Nazi- oder Antisemitismus-Vorwürfe waren immer eine sichere Bank, um Politiker zu stürzen. Das zeigen drei prominente Beispiele. Weiterführend: «Zwischen Reich und Republik – Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten» – das neue Werk des konservativen Historikers Karlheinz Weißmann. Hier mehr erfahren.

    Neuhof bei Fulda, 3. Oktober 2003: Wie in jedem Jahr lädt die örtliche CDU ins Bürgerhaus zu einem Festakt anlässlich des Tages der Deutschen Einheit. Es spricht der Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann. Der Jurist und Major der Reserve ist in der Region verankert und beliebt.

    Im Jahr zuvor hatte er mit 54 Prozent der Erststimmen das Direktmandat für die Union errungen. In Neuhof hat er quasi ein Heimspiel, war er dort doch selbst vormals Bürgermeister gewesen. Die Veranstaltung hätte es normalerweise nur in die Lokalpresse geschafft – doch sie sollte bundesweit für Schlagzeilen sorgen.

    Auflagenbringer: Auch auf dem Cover des Hamburger Revolverblattes zur Jenninger-Affäre durfte Hitler nicht fehlen. Foto: Der Spiegel

    Die verhängnisvolle Rede

    Grund ist die Rede Hohmanns vor rund 150 Zuhörern, die er mit Ausführungen über deutsche Gelder für internationale Organisationen und Entschädigungen für Zwangsarbeiter beginnt. Warum zahle die Bundesrepublik Millionen und Milliarden, fragt der CDU-Politiker. Die Antwort: «Das liegt an der deutschen Geschichte.» Zu dieser schlägt er dann einen Bogen und sagt: «Kein Kundiger und Denkender kann ernsthaft den Versuch unternehmen, deutsche Geschichte weißzuwaschen oder vergessen zu machen. Nein. Wir alle kennen die verheerenden und einzigartigen Untaten, die auf Hitlers Geheiß begangen wurden.» Deutlicher kann man sich kaum vom NS-Regime und seinen Verbrechen distanzieren!

    Hohmann fährt fort: «Wird hingegen darauf hingewiesen, auch Deutsche seien im letzten Jahrhundert im großen Stil Opfer fremder Gewalt geworden, so gilt das schon als Tabubruch.» Stets stehe der Vorwurf im Raum: «Die Deutschen sind das ”Tätervolk”».

    Dann sagt er: «Das deutsche Volk hat nach den Verbrechen der Hitlerzeit (…) um Vergebung gebeten und im Rahmen des Möglichen eine milliardenschwere Wiedergutmachung geleistet, vor allem gegenüber den Juden.» Doch nun stellt Hohmann eine, wie er sagt, «provozierende Frage», die ihm zum Verhängnis werden soll: «Gibt es auch beim jüdischen Volk, das wir ausschließlich in der Opferrolle wahrnehmen, eine dunkle Seite in der neueren Geschichte, oder waren Juden ausschließlich die Opfer, die Leidtragenden?»

    Unter Verweis auf die Studie «Jüdischer Bolschewismus»: Mythos und Realität des Historikers Johannes Rogalla von Bieberstein, der unter anderem einen verhältnismäßig hohen Anteil von Juden in kommunistischen Organisationen während der russischen Oktoberrevolution 1917 feststellte (ohne dies dem Judentum an sich, sondern eher dessen sozialer Stellung im Zarenreich zuzuschreiben), fuhr der Redner fort:

    «Mit einer gewissen Berechtigung könnte man im Hinblick auf die Millionen Toten dieser ersten Revolutionsphase nach der ”Täterschaft” der Juden fragen. (…) Das mag erschreckend klingen. Es würde aber der gleichen Logik folgen, mit der man Deutsche als Tätervolk bezeichnet.»

    Doch diese Zuschreibungen seien nicht legitim, denn: «Die Juden, die sich dem Bolschewismus und der Revolution verschrieben hatten, hatten zuvor ihre religiösen Bindungen gekappt. (…) Ähnliches galt für die Nationalsozialisten. Die meisten von ihnen entstammten einem christlichen Elternhaus. Sie hatten aber ihre Religion abgelegt und waren zu Feinden der christlichen und der jüdischen Religion geworden. Verbindendes Element des Bolschewismus waren also die religionsfeindliche Ausrichtung und die Gottlosigkeit.»

    Resultat sei «ein geschichtlich bisher einmaliges millionenfaches Morden» gewesen. Und dann folgt der entscheidende Satz: «Daher sind weder ”die Deutschen” noch ”die Juden” ein Tätervolk. Mit vollem Recht aber kann man sagen: Die Gottlosen mit ihren gottlosen Ideologien, sie waren das Tätervolk des letzten, blutigen Jahrhunderts.»

    Hohmanns Hinrichtung

    Was geschah im Bürgerhaus Neuhof während dieser Rede? Verließen Besucher empört den Saal? Gab es Pfiffe? Wetzten Hohmanns Parteifreunde schon die Messer? Von wegen! Die Lokalpresse berichtete sachlich über die Veranstaltung, der CDU-Kreisverband veröffentlichte Hohmanns Ansprache im Wortlaut auf seiner Website.

    Es vergingen drei Wochen, da entdeckte, so die Neue Osnabrücker Zeitung, «eine Frau in den USA» den Text im Netz und «informierte den Hessischen Rundfunk». Der nahm den Ball auf – und das Unheil seinen Lauf. Am 30. Oktober berichtete die Tagesschau über die Rede, mit der sich der Abgeordnete «nach Ansicht von Kritikern (…) in die Nähe von Antisemitismus gebracht» habe. «Im Zusammenhang mit Juden und der russischen Geschichte verwendete Hohmann Begriffe wie, so wörtlich, ”Täterschaft” und ”Tätervolk”.»

    Nun fegte ein Sturm durch den Blätterwald: Die Bild-Zeitung schlagzeilte tagelang vom «CDU-Hetzer», von der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung wurde er als «Brandstifter» tituliert, die B. Z.  nannte ihn einen «charakterlosen Lumpen», und die Welt verstieg sich gar zu der Behauptung:

    «CDU-Politiker nennt Juden ”Tätervolk”».

    Das war eine glatte Umdrehung dessen, was Hohmann in seiner Rede gesagt hatte, doch die Lüge wurde vielfach medial reproduziert, wogegen der Betroffene erfolgreich juristisch vorging. Im Konrad-Adenauer-Haus wurde sofort die Richtung vorgegeben: Auf keinen Fall hinter den Gescholtenen stellen, sondern ihn im kalten Regen stehen lassen.

    Angela Merkel, schon damals CDU-Chefin, erklärte auf einer Pressekonferenz am 31. Oktober:

    «Das sind völlig inakzeptable und unerträgliche Äußerungen, von denen wir uns aufs Schärfste distanzieren.»

    Hohmann erklärte daraufhin: «Es war nicht meine Absicht, die Einzigartigkeit des Holocausts zu bestreiten, und es war auch nicht meine Absicht, Juden als Tätervolk zu bezeichnen. Wenn gleichwohl ein anderer Eindruck entstanden ist, dann entschuldige ich mich dafür ganz ausdrücklich und bedauere es, wenn ich dadurch Gefühle von Menschen verletzt habe.» Er weigerte sich jedoch, inhaltliche Abstriche zu machen. Am Ende wurde er deshalb aus Fraktion und Partei ausgeschlossen. Notabene: 2017 kehrte der Fuldaer noch einmal in den Bundestag zurück – nun auf dem Ticket der AfD.

    Jenningers falscher Ton

    Während man bei Hohmann den Inhalt seiner Ansprache als kritikwürdig empfand, hatte bei einem anderen CDU-Politiker schon eine falsche Betonung ausgereicht, um ihn aus dem Amt zu fegen. Am 10. November 1988 hielt der damalige Bundestagspräsident Philipp Jenninger im Bonner Parlament eine Rede anlässlich des 50. Jahrestages der Reichspogromnacht, in der er zunächst die üblichen Sühne- und Bußübungen absolvierte, sich dann aber in eine Reihe von Ungeschicklichkeiten in seinen Ausführungen über das «Faszinosum Hitler» verstrickte.

    Jenninger wörtlich: «Für die Deutschen, die die Weimarer Republik überwiegend als eine Abfolge außenpolitischer Demütigungen empfunden hatten, musste dies alles wie ein Wunder erscheinen. (…) Machte nicht Hitler wahr, was Wilhelm II. nur versprochen hatte, nämlich die Deutschen herrlichen Zeiten entgegenzuführen? War er nicht wirklich von der Vorsehung auserwählt, ein Führer, wie er einem Volk nur einmal in tausend Jahren geschenkt wird?»

    Um Himmels willen: Philipp Jenninger nach seiner Rede zum 50. Jahrestag der Reichspogromnacht im Bundestag. Neben ihm fasst sich die jüdische Schauspielerin Ida Ehre an den Kopf. Foto: picture-alliance / dpa

    Natürlich war das nicht affirmativ gemeint. Der CDU-Politiker wandte lediglich das Stilmittel der sogenannten erlebten Rede an. Und davon machte er ausgiebig Gebrauch:

    «Sicher, meine Damen und Herren, in freien Wahlen hatte Hitler niemals eine Mehrheit der Deutschen hinter sich gebracht. Aber wer wollte bezweifeln, dass 1938 eine große Mehrheit der Deutschen hinter ihm stand, sich mit ihm und seiner Politik identifizierte? Gewiss, einige ”querulantische Nörgler” wollten keine Ruhe geben und wurden von Sicherheitsdienst und Gestapo verfolgt, aber die meisten Deutschen, und zwar aus allen Schichten – aus dem Bürgertum wie aus der Arbeiterschaft –, dürften 1938 überzeugt gewesen sein, in Hitler den größten Staatsmann unserer Geschichte erblicken zu sollen.»

    Besonders angekreidet wurde Jenninger schließlich folgende Passage:

    «Und was die Juden anging: Hatten sie sich nicht in der Vergangenheit doch eine Rolle angemaßt – so hieß es damals –, die ihnen nicht zukam? Mussten sie nicht endlich einmal Einschränkungen in Kauf nehmen? Hatten sie es nicht vielleicht sogar verdient, in ihre Schranken gewiesen zu werden?»

    Im Grunde war der CDU-Politiker damit sogar auf den Kollektivanklage-Zug aufgesprungen, doch nur Stunden nach der Ansprache kochte der internationale Pressekessel. Und wieder wurde dem Betroffenen das Wort im Munde herumgedreht. So schlagzeilte etwa die israelische Zeitung Ma’ariv: «Jenninger verteidigte Hitler-Ära.»

    Nach 48 Stunden des Kesseltreibens strich der Angegriffene die Segel und trat von seinem Amt zurück. Vollkommen unbegründet, denn Jahre später erklärte Ignatz Bubis, damals Präsident des Zentralrates der Juden, gegenüber dem Tagesspiegel (2.12.1995), Jenninger habe «eine über weite Strecken hervorragende Rede einfach nur rhetorisch miserabel gehalten». Bubis machte sich sogar den Spaß, die Ansprache fast wortgetreu erneut zu halten, ohne den Urheber zu nennen. Dafür erntete er frenetischen Beifall.

    Schönhuber auf dem Titelbild. Foto: Der Spiegel

    Möllemanns Todsünde

    Während Hohmann und Jenninger dennoch relativ glimpflich davonkamen, gipfelte die Schmutzkampagne gegen Jürgen Möllemann in dessen Tod. Das Stehaufmännchen der FDP hatte seine Partei im Mai 2000 mit einer neuen Kampagne, genannt «Strategie 18» mit 9,8 Prozent in den Landtag von Nordrhein-Westfalen geführt.

    Nun sollte die Kampagne auch auf die Bundesebene übertragen werden. Mit «18» war gemeint, dass die Liberalen entsprechend viele Prozente einfahren könnten. Möllemann erhob damit den Anspruch, die FDP in Richtung Volkspartei führen zu können.

    Doch Böswillige sahen in der Ziffer das Spiel mit einem Code, der auch von Neonazis verwendet wird: Nimmt man den ersten und den achten Buchstaben des Alphabets, hat man «A» und «H» – die Initialen Adolf Hitlers.

    Er war dabei
    Franz Schönhuber (1923–2005) hatte sich als Journalist einen legendären Namen gemacht, war beim Bayerischen Fernsehen stellvertretender Chefredakteur und Moderator des legendären Formats Jetzt red i. Als er 1981 Jahre seine Autobiografie Ich war dabei vorlegte und sich darin als früherer Soldat der Waffen-SS outete, war es mit der Karriere vorbei. Eine Hexenjagd setzte ein, er verlor alle Posten. Dabei hielten CSU und FDP noch eine ganze Weile zu ihm. Ich war dabei wurde unterdessen zum Beststeller, der israelische Satiriker Ephraim Kishon verteidigte das Buch. Schönhuber rächte sich auf seine Weise: als Mitgründer der Republikaner, kurz REP, die spektakuläre Erfolge feiern konnte und 1989 sogar in das Europaparlament einzog.

    Mit diesem Framing nahmen zwei Jahre später Geschehnisse ihren Lauf, die aus dem gefeierten Star den Paria der FDP machen sollen. Alles fing damit an, dass im Frühjahr der grüne NRW-Landtagsabgeordnete Jamal Karsli zur FDP-Fraktion überlief.

    Der gebürtige Syrer war bei den Ökos in Ungnade gefallen, weil er Israels Ministerpräsidenten Ariel Scharon eines «Vernichtungskrieges» im Westjordanland bezichtigt hatte. Fraktionschef Möllemann sah die Chance, über einen Seitenwechsel des Abgeordneten die damalige rot-grüne Landesregierung kippen.

    Weiterführend; Karlheinz Weißmanns neues Werk „Zwischen Reich und Republik – Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten“ bietet einen umfassenden Überblick über alle rechten Strömungen und Parteien seit 1945 – von der Deutschen Reichspartei und der NPD bis zur AfD. Die stabile Hardcover-Ausgabe, die gerade erst erschienen ist, können Sie hier bestellen.

     

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