Die Mystik und Grade der Freimaurerei sind für Außenstehende ein Buch mit sieben Siegeln. Welche Allegorien und Metaphern benutzen die Logenbrüder – und wofür stehen sie? Wir klären auf. Wie man die Logen im Dritten Reich diffamierte und gegen sie vorging, lesen Sie in dem einzigartigen Dokumentarband „Im Kampf gegen die Logen: Freimaurerei und Nationalsozialismus“. Quellentexte auf fast 400 Seiten! Hier mehr erfahren

    Der Bruder wird mit freiem Oberkörper und verbundenen Augen in den Tempelraum geleitet. Um den Hals trägt er einen Strick. Obwohl er schon zum Meister aufgestiegen ist, sind ihm die tieferen Geheimnisse bislang verborgen geblieben. So ist er nun wieder blind, so liegt er erneut in Fesseln.

    Man geleitet ihn vor den Thron des Meisters vom Stuhl. Drei Mitbrüder, die bereits die höheren Weihen empfangen haben, gehen dicht an ihn heran. Einer führt ihm eine Messlatte an den Hals, ein weiterer schlägt ihm mit einem Winkelmaß auf die rechte Brustseite, der dritte berührt seinen Kopf mit einem Spitzhammer.

    Memento mori: Die Zeichen des Todes sind in den Logen allgegenwärtig. Durch das Aufnahmeritual sollen die Fesseln des irdischen Lebens symbolisch überwunden werden. Foto: picture alliance / akg-images

    Der Anwärter sinkt zu Boden, das rechte Bein hat er angewinkelt. Man bedeckt ihn mit einem Tuch, das einen Grabhügel symbolisieren soll, und legt einen Akazienzweig auf ihm ab – als Zeichen der Unsterblichkeit. Nun wird versucht, den scheinbar Toten wiederzuerwecken, zunächst mit dem Lehrlingswort Jachin und dem Gesellenwort Boas. Da dies misslingt, ruft der Meister vom Stuhl die übrigen Brüder herbei. Sie geben das neue Meisterwort preis: Moabon. Nun erhebt der oberste Bruder den Aufwachenden, legt seinen linken Arm um ihn, flüstert ihm das Geheimwort ins Ohr und geleitet ihn zum Meister-Altar.

    Kabbalistische Rätsel

    Was Außenstehenden wie ein obskures Mysterientheater erscheinen mag, ist für die vor allem in den USA und in Frankreich beheimatete Hochgradfreimaurerei ein sehr ernsthaftes Ritual, mit dem ein Bruder in den vierten Grad – den ersten Hochgrad nach Schottischem Ritus – eingeweiht wird. Ähnliche Motive finden sich auch bei den Initiationsriten der in England oder Deutschland überwiegend praktizierten Johannismaurerei, die nur drei Grade kennt. Solche Zeremonien leiten sich größtenteils aus biblischen Motiven ab, teilweise entstammen sie, je nach Richtung, auch der Mythologie des Alten Ägypten.

    Im Grunde kann man die Freimaurerei als eine Weiterentwicklung der Kabbala ansehen – der heute fast vergessenen mystisch-gnostischen Tradition im Judentum. Das Gottesbild der Freimaurer ist das eines „großen Architekten des Universums“ (schöpferisches Prinzip), was durch das große G in der Mitte von Winkelmaß und Zirkel symbolisiert wird. Der Buchstabe steht auch für Geometrie als Ausdruck höchster Ordnung.

    Der „große Architekt“ der Logenbrüder ist in seiner Definition fast identisch mit dem Ain Soph (auch En Sof oder Ein Sof) der Kabbala: Ein schöpferisches Urbewusstsein, das allmächtig ist und alles erschaffen, aber auch vernichten kann. Die Götter anderer Religionen sind nach kabbalistischer Lehre nur verstofflichte Formen dieses schöpferischen Prinzips, das mit Kreativität, aber auch Liebe, Freundschaft oder Moral gleichgesetzt werden kann. Ziel freimaurerischer Initiation (Einweihung) soll es sein, die Anhaftung an die stoffliche Realität zu überwinden, um dadurch, von Grad zu Grad, möglichst nah an das Urprinzip zu gelangen.

    In dem eingangs beschriebenen Ritual steht der Bruder mit den verbundenen Augen für Hiram Abif, der nach biblischer Darstellung von König Salomo mit dem Tempelbau betraut worden sein soll. Vermutlich ist die Figur angelehnt an Imhotep, den großen Pyramiden-Baumeister des Alten Ägypten.

    Der Legende nach verdankte Hiram seine außerordentlichen Fähigkeiten als Architekt der Tatsache, dass er ein geheimes Wort kannte. Eines Tages kamen drei Gesellen und wollten ihn zwingen, das Wort zu verraten. Der Meister weigerte sich, und die Unholde fügten ihm drei Wunden zu: eine am Kopf, um sein Denken zu schädigen, eine am Hals, um sein Sprechen zu lähmen, und eine in der Nähe des Herzens, um sein Fühlen auszuschalten. Hiram starb und nahm sein Geheimnis mit ins Grab – das Wort war verloren, so wie in der Kabbala der Name Gottes verloren gegangen ist. Auf dieser sogenannten Hiram-Legende basieren einige der freimaurerischen Rituale.

    Die initiatorische Metapher der Freimaurer ist der Tempel Salomos: eine Schachbrettebene, vor der ein Sarg steht. Der Sarg symbolisiert das Memento mori – der Einzuweihende soll sich seiner Sterblichkeit gewahr werden –, das Schachbrett steht für das Gefangensein des Nichteingeweihten in der materiellen Welt, die durch die Initiationen in der Loge überwunden werden soll.

    Auf diesem Feld stehen die salomonischen Tempelsäulen Jachin und Boas. Erstgenannte steht magisch für das solare, männliche Prinzip, Letztere für das lunare, weibliche Prinzip. Dazwischen steht eine dritte Säule, die die Vereinigung beider symbolisieren soll (Vater, Mutter, Kind). Über dem Tempel thront der große Architekt – die Metapher für Gott beziehungsweise das göttliche Prinzip, zu dem man über die sogenannte Jakobsleiter gelangt.

    Magisches Pentagramm: Das Zeichen ist vor allem in der Hochgradfreimaurerei beliebt. Foto: Shutterstock.com

    Die freimaurerische Initiation

    Die klassische Initiation der Johannismaurerei ist in die drei sogenannten blauen Grade unterteilt: Lehrling, Geselle und Meister. Dieser Bereich ist innerweltlich und lässt sich auf den Handwerker-Ursprung der Logen zurückführen. Hier geht es darum, die Fähigkeiten des Bruders im weltlichen Leben zu verbessern.

    Symbolisch greift man auf das Trivium zurück, die drei sogenannten freien Künste, die im Mittelalter in den Trivial- oder Elementarschulen gelehrt wurden (Grammatik, Arithmetik, Geometrie). Sie stehen bei der Einweihung für das rechte Hören, Denken und Sprechen.

    Tatsächlich sollen den Anwärtern, wie in der Schule, für diese Grade jeweils auch mathematische Aufgaben zur Lösung aufgegeben werden. Wer den Meistergrad erlangt hat, wird zumeist damit beauftragt, die unteren Grade entsprechend auszubilden. Neben dem Handwerksbezug hat die Johannismaurerei noch eine andere Bedeutung. Die drei Grade stehen auch für die drei Perioden des irdischen Lebens: Kind, Erwachsener und Greis. Dadurch soll quasi in verkürzter Form das menschliche Diesseits nachgespielt werden.

    In der Schottischen Maurerei dienen die Johannisgrade zur Vorbereitung auf die roten Grade, die Hochgrade. Die eingangs dargestellte Initiation eines Meisters in den vierten Grad ist metaphorisch als Tod des weltlichen Egos und Wiederauferstehung des Menschen als geistiges Wesen zu verstehen. Während die blauen Grade nach freimaurerischem Verständnis den Logenbruder zu Selbstveredelung, aber auch zu wohltätigem Wirken animieren sollen – also dazu, sich selbst und anderen ein gutes irdisches Leben zu ermöglichen –, sollen ihn die Hochgrade befähigen, die Fesseln des irdischen Lebens abzuwerfen und dem großen Architekten des Universums möglichst nah zu kommen.

    Die Hochgrade

    Für die Hochgradfreimaurerei ist der Weg zum großen Architekten gleichbedeutend mit der Wiederentdeckung des geheimen Wortes. Dies ist nicht im Sinne eines bestimmten Begriffes oder Ausdrucks zu verstehen, sondern als Zustand höchstmöglicher Geistwerdung. Das von dem Amerikaner Albert Pike entwickelte Hochgradsystem des Alten und Angenommenen Schottischen Ritus gliedert sich wie folgt:

    Perfektionsgrade: 4° Geheimer Meister | 5° Vollkommener Meister | 6° Geheimer Sekretär | 7° Vorsteher und Richter | 8° Intendant der Gebäude | 9° Auserwählter Meister der Neun | 10° Erlauchter Auserwählter der Fünfzehn | 11° Erhabener Auserwählter Ritter | 12° Großarchitekt | 13° Meister vom Königlichen Gewölbe | 14° Auserwählter Maurer.

    Kapitelgrade: 15° Ritter vom Osten oder Ritter vom Schwert | 16° Meister von Jerusalem | 17° Ritter vom Osten und Westen | 18° Ritter vom Rosenkreuz.

    Philosophische Grade: 19° Hoher Priester oder Erhabener Schotte | 20° Obermeister der Symbolischen Logen | 21° Noachite oder Preußischer Ritter | 22° Ritter der Königlichen Axt | 23° Meister des Allerheiligsten | 24° Obermeister des Allerheiligsten | 25° Ritter der Ehernen Schlange | 26° Schottischer Trinitarier | 27° Obermeister des Tempels | 28° Sonnenritter | 29° Groß-Schotte des Heiligen Andreas | 30° Ritter Kadosch.

    Konsistorialgrade: 31° Groß-Richter | 32° Meister des Königlichen Geheimnisses.

    Grad des Obersten Rates: 33° General-Inspektor.

    Doch warum enden die Hochgrade ausgerechnet bei Nummer 33? Dafür gibt es verschiedene Erklärungen: Erstens litt Jesus Christus drei Tage am Kreuz und ruhte drei Tage im Grab. Zweitens ist der 33. Pfad in der Kabbala der Pfad zu Ain Soph. Und drittens ist 33 Grad in der Newton-Skala der Siedepunkt von Wasser.

    Daran wird einmal mehr der typisch freimaurerische Synkretismus deutlich: Man versucht, verschiedene Ideen, religiöse Vorstellungen oder Philosophien – in diesem Fall biblische Überlieferung, gnostische Geheimlehre und Naturwissenschaft – zu einer neuen Weltanschauung zusammenzubauen. Und die kann sich durchaus auch politisch materialisieren.

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