen-Inspektor ist auf dem Alten Friedhof der Kurischen Nehrung begraben. Hier ruht auch Professor Johannes Thienemann aus Thüringen. 1896 hatte es ihn, der eigentlich Theologe war, doch schon seit frühester Kindheit eine große Faszination für Natur und Tierwelt, speziell für Vögel, entwickelt hatte, das erste Mal auf die Kurische Nehrung verschlagen.

    Dort fand er seine zweite Heimat. Begeistert von der einzigartigen Flora und Fauna, gründete er 1901 in Rossitten die erste Vogelwarte der Welt und setzte hier bis heute gültige Meilensteine in der Ornithologie. 1944 musste die die Einrichtung kriegsbedingt geschlossen werden, seit 1956 ist sie unterrussischer Leitung wieder in Betrieb.

    In den Dünen von Nidden

    Einer der bekanntesten Orte der Kurischen Nehrung ist Nidden (litauisch Nida). Die ostpreußische Heimatdichterin Agnes Miegel, die in „Land der dunklen Wälder“ ausführlich gewürdigt wird, sicherte der kleinen Stadt mit ihrer düster-mystischen Ballade „Die Frauen von Nidden“ ein unvergängliches Kapitel in der deutschen Literaturgeschichte. „Schlage uns still ins Leichentuch,/ Du unser Segen, einst unser Fluch./ Sieh, wir liegen und warten ganz mit Ruh’, —/ Und die Düne kam und deckte sie zu“, heißt es da in der letzten Strophe.

    Inspiration zu diesem Gedicht fand die gebürtige Königsbergerin, die oft auf der Kurischen Nehrung Ferien machte, im alten Pestfriedhof der Stadt und in den Überlieferungen von den versandeten Dörfer. Auch Nidden war davon nicht verschont geblieben. Ein Teil der alten Ortschaft verschwand unaufhaltsam zwischen 1675 und 1730.

    Agnes Miegel und der Frankfurter Oberbürgermeister Friedrich Krebs 1940 bei der Verleihung des Goethe-Preises an die Dichterin. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Nidden gehörte bis 1918 zu Ostpreußen und damit zum Deutschen Reich. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es dem Völkerbund als „Memelland“ zugeteilt, unter französisches Mandat gestellt und dann 1923 von Litauen besetzt, was die Alliierten 1924 absegneten. 1939 kam das Gebiet wieder zu Deutschland. 1945 bemächtigte sich die Sowjetunion seiner. Seit 1990 ist Nidden litauisch.

    Schon Ende 1944 flohen die Einheimischen, die sich trotz aller politischen Wirrnisse in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stets ethnisch und kulturell zu ihrem Deutschtum bekannt hatten, vor der Roten Armee. Litauer wurden angeworben und angesiedelt, der Eiserne Vorhang trennte die deutschen Flüchtlinge Jahrzehnte von ihrer alten Heimat.

    Die „ostpreußische Sahara“

    Agnes Miegel war nicht die einzige Künstlerin, die die Ruhe und Inspiration des Kurischen Haffs zu schätzen wusste. Anfang der 1930er Jahre verbrachte auch der Schriftsteller Thomas Mann seinen Urlaub in Nidden, wo er sich ein Ferienhaus bauen ließ. Seinen Eindruck der einzigartigen Landschaft beschrieb er wie folgt:

    „Kennen Sie die Dünen von List auf Sylt? Man muss sie sich verfünffacht denken, man glaubt, in der Sahara zu sein. (…) Alles ist weglos, nur Sand, Sand und Himmel.“

    Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich gar eine Künstlerkolonie Nidden gebildet, die zur bedeutenden Kulturbewegung Ostpreußens reifte. Ein Ausstellungskatalog jüngeren Datums verzeichnet 119 Maler und Malerinnen, die seit dem 19. Jahrhundert immer wieder in die Gegend gepilgert sind.

    Der Wirt Hermann Blode, Kunstliebhaber und –sammler, hatte in seinem Gasthaus eigens ein Atelier für die besonderen Gäste eingerichtet. Den Schülern und Lehrern der Kunstakademie Königsberg, die die Abgeschiedenheit des Ortes nutzen wollten, kam dies gelegen. Maler reisten an, um die Tierwelt zu porträtieren oder die einzigartige Landschaft zu verewigen. „Wer war nicht in den Bann dieses Zaubers geschlagen, der seinen Fuß auf dieses Eiland setzte?“, schrieb der expressionistische Landschaftsmaler Ernst Mollenhauer.

    Dieser stammte, wie sein Freund und Malerkollege Lovis Corinth, aus der ostpreußischen Kleinstadt Tapiau, östlich von Königsberg gelegen. Corinth ist einer der wichtigsten deutschen Vertreter des Impressionismus. Sein Gemälde vom Fischerfriedhof von Nidden entstand bei einem Aufenthalt 1893 und hängt heute in der Neuen Pinakothek München.

    Im Jahr 1976 wurde die Kurische Nehrung zum Landschaftsschutzgebiet erklärt, seit 1991 ist sie Nationalpark, 2000 setzte sie die UNESCO auf die Liste des Weltkulturerbes. Die Große Düne bei Nidden zählt zu den größten Europas und wird auch „ostpreußische Sahara“ genannt.

    Unvergessen: In seinem Werk „Land der dunklen Wälder, Erinnerungen und Wege eines Ostpreußen“ (2 Bände im edlen Schuber, 1.666 Seiten, gebunden, zahlreiche seltene Abbildungen) weckt Fritjof Berg die Sehnsucht nach der alten Heimat – und erzählt vom Schicksal der vertriebenen Deutschen. Und dazu gibt es sogar noch eine CD mit herrlichen ostpreußischen Heimatliedern. Hier bestellen.

    4 Kommentare

    1. Der Zionismus sieht einen Zusammenhang von Geblüt und Boden, wie die volksmäßige Besiedelung Palästinas und Gründung eines Staates namens "Israel" ("Streit mit Gott", "Jehova" = "Ich bin Ich") zeigt. Solchen Geblüt-Boden-Zusammenhang gibt es auch bei anderen Völkern als Selbstverständlichkeit. Er gehört zur Geborgenheit in einer Heimat. Zur Heimat gehört auch die Sprache. Heimatdichtung ist wichtig.

      "Die Sprache ist das Haus des Seins." (Martin Heidegger, badischer Staatsphilosoph).
      "Meine Heimat bleibt die deutsche Sprache." (Ken Jebsen, iranisch-deutscher Abstammung, aus der BRD geflüchtet).

    2. Kater Carlo am

      Ich war schon zweimal dort unten. Einfach Spitze! Machen Sie am besten einige Tage eine Studienfahrtrundreise mit einem Bus. Auch die Hotels sind einwandfrei…………

    3. Walter Bornholdt am

      Wir sollten bei aller Schwärmerei niemals vergessen, welcher Sorte Menschen wir den Verlust dieses wunderschönen Teils unserer Heimat zu verdanken haben!

      • die wahren Täter befinden sich immer im Dunkeln. Die sieht man nicht. So langsam, gaaaaaaaaaanz langsam kommt die Wahrheit ans Licht. Was uns an "Geschichte" bisher zugägnlich gemacht wurde stammt von den Siegern. Sollte man nie vergessen.