Dieses Buch war der Durchbruch in der Erforschung des Tiefen Staates: Der Schweizer Historiker Daniele Ganser hat mit „NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegführung“ Licht in das Dunkel der terroristischen Untergrundstrukturen („Gladio“) in den westlichen Staaten gebracht. Jetzt ist dieses Standardwerk wieder erhältlich.

    Daniele Ganser – heute eine Berühmtheit, die Säle mit vierstelligen Zuschauerzahlen füllen kann – begann seine wissenschaftliche Karriere vor über 20 Jahren mit der Erforschung des Phänomens „Gladio“. Er recherchierte jahrelang in den Militärarchiven der NATO-Staaten, sprach mit Geheimdienstlern und Whistleblowern. Damals war er noch ein angesehener Dozent an der ETH in Zürich – doch wegen seiner Zweifel an der offiziellen 9/11-Theorie, vor allem mit seiner Weigerung, von seinem ketzerischen Denken abzulassen, wurde er von der ETH gefeuert. Glück im Unglück: Damit begann seine Karriere als gefeierter Sachbuchautor.

    Gansers Gladio-Forschung

    Daniele Ganser: NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung. Foto: Verlag

    Die Entstehung des Terminus „Tiefer Staat“ in der Türkei vor gut dreißig Jahren ist kein Zufall: Der politisch-militärische Untergrund am Bosporus ging auf eine Geheimstruktur der NATO zurück, die maßgeblich zur Errichtung einer Generalsdiktatur im Jahr 1980 beigetragen hatte. Der Nordatlantikpakt bezeichnete diese Truppen der unkonventionellen Kriegführung als Stay-Behind-Kräfte, ihre italienische Variante trug den Namen Gladio, der später populär geworden ist. Tatsächlich war zwischen Mailand und Palermo ihr zweites wichtiges Einsatzgebiet. Zahlreiche Parlamentskommissionen und Gerichtsprozesse haben seit den 1980er Jahren Funktionsweise, Zielsetzung und Aufbau dieses Netzwerkes dokumentiert, bis Premier Giulio Andreotti die Existenz 1990 auch offiziell bestätigte.

    Der entscheidende Mann im italienischen NATO-Untergrund war Licio Gelli. Er war zu Mussolini-Zeiten ein überzeugter Faschist gewesen, hatte aber schon im Zweiten Weltkrieg Kontakte zu US-amerikanischen Diensten geknüpft. Nach 1945 stieg er als Chef der Freimaurerloge P2 zum entscheidenden Bindeglied zwischen der italienischen Rechten und ihren US-amerikanischen Förderern auf. Als P2 im Jahr 1981 aufflog, erklärte der Militärgeheimdienst SISMI gegenüber einer parlamentarischen Untersuchungskommission die Hintergründe der Entstehung von P2: „Es war Ted Shackly, Direktor aller verdeckten Operationen der CIA im Italien der 70er Jahre, der den Chef der Freimaurerloge P2 US-General Alexander Haig vorstellte. Haig und Kissinger gaben Gelli im Herbst 1969 die Ermächtigung für die Rekrutierung von 400 hohen italienischen und Nato-Offizieren in seine Loge.“

    Altnazis, Freimaurer und Gladio

    Zur Durchführung ihrer Aktivitäten bediente sich die P2 der Gladio-Einheiten. Der Schweizer Historiker Daniele Ganser schreibt in seinem Standardwerk $NATO-Geheimarmeen in Europa$: „Die von den USA finanzierte antikommunistische Parallelregierung P2 und die ebenfalls von den USA finanzierte antikommunistische Parallelarmee Gladio kooperierten während Italiens Erster Republik sehr eng.”

    Die offizielle Gründung in Italien hatte 1956 stattgefunden. Eigentlich sollten die Gladio-Soldaten als Schläfer erst im Falle einer sowjetischen Okkupation von NATO-Territorium aktiv werden – als Guerilla hinter den Linien („stay behind“) des Feindes. P2-Chef Gelli räumte aber selbst ein, dass die Aufgabenstellung wesentlich weiter gefasst war. „Das Ziel von Gladio und anderer ähnlicher Organisationen, die in allen Ländern Westeuropas existierten, war es, einer Invasion der Roten Armee entgegenzutreten, oder wenn kommunistische Parteien an die Macht kämen, einen Staatsstreich durchzuführen.“ Die Operationen waren jedoch auch präventiv und zielten bereits auf die Schwächung der Linken, solange sie noch in der Opposition waren. Gelli: „Dass die PCI während all der Jahre nie an die Macht gekommen ist, obwohl sie es oft versucht hat, ist das Verdienst der Organisation Gladio.“

    Daniele Ganser und Karl-Heinz Hoffmann im COMPACT-Gespräch 2013 / Bild: Frank Höfer

    Wie in Italien mit Gelli zog die CIA auch in der Bundesrepublik Gladio mit Hilfe von Altfaschisten auf: ehemalige SS-Angehörige und Agenten der Spionageabteilung Fremde Heere Ost von Wehrmacht-General Reinhard Gehlen, der ab 1949 auch den späteren BND aufbaute. Ganser: „Wie weit die zu gehen bereit waren, zeigte sich 1952, als der ehemalige SS-Hauptsturmführer Hans Otto sich der Kriminalpolizei in Frankfurt stellte und ein Geständnis ablegte: Er gehöre mit rund hundert weiteren Getreuen zu einer geheimen Widerstandsgruppe, die für den Fall einer sowjetischen Invasion trainiere, zahlreiche Waffenlager unterhalte und von den Amerikanern unterstützt werde.

    Die weiteren Ermittlungen ergaben, dass ein dem rechten Bund Deutscher Jugend angegliederter geheimer Technischer Dienst (TD) auch den innenpolitischen Feind im Auge hatte. Für den Ernstfall hatten die Kameraden Listen erstellt, auf denen sich neben Mitgliedern der Kommunistischen Partei auch Sozialdemokraten befanden – allen voran der frisch gewählte SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer und Herbert Wehner –, die beide am ‚Tag X kaltgestellt‘ werden sollten. Doch zum Erstaunen der Polizisten spielten Bundesanwaltschaft und Bundesregierung den Fall herunter. Vier festgenommene TD-Kämpfer kamen ohne weitere juristische Verfolgung frei. Die Geheimkommandos in anderen Teilen der Bundesrepublik blieben unbehelligt und wurden später dem BND unterstellt.“

    Die Strategie der Spannung

    Ganswrs faszinierender Wälzer „NATO Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegführung“ hilft uns, die Struktur des „Tiefen Staates“ zu verstehen und viele scheinbar unerklärliche Mord zu entschlüsseln. Gladio hatte nämlich nicht nur Nazis rekrutiert, sondern auch linke Terrorstrukturen wie die RAF und die Roten Brigaden unterwandert. In Deutschland sieht Ganser die „unsichtbare Had“ beim Oktoberfestattentat 1980 am Werk, der Mord an Generalbundesanwalt Siegfried Buback 1976 durch die Agentin Verena Becker und die Morde der sogenannten Dritten Generation der RAF dürften dazukommen.

    Wer von NATO und Gladio spricht, muss Ganser kennen. Endlich ist sein Werk in unserem Shop verfügbar – und zwar hier, zusammen mit seinen neuen Büchern.

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