Zweiter Teil einer strategischen Debatte: Innenpolitik und AfD-Profil. Die linksorientierte Publizistin Ulrike Guérot und Björn Höcke im Streitgespräch, moderiert von Flavio von Witzleben. Ein Querfront-Format, das man gerne fortgesetzt sähe!

    Guérot: Ich kann die Frage, ob die AfD eine Alternative ist, nicht mehr beantworten. Ich hätte vor einigen Jahren, 2012, noch gesagt: Marine Le Pen, die AfD, die FPÖ sind eine Alternative. Sie wollen im Grunde Frieden mit Russland, sie wollen vielleicht sogar raus aus der NATO, sie sind gegen die EU, gegen den Euro. So ist die AfD ja auch angetreten – eine wirkliche, sozusagen politische Alternative. Ja, eine ganz radikale Alternative. Jetzt stelle ich fest – Marine Le Pen darf ja nicht antreten –, dass der Schwiegersohn Bardella pro-amerikanisch, pro-EU, pro-Israel bis zum Anschlag ist, wie ich es aus der französischen Geschichte so nicht kenne. Ich stelle fest, dass Alice Weidel die Erste war, die bei fünf Prozent NATO den Finger gehoben hat und gesagt hat: Wir sind dabei. Ich stelle fest, dass die AfD vom Friedenskurs – also es steht jetzt noch in diesem Positionspapier: »Wir brauchen Frieden mit der Ukraine und Verhandlungen« – dass das da zwar noch drinsteht, aber die lauten Töne, dass man vielleicht tatsächlich eine andere Form des Friedens, eine andere Sicherheitsarchitektur möchte, das steht da alles nicht mehr drin. Das heißt, ich habe den Eindruck – korrigieren Sie mich –, dass die AfD sich in Richtung Atlantik verschiebt, ja, pro-NATO-atlantisch. Dass die Radikalität, mit der sie gegen die EU angetreten ist – denken Sie an Ihr Gespräch mit Herrn Krah: Was machen wir, ein Europa jenseits der EU? –, dass auch dazu nicht mehr viel gesagt wird. Dann kommen da so Floskeln wie »Europa der Vaterländer« und »souveräne Nationalstaaten«. Darüber diskutieren wir dann auch nochmal. (…) Ich habe das Gefühl, dass die AfD – und nicht nur sie – programmatisch unterspült und entkernt wird und dass sie sich gerade eigentlich aufhübscht, ja, also: weg mit deutscher Leitkultur, weg mit dem Remigrationsbegriff – da am letzten Wochenende – aufhübscht, um im Grunde koalitionsfähig zu sein. Und Sahra Wagenknecht hat ja vor ein paar Tagen gesagt, sie würde jetzt der CDU mal dringend raten, dass sie mit der AfD koaliert. Das scheint mir im Grunde sozusagen der Fahrplan zu sein, und dann hieße der Fahrplan, dass in dem Moment, wo die AfD regiert – also blau-schwarz in dem Fall –, dass von der AfD nicht mehr viel, ich überspitze mein Argument bewusst ein bisschen, Herr Höcke, dass von der AfD nicht mehr viel übrig bleibt. Als dass man sie lassen wird mit so ein bisschen Ressentiment – ja, wir dürfen uns noch einmal an der Dämmungsregulierung für irgendwelche Energierichtlinien abarbeiten und noch ein bisschen Wokismus, und dann die Afghanen im Schwimmbad und so – das kann man dann noch so ein bisschen machen –, dass sich aber an den Grundfragen dessen – Gehen Sie mit Amerika? Gibt es ein emanzipiertes Europa? Wird dieser Krieg aufhören? Was passiert mit Israel und Iran? – davon von Ihrer Partei eigentlich in den letzten Tagen, Wochen nicht viel zu hören war. Und wenn das so sein sollte und ich damit einen Punkt habe, dann sind Sie ganz klar keine Alternative für Deutschland, sondern Sie werden in dem Moment Systempartei – so, wie Sie es jetzt immer von den anderen Parteien sagen.

    Ulrike Guérot. Foto: Dontworry, CC BY-SA 4.0 , via Wikimedia Commons

    Witzleben: Frau Guérot hat Ihnen gerade, sagen wir mal, analysiert, dass Sie womöglich eine NATO-konforme Partei werden. Sie hat auch noch einmal darauf angespielt, dass am Wochenende diese Klausurtagung in Berlin stattgefunden hat, bei der die Begriffe Remigration und deutsche Leitkultur gestrichen worden sind. Also zum einen: Was sagen Sie zu dieser Analyse von Frau Guérot – ist da etwas dran? Und zum anderen: Was sagen Sie dazu, dass der Begriff Remigration jetzt nicht mehr verwendet werden soll?

    Höcke: Da will ich zunächst einmal als Björn Höcke antworten. Wenn die Partei so, wie Sie sie gerade skizziert haben, und wenn die Zukunft der AfD eine »melonisierte« wäre, dann wäre das nicht mehr meine Partei – dafür bin ich nicht angetreten. Die Gefahren, die Sie beschreiben, sind real. Die Tendenz, dass man rechte Parteien in dem Geiste, den Sie ausgebreitet haben, gleichschalten möchte – die gibt es. Seit Jahren, Jahrzehnten wird das erfolgreich versucht. Ich wehre mich ein bisschen gegen den Begriff, Populist zu sein oder Vertreter einer populistischen Partei zu sein. Ich finde die Kategorisierung gut, die David Goodhart in seinem Buch »The Road to Somewhere: The Populist Revolt and the Future of Politics« vorgenommen hat – das ist, glaube ich, der Frontverlauf der Zeit zwischen den Anywheres und Somewheres. Die Anywheres, das ist der globale Jetset, der heute in Sydney in die Oper geht, morgen in Tokio Golf spielt und übermorgen in Zürich ist, und drei, vier oder fünf Sprachen fließend spricht – und die globale Kultur lebt, die schon existiert, jedenfalls für die Oberschicht. Und die Somewheres sind diejenigen, die ortsgebunden sind – das ist der sogenannte kleine Mann, aber auch der mittelständische Unternehmer, der aus konservativem Fürsorgebewusstsein seinen Angestellten gegenüber nicht einfach sein Unternehmen in ein Billiglohnland verlagert. Und das ist die Oma, die ihren verstorbenen Mann auf dem Friedhof besuchen möchte und ihre Heimat nicht verlassen will, und so weiter. Wir sind Vertreter der Somewheres – und das ist meine Position. Wir befinden uns in einem globalen Umbruch im Westen, und wir kämpfen gegen eine neofeudale Struktur. Krysmanski hat sie einmal den Geldmachtkomplex genannt – das ist nicht ganz deckungsgleich mit den Anywheres, aber es gibt viele Überschneidungen. Und diese globale Struktur versucht, die Demokratien der Welt insofern zu transformieren, dass – wie es der Philosoph Paolo Flores d’Arcais gesagt hätte – keine Demokratie, die wirklich lebt, mehr existiert, sondern nur noch als Geschwätz betrieben wird, also eine Demokratisimulation. Und da stellen wir uns grundsätzlich dagegen. Wir wollen echte Demokratie und echte Volkssouveränität. Und wir sehen im Augenblick keine Tendenzen der AfD, die diese Zielsetzung aufgeben würde. Den Vorwurf des Neoliberalismus höre ich oft. Wir sind ein bunter Haufen als AfD, aber ich glaube, dass dieser bunte Haufen im Augenblick gelernt hat, miteinander zu arbeiten und auch diszipliniert aufzutreten – auch wenn es intern Unstimmigkeiten gibt und manche Fragen beantwortet werden müssen. Wir sind professioneller geworden, und wir verstehen unsere unterschiedlichen Herkünfte mittlerweile als Chance, eine wirkliche Volkspartei zu werden. Ja, Alice Weidel war ja bekanntermaßen bei Goldman Sachs, und das wird ihr immer zum Vorwurf gemacht. Damit wird sie in diese Schublade »neoliberal« eingeordnet. Aber wir haben ganz viele andere Menschen, die aus anderen Professionen kommen – ich selbst war viele Jahre Lehrer, es gibt auch Unternehmer, Mittelständler, Handwerksmeister bei uns, Arbeiter, Angestellte und so weiter. Wir sind eine wirkliche Volkspartei, und wir sind mit dem Anspruch angetreten, Politik für Deutschland zu machen. Ich sehe im Augenblick – und ich bin selbst programmatisch sehr engagiert, seit 2013 war ich maßgeblich am Kampf gegen Bernd Lucke beteiligt – nicht, weil ich ihn als Menschen unsympathisch fand (es war ein sehr angenehmer Zeitgenosse, mit dem ich auch gerne im Austausch war), sondern weil er strategisch falsch analysiert hat und die falsche Zielperspektive für die AfD vorgeschlagen hatte. Ich bin heute noch sehr engagiert, was die Bundesprogrammatik angeht. Ich bin bei jedem Bundesparteitag, wo es um Programmatik geht, sehr aktiv, sehr stark im Einsatz, weil ich will, dass diese Partei Kurs hält. Und ich sehe mit Blick auf die Programmatik die Veränderungen, die Frau Guérot zu Recht an die Wand malt, noch nicht. Sowohl was die Wirtschaftspolitik angeht, sind wir ganz klar in Richtung soziale Marktwirtschaft orientiert. Was die Sozialpolitik im Ganzen angeht, haben wir uns als ehemaliger Flügel – den es ja nie formal gab – größtenteils durchgesetzt mit unserem solidarischen Patriotismus. Das ist nichts anderes als das, was Max Otte als solidarische Leistungsgesellschaft für das 21. Jahrhundert beschrieben hat. Die AfD ist eine klar konturierte, sozialkonservative Kraft, die auch Libertäre in ihren Reihen hat – was ich aber nicht schlimm finde, solange die Libertären nicht die programmatische Dominanz gewinnen. Libertäres Denken kann durchaus befruchtend sein. Und auch linkes Denken finde ich befruchtend. Ich möchte all diese bunten Farbtupfer in der Partei haben – aber ich möchte, dass die Tendenz stimmt. Und da bin ich völlig bei Ihnen, denn die Tendenz muss sein: Die NATO – die mittlerweile ein offensives Militärbündnis zur Durchsetzung von Macht- und Geldinteressen ist – muss irgendwann der Vergangenheit angehören, indem Deutschland selbst eine militärische, strategische Autonomie erwirbt. Die Zielsetzung muss sein, Europa als eigenständigen Pol in einer multipolaren Weltordnung zu etablieren und zu erhalten. Die Zielsetzung muss sein, einen Kooperationsmodus mit Russland herbeizuführen. Russland ist kein Feind Deutschlands – Russland könnte ein natürlicher Partner Deutschlands sein. Und die Zielsetzung müsste sein, die europäische Identität – zu der wir vielleicht noch kommen – zu erhalten. Und das bedeutet eben, eine Identität zu erkennen, die das Ich mit dem Wir versöhnt. Kein radikaler Individualismus, sondern ein Gemeinschaftssinn, der aber natürlich dem Einzelnen immer die Möglichkeit zur Selbstentwicklung gegeben hat. Ganz kurz vielleicht abschließend noch zum Fraktionspapier, das jetzt durch die Medien kolportiert worden ist…

    Der Höcke-Taler – nur bei COMPACT. Jetzt bestellen unter compact-shop.de

    Witzleben: Richtig, darauf wollte ich hinaus: Die Begriffe »Remigration« und »deutsche Leitkultur« sollen nicht mehr verwendet werden – ist das nicht ein Beleg dafür, dass Frau Guérot mit ihrer Analyse richtig liegt? Oder handelt es sich nur um eine Momentaufnahme?

    Höcke: Ich bin ein sehr sorgfältiger Beobachter, auch der etablierten Medienlandschaft –, obwohl es mir keinen Spaß macht, diese zu lesen oder anzuschauen. Dieses Positionspapier der Fraktion ist eine Essenz der Essenz der Essenz, eine extreme Verdichtung, bei der nicht alles transportiert werden kann, was die programmatische Grundlage der Partei ist. Sowohl im Europawahlprogramm zur Europawahl 2024 als auch im Bundestagswahl- beziehungsweise Bundeswahlprogramm 2025 ist der Begriff Remigration platziert. Und ich werde dafür sorgen – ich werde es jedenfalls versuchen –, dass bei der Neuaufsetzung des Grundsatzprogramms, die jetzt ansteht, also im kommenden Jahr, dieser Begriff auch ins Grundsatzprogramm der AfD Eingang findet. So viel dazu. Das Fraktionspapier hatte den Schwerpunkt auf Energie- und Wirtschaftspolitik. Da darf man auch einmal das Thema Migration – mit dem wir als Partei ohnehin stark assoziiert werden – begrifflich zur Seite schieben, weil es aus quantitativen Gründen nicht mehr abbildbar war. Der Begriff der Leitkultur ist ein Begriff, mit dem ich überhaupt keine Sympathie verbinde – im Gegenteil: Das ist ein sehr diffuser, wischiwaschi Begriff, den ich ohnehin nie benutzt habe. Der kann ruhig wegfallen, und das war auch nie ein originärer AfD-Begriff. Wie gesagt, das sind Gründe der Platz- und Schwerpunktsetzung gewesen, die dieses Papier so hervorgebracht haben, wie es nun einmal hervorgebracht worden ist. Kein Grund zur Sorge – im Augenblick noch nicht. Aber Sie haben recht: Wir müssen wachsam sein.

    ***

    Hier das vollständige Gespräch im Video ansehen:

    Kommentare sind deaktiviert.