Seine wildesten Jahre verbrachte der Literat und Weltkriegsheld Ernst Jünger in Berlin. Wie andere Grenzgänger gab er sich dort auch dem Rausch hin.

    Im Jahr 1926 zog der Autor der Stahlgewitter von Leipzig ins Auge des politischen Orkans: in die Hauptstadt Berlin. Erste Station war der Nollendorfplatz, ein Brennpunkt wilder Exzesse. Laut Erich Kästner hätte selbst ein Dante Gift genommen, um nicht sehen zu müssen, was sich ihm dort bot.

    Ein Jahr lang hielt es Weltkriegsleutnant Ernst Jünger an diesem Hotspot aus. Dann zog er in den Ostteil der Metropole, in den Arbeiter- und Ganovenbezirk Friedrichshain. Es hieß, nach Einbruch der Dämmerung sollte man dort verschwinden: zu gefährlich.

    Ein deutscher Stoßtrupp stürmt aus dem Schützengraben: In den Knochenmühlen des Ersten Weltkriegs wurde Ernst Jünger mehrfach verwundet. Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1974-132-26A, CC-BY-SA 3.0, Wikimedia Commons

    Genau der richtige Ort für einen Abenteurer, der das Elementare suchte, dem der Ruf eines Terroristen vorauseilte: Angeblich öffnete er seinen Briefkasten mit einem Revolverschuss. Seine Wohnung in einem Gründerzeitbau, Stralauer Allee 36, 1. Stock, wurde Anlaufplatz der National-Bohemiens jener Zeit.

    Der Tierpark der Matriarchin

    Jünger vertrat zu Weimarer Zeiten nationalrevolutionäre Ideen und verachtete das Bürgertum. In der Erstauflage seines Buches «Wäldchen 125» bekannte er freimütig: «Ich hasse die Demokratie wie die Pest.» Foto: literaturport.de

    Eine passende Terroristenbraut fand Jünger in der Schauspielerin Gretha von Jeinsen. Die 20-jährige Provokateurin bediente mit Vergnügen das Gefährlichkeits-Image ihres Mannes: Bemerkte sie beispielsweise, dass die Polizei ihr Telefon abhörte, schwadronierte sie demonstrativ über (fiktive) Bombendepots.

    Für sie war Berlin eine «Alles-Ernährerin», die selbst den Abgedrehtesten nicht untergehen ließ, sondern gerade aus schrägen Typen «ihren vitalen Rhythmus» zog. Ihre Lieblingslektüre: Leo Tolstoi und Johann J. Bachofens Theorie über das prähistorische Matriarchat.

    Kein Wunder, dass Jüngers Friedrichshainer Wohnung bald wie ein Ort gynäkokratischer Urkultur erschien: Ernst von Salomon beschrieb sie als dunkel, «mit Büchern vollgestopft, mit Masken und seltsamen Figuren geschmückt». In den Regalen standen «Einweckgläser voll merkwürdigen Geschlings irgendwelcher fahlgrüner Substanzen». Alles durchzogen von Kochgerüchen und Kindergeschrei.

    Kurzum, weniger ein Stätte männlicher Rationalität, sondern Bachofen‘scher Matriarchats-Symbolik: Pflanzen, Wasser und Nebel. Da Gretha stets für Wahl und Gestaltung der Wohnungen zuständig war, ist ein Zufall fast ausgeschlossen.

    Jünger verschlang die Haschisch-Essays von Charles Baudelaire.

    Wenn der revolutionäre Männerzirkel, von der Dame des Hauses liebevoll als «Tierpark» bezeichnet, sich dort versammelte, war mit gepflegter Debattenkultur kaum zu rechnen: In einer kalten Winternacht ging das Feuerholz aus, die Temperatur sank. Man wickelte sich in Decken ein. «Da sah sich Ernst Jünger wie ein Feldherr in der Runde um, sagte, halb fragend, mit fröhlichem Unterton in der singenden Stimme: ”Wir sind doch Feinde der bürgerlichen Ordnung, nicht wahr?”» – und trat eine Holzkommode ein, zerlegte sie, um sie anschließend zu verfeuern. (…)

    Psychonautische Reisen

    Diese Anekdote verweist auf eine weitere Dimension in Jüngers Leben jener Zeit: Waren ihm die Schlachten des Ersten Weltkriegs mystische Entgrenzung, in denen man «trunken ohne Wein» (Feuer und Blut, 1925) ist, suchte er in Friedenszeiten den entgrenzenden Rausch (auch) in Drogen. Die erschöpften sich keineswegs im Champagner, für dessen Konsum er in den 1920ern bekannt war.

    Tanz auf dem Vulkan: Das Café Wintergarten in der Friedrichstraße war in den 1920er Jahren eines der beliebtesten Varieté-Theater Berlins. Foto: picture-alliance / akg-images

    Schon in der Jugend entwendete der Erfahrungshungrige eine Ladung Haschisch-Paste aus der väterlichen Apotheke: In der Nacht hatte ihn ein Angsttraum, aus dem er panisch emporschoss, gequält. In den kommenden Jahrzehnten folgten Opium, Kokain, LSD, Peyotl und Meskalin – für Jünger der «Königstiger» unter den Drogen.

    Literarischen Niederschlag fanden seine Rauscherfahrungen vor allem in den Annäherungen  (1970). Darin fordert er eine Kartografie jener Seelenlandschaft, die LSD freisetze: eine Suche nach dem «inneren Sinai». Zur Erforschung dieses Kosmos kreierte Jünger den Begriff der «Psychonautik».

    Sein freimütiges Bekenntnis (…) Ende der Textauszüge.

    6 Kommentare

    1. Theodor Stahlberg am

      Berlin kann sich auch ein weiteres Mal neu erfinden. Aber dafür muss erst der linksgrüne Sumpf trocken gelegt werden – "Drain the Swamp!". Nirgends ist das notwendiger als hier – gleich nach D.C. und nach der Logik von Trump. Mit einer Harcore-Gebietsreform – jeweils ein Riesenstück Brandenburg mit einem kleinen Tortenstückchen Berlin und jeweils einem Bezirksamt auf dem ehemaligen Werksgelände von IFA Ludwigsfelde oder besser noch auf den Seelower Höhen. Und Betretungs- sowie Berufsverboten für bisherige Politiker und Beamte der Berliner Landes- und Bezirksverwaltung(en) …

    2. Katzenellenbogen am

      Zum Bild: Oben ohne-Revuegirls! – heute würde da bei den Wokies Schnappatmung einsetzen, huch!, pfui!, das ist ja sooo sexistisch!

    3. Otto (der Echte) am

      Ich entnehme dem Beitrag vor allem, daß Berlin anscheinend schon immer … jenseits von Gut und Böse war. Damit dürfte wohl auch für die Zukunft alle Hoffnung verloren sein – jedenfalls soweit es dieses … Gebilde betrifft.

      • Das war (ist) nur eine Seite Berlins: das Nachtleben der Künstler, der Anarcho – Boheme und der Halbwelt. Daneben stand (und steht z. T. immer noch) das Berlin der Arbeit (bis 1945 war Berlin auch Deutschlands größtes Industriezentrum), der vielen "kleinen" Leute, der "normalen" Arbeiter und Angestellten. Deren Dasein ist zugegebenermaßen unspektakulärer, aber für das Leben der Nation essentieller und wichtiger.

      • jeder hasst die Antifa am

        Berlin war schon immer der Gipfel der Dekadenz in Deutschland heute ist es eine Internationale Müllhalde,die von einer Insolvenzverwalterin regiert wird.

      • Wenn man in der deutschen Geschichte zurückblickt, hatte Berlin vor allem einen äußeren Schimmer von Glanz und Gloria. WK I und WK II wurden dort verkündet. Weimarer Republik hat nicht lange überlebt. Als dann nach dem Mauerfall das provinzielle muffige Bonn zugunsten von Berlin aufgegeben wurde, hatte ich schlimme Vorahnungen. Wenn man auf die Kanzler nach der Wiedervereinigung Deutschlands zurückblickt, wurden meine Befürchtungen nicht zerstreut. Das vorrangige Argument für ausgerechnet diese Stadt hat man aus der gemeinsamen Vergangenheit abgeleitet. Die gemeinsame Zukunft wurde aber noch nicht geschaffen, sondern beschäftigt sich lieber mit den Problemen anderer Länder.