Am 6. Juli feierte er seinen 75. Geburtstag. Vielen gilt er als Inbegriff des dumpfen Action-Prolls. Zu Unrecht, denn Sylvester Stallone ist ein Mann mit vielen Facetten – und spielte Rollen, die heutzutage in Hollywood glatt durchfallen würden. Mit einem Abo von COMPACT sichern Sie sich Ihren Informationsvorsprung. Hier mehr erfahren.

    Ein Mann kommt auf uns zu, wandert in Armeejacke, Jeans und Springerstiefeln einen Waldweg herunter. Fest, aber ohne Hast schreitet er zu klassischen Klängen eines schwermütigen Themas ins Bild und betritt die totale Idylle: Wir blicken auf einen strahlend blauen See, schneebedeckte Berge im Hintergrund, vor einem Haus spielen Kinder, ihre Mutter hängt die Wäsche auf. Der Weiße mit den markanten Zügen stellt sich höflich vor und fragt die schwarze Hausherrin, ob er richtig sei, er suche einen Freund. So beginnt die Mutter aller Action-Filme – und ein Meisterwerk.

    Absoluter Kult: Das Kinoplakat zum ersten „Rambo“-Film. Foto: IMDb

    Auge um Auge, Zahn um Zahn

    Die Besetzung ist erlesen bis in die kleinste Nebenrolle. Sylvester Stallone als John Rambo wird eingerahmt von Golden-Globe-Preisträger Brian Dennehy und Emmy-Award-Gewinner Richard Crenna; David Caruso, der als Horatio Caine in CSI Miami später weltberühmt wurde, spielt hier bereits 1982 eine kleine Rolle.

    Den Film und seine Hauptfigur prägen große Sensibilität und wegweisende Härte. Action-Held Stallone hängt am Felsen, wird aus einem Hubschrauber beschossen, springt 50 Meter in die Tiefe, näht seine Wunde danach selbst und mäht auf seiner Flucht Wälder nieder mit einem Gewehr, das andere nicht hochkriegen würden. Er tötet Wildschwein und Kampfhunde, verprügelt Polizisten, fährt besser Motorrad als Speedway-Profis und legt schließlich die Stadt, die ihn zurückgewiesen hat, in Schutt und Asche.

    Als Mann, als Soldat, der sein Leben für das eigene Land gegeben und der alle Freunde verloren hat, der sich nun sogar für die Flagge auf der Jacke rechtfertigen muss und den man am Flughafen bei der Rückkehr aus Vietnam einen „Babymörder“ nannte, ist das die einzig logische Vorgehensweise. Stallone war und ist Garant der alttestamentarischen Losung „Auge um Auge, Zahn um Zahn“.

    Kampfmaschine mit Moral

    In First Blood – bezeichnenderweise der Originaltitel des ersten Teils der Rambo-Schlachtplatte in fünf Gängen – erleben wir aber auch ein sensibles Wesen. Die Kampfmaschine verschont sogar Gegner, die keine Gnade verdienen, warnt, mahnt, sucht Trost und Halt bei ihrem Ausbilder, den die hilflosen Behörden vor Ort rufen müssen, weil sie mit der Folter Rambos einen Dämon beschworen haben, dessen sie nicht mehr Herr werden.

    Für die 200 Feierabend-Soldaten, die den Green Beret zur Strecke bringen sollen, empfiehlt der eingeflogene Colonel Trautman „Leichensäcke, einen großen Vorrat“. Der Offizier ist das einzig verbliebene Familienmitglied für eine geschundene Seele, die schließlich hemmungslos weint.

    John Rambo: Gefangen im Dschungel von Vietnam. Szenenbild aus „Rambo II – Der Auftrag“. Foto: Filmstill, IMDb

    Anders als die relativ missratenen Teile 2 und 3 ist Rambo 1 eher Drama als Action-Film, atmosphärisch und emotional bis zum tränenrührigen Schluss. Neben Ensemble und Plot tragen Musik und Kamera zum Referenz-Status bei. Man nimmt dem Film und seinen Protagonisten jedes einzelne Wort ab, ungeschminkt, frei von Computeranimationen, mit einer heute fast gänzlich verlorenen Authentizität.

    Im Grunde ist es ein klassischer Western. Ein Mann kommt aus der Fremde, Unrecht geschieht, Vergeltung wird geübt – allein, gegen eine Übermacht; nur dass unser Held schließlich nicht in den Sonnenuntergang reitet, sondern abgeführt wird. Seine moralische Überlegenheit ist dokumentiert; den sadistischen Sheriff lässt Rambo verletzt überleben.

    Recht und Ordnung

    Das kennzeichnet Stallone-Filme: Verbrecher müssen zwar bestraft und das Recht wieder hergestellt werden; Gewalt ist aber immer die Reaktion einer im Grunde friedfertigen Figur, einer One-Man-Gang, die zum Handeln verdammt ist. Mag Willensstärke sowohl für den Schauspieler als auch für seine Rollen ein herausragendes Merkmal sein, so muss sich letztlich jeder in sein Schicksal fügen.

    Verführerisch: Brigitte Nielsen als Ingrid Knudsen in „Cobra“ (deutscher Titel: „Die City Cobra“). Foto: Filmstill, IMDb

    Zugestanden, dass sein immer wiederkehrender Kampf mit sich und gegen andere schematisch starr sei, so ist der Italo-Amerikaner im Detail doch erstaunlich wandlungsfähig: kettenrauchender Rächer seines Bruders und Tattoo-Model in Get Carter, definiert bis auf die Knochen im Bett mit Sharon Stone in The Specialist, gepeinigter und hilfsbereiter Häftling in Lock up, stilsicher im Armani-Anzug neben einem prolligen Kurt Russel bei Tango & Cash, Coolness neu definierend in Cobra – ein Film, der die Linke toben ließ und der auf dem Index landete. Im 51er Mercury und mit Spiegelbrille setzt Stallone hier rhetorische Glanzlichter: „Du bist die Krankheit, und ich die Medizin“. Während er einen benzingetränkten Kinderschänder mittels Streichholz abfackelt, knurrt er: „Sie haben das Recht zu schweigen.“

    Arrogantes Feuilleton

    Die Kombination aus politischer Unkorrektheit und Gewaltorgien quittierte das deutsche Feuilleton erwartungsgemäß mit Ablehnung und Arroganz. Bis 1997. Dann erschien Cop Land – und Stallone plötzlich mit Bauch anstatt Astralkörper. Da ihn auch noch Robert de Niro und Harvey Keitel flankierten, die nicht nur tatsächlich Könner ihres Fachs, sondern auch beim Mainstream beliebt waren, schrieb der deutsche Blätterwald den Film hoch.

    Gnädig billigte man Stallone endlich zu, was man längst hätte wissen müssen, sich aber nie eingestehen wollte: dass der Mann überdurchschnittliche Fähigkeiten hatte.

    Wird fortgesetzt.


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