Kein anderes Land wurde vom sogenannten „Arabischen Frühling“ so sehr von der Moderne in die Steinzeit zurückgebombt wie Libyen. Seit neun Jahren befindet sich das Land in einem blutigen Bürgerkrieg, aus dem es nicht mehr herauszukommen scheint.

    _von Georg Stein

    Heute stehen sich vor allem zwei Lager feindselig gegenüber: Die von der UN anerkannte und in Tripolis ansässige Regierung der Nationalen Vereinbarung (GNA) unter Machthaber Fayiz Sarradsch im Westen, im Osten das Repräsentantenhaus von Tobruk mit der ihr nahestehenden Libyschen Nationalarmee (LNA) unter dem Kommando von Marschall Chalifa Haftar.

    Während des Krieges beider Seiten konnte vor allem die LNA erhebliche Geländegewinne erzielen, eine Zeit lang herrschte die GNA gerademal über die Hauptstadt Tripolis und angrenzende Gebiete. Sarradsch holte sich Verstärkung ins Land: türkische Militärberater und Islamisten und Söldner aus Syrien, die Organisation für den Freischärler-Transport übernahm Ankara.

    Seit dem 9. November findet nun in Tunis (Tunesien) das sogenannte „Libyan Political Dialogue Forum“ (LPDF) statt, das die gegnerischen Lager einander näherbringen soll. Von offizieller Seite und auch von der deutschen Bundesregierung gab es kräftig Vorschusslorbeeren. Das Forum, ließ das Auswärtige Amt wissen, sei der

    „nächste Meilenstein auf dem Weg hin zu Frieden in Libyen“. Es eröffne den Menschen in Libyen „eine lang ersehnte Chance auf ein dauerhaftes Ende des Konflikts und eine friedliche Zukunft in einem geeinten Land“.

    Doch eine solche Einschätzung kann wohl nur durch eine Ferndiagnose mit rosaroter Brille zustande gekommen sein. Denn bereits im Vorfeld des Treffens in Tunis hagelte es kräftig Kritik sowohl von Teilnehmern des Forums als auch von verschiedenen Experten. Denn: Das Forum enthält kräftig Sprengstoff, der Schuss kann nach hinten losgehen. Und die Gefahr, dass dies geschieht, ist relativ hoch.

    Schirmherrin des LPDF ist die Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Libyen (UNSMIL), die ausgerechnet von der US-Diplomatin Stephanie Williams angeführt wird. Williams war vor dieser Funktion US-Gesandte in Tripolis und ist geradezu berüchtigt für ihren Ehrgeiz, stets den US-amerikanischen Standpunkt durchsetzen zu wollen. Selbst innerhalb der GNA-Regierung, die sie nach Kräften unterstützte, bezog sie Stellung und unterstützte beispielsweise mit Innenminister Fathi Bashagha einen berüchtigten Folterer, Kriegsverbrecher und Warlord.

    Aber: Bashagha zeigte sich stets US-treu, plädierte in der Vergangenheit sogar für einen US-Militärstützpunkt im Land. Der Neokon-Falkin Williams hat das gefallen. Es ist vor allem der Einfluss von Williams auf das Forum, der vielen Teilnehmern mehr als Kopfzerbrechen bedeutet. Denn das LPDF hat sich große Ziele gesetzt: Es soll eine neue, einige libysche Führung gebildet werden und Wahlen im nächsten Jahr vorbereitet werden.

    Doch vor allem beim ersten Punkt herrscht einhellige Uneinigkeit: Denn 49 der 75 wahlberechtigten Teilnehmer des Forums wurden von der UNSMIL – also am Ende von US-Falkin Stephanie Williams – handverlesen ausgesucht. Es handle sich bei ihnen um Vertreter aus „verschiedenen Bereichen der libyschen Gesellschaft“, frohlockt das Auswärtige Amt, das mit Sicherheit keine Ahnung haben dürfte, wer diese 49 Teilnehmer eigentlich sind und wofür sie stehen.

    Aber auch die meisten der 6,8 Millionen Libyer dürfte keinen blassen Schimmer haben, wer gerade in Tunis über ihre neue Staatsführung bestimmt. In anderen Worten: Bereits jetzt hat das LPDF und damit auch die aus dem Forum hervorgehende Regierung ein Legitimationsproblem. In den Delegationen aus Tobruk, aber auch bei Teilnehmern aus Tripolis, hat sich ohnehin schon lange der Verdacht verbreitet, das LPDF sei vor allem ein getarnter Mechanismus, mit dem Washington am Ende eine Marionettenregierung durchdrücken könnte.

    Und wer könnte dann am Ende an der Spitze Libyens stehen? Der Name Bashagha wird zumindest als nicht unwahrscheinlich gehandelt. Doch mit ihm als Marionettenchef einer libyschen Regierung von US-Gnaden wäre der nächste Bürgerkrieg nur noch eine Frage von Wochen. Bereits im Sommer ließ Bashagha als Innenminister das Feuer auf Demonstranten in Tripolis eröffnen, die gegen die schlechten Lebensbedingungen protestierten. (Fortsetzung des Artikels unter dem Werbebanner)

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    Er gilt als brutal, rücksichtlos und machtbesessen – und er verfügt über seine eigenen, nur ihm gegenüber loyalen, islamistischen Todesschwadronen. Das Forum in Tunesien geht auch Deutschland was an. Das Ergebnis des Forums kann dazu beitragen, ob Libyen wieder ein stabiles Staatswesen mit Recht und Gesetz bekommt, oder im nächsten Bürgerkrieg versinkt. Und das Chaos in Libyen lässt sich an der Zahl der Migrantenboote im Mittelmeer messen.

    Eigentlich ist das LPDF zu wichtig für Berlin, um es nur aus der Ferne mit einer etwas naiven, aber dafür enthusiastischen Pressemeldung zu bedenken.

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