76 Jahre Bombardierung von Dresden: Ursula Wünsche, Jahrgang 1920, erlebte die Angriffe im Stadtteil Plauen. Ihr Zeitzeugenbericht ist eine Ergänzung zu COMPACT-Geschichte Dresden 1945 – Die Toten, die Täter, die Verharmloser. Das Heft können Sie hier bestellen.

    _ von Ursula Wünsche

    „Wenn ich zum Angriff auf Dresden berichte, so muss ich ein bisschen vorher anfangen. Die Schwester meiner Mutter wurde in Bayern komplett ausgebombt und kam 1944 mit zwei Söhnen nach Dresden zu ihrer Schwester. Unsere Wohnung hatte also schon ‚drei plus‘. Damit nicht genug. Breslau wurde geräumt, und die Cousinen meiner Mutter kamen mit einem Kind zu uns. Es waren also allerhand Menschen in unserer Wohnung versammelt. Ich war kurz vorher ausgeflogen worden und lag in Dresden in einem Krankenhaus. Mein Bruder war in Itzehoe auf der Kadettenanstalt. Mein Vater war noch an der Front.

    Elbflorenz: Dresden galt als eine der schönsten deutschen Städte. Hier eine Luftaufnahme vom Oktober 1943. Foto: SLUB / Deutsche Fotothek

    Der Abend war an und für sich wie immer. Wir saßen am Abendbrottisch und dann kam die Meldung: ‚Achtung, Achtung! Bomberanflug auf Dresden, es muss mit einem Angriff gerechnet werden. Die Bevölkerung wird gebeten sofort die Luftschutzräume aufzusuchen!‘ Da Plauen ein Außenbezirk von Dresden ist, haben wir uns an und für sich in Sicherheit gewogen. Das war verkehrt. Den ersten Angriff verbrachten wir dicht gedrängt im Luftschutzkeller. Ich muss dazu sagen, wir hatten ein großes Geschäft, und die beiden großen Schaufenster waren nach dem Angriff natürlich eingedrückt, die Rollläden verbogen, der ganze Boden voll Glassplitter. Und der deutsche Hausfrauenwahnsinn zwang uns, das alles erst einmal wieder in Ordnung zu bringen. Es war ja vorbei, so dachten wir. Aber nichts war vorbei.

    Der zweite Angriff erfolgte in einer Weise, die man heute nicht mehr nachvollziehen kann. Es gab keine Sirenen, es gab keine Warnungen. Die Bomber waren da. Die Christbäume standen am Himmel, taghell. Es war alles erleuchtet. Und dann folgten die Bomben. Das Schlimme war, dass meine Tante mit ihren Kindern und die beiden Cousinen mit dem Kind losrasten. Sie rasten hinaus, wollten draußen verrecken, aber nicht unter Trümmern verschüttet sein. Und meine Mutter ging auch.

    Als am 15. Februar 1945 die letzten Bomber das Stadtgebiet von Dresden wieder gen Westen verließen, lagen 40 Stunden Bombenterror hinter der Stadt. Das Ausmaß der vier Angriffswellen ist mit Worten kaum zu beschreiben. Tausende verbrannten im Feuersturm bei lebendigem Leibe, andere wurden verschüttet. Das als sicher geltende Dresden war damals voller Flüchtlinge. Viele mussten ihre Hoffnung mit dem Leben bezahlen. Dresden 1945 gilt seitdem als Fanal für Terror gegen die Zivilbevölkerung. Militärisch sinnlos wurde das einst blühende Elbflorenz nahezu vollends zerstört. Wolfgang Schaarschmidt hat das Inferno überlebt und jahrelang recherchiert. Mit seinem Werk kann man jetzt den Herunterschwindlern und Verharmlosern der Opferzahlen mit vielen neuen Fakten wirksam begegnen. Den über 100.000 Bombenopfern ist damit ein würdiges Denkmal gesetzt. Hier bestellen.

    Ich war ganz allein. Ich habe den Angriff zusammengeduckt an der Mauer der Weißeritz erlebt. Eingekuschelt, ganz eng an die Mauer gedrückt habe ich alles gesehen. Wie der Feuersturm kam, wie die Funken waagerecht flogen, wie die Häuser abbrannten. Bebauung gab es bei uns jeweils nur auf einer Seite, dazwischen war das Wasser. Als ich wieder hochkam hatten wir nichts mehr. Das was wir gerade gemacht hatten war sinnlos gewesen, denn das Haus stand nicht mehr. Es brannte von oben nach unten durch in einer Geschwindigkeit, die man sich nicht vorstellen kann. Ich galt also als total ausgebombt.

    Das was ich auf dem Leib hatte, konnte ich nicht mehr verwenden. Mein Mantel war voller Brandlöcher, Schuhe und Strümpfe waren weg. Ich hatte nur noch mich, so wie ich war. Ich habe dann später vom Hilfszug Dr. Goebbels eine Männerturnhose und ein Männerturnhemd bekommen als notdürftige Bekleidung. Und wir haben zu Essen bekommen. Wir bekamen wirklich gut geschmierte Brote, damit wir überleben konnten. Ich habe mich dann bei meiner Tante und bei meinem Onkel auf der Reckestrasse in Dresden-Plauen in Sicherheit gebracht.

    Meine Tante hatte ihre Mutter aus Köln in Dresden untergebracht weil Dresden ja als sichere Stadt galt, die nicht angegriffen wird. Wir hatten kaum Splittergräben, wir hatten keine offiziellen Bombenkeller. Es gab nichts wo sich Menschen hätten in Sicherheit bringen können. Garnichts. Und meine Tante bat mich nach ihrer Mutter zu sehen. Ich hatte einen Morgenmantel von meinem Onkel an. Mit dem bin ich durch die Stadt gelaufen. Am Hauptbahnhof waren links und rechts die Leichenberge aufgetürmt. Ich bin nicht groß, etwa 1,60 Meter, aber ich konnte gerade so hochlangen. Links und rechts lagen nun die Toten und es verbreitete sich ein unbeschreiblicher Geruch. Ein fürchterlicher Geruch, der mich wochenlang verfolgt hat. Süßlich, faulig – es war furchtbar. Ich bin weiter gegangen und kam dann tatsächlich an.

    Dresden 1945: Zerstörtes Stadtzentrum. | Foto: Bundesarchiv, Bild 146-1994-041-07 / CC-BY-SA 3.0, Wikimedia Commons

    Inmitten der Trümmer fand ich einen kleinen Trampelpfad, Menschen waren vor mir gegangen, gekrochen, geklettert – ich auch. Auf der rechten Seite kniete ein Mann, die Hände vorm Gesicht, das linke Bein ausgestreckt. ‚Oh Gott‘, dachte ich. ‚Der hat jemanden gefunden, da musst du hin.‘ Nein, er war tot! Und die Luftmine – es muss eine Luftmine gewesen sein – hatte den gesamten Darmsack aus dem After getrieben, er hing wie eine riesengroße grünlich-bläulich schimmernde Beule hinter ihm. Es war furchtbar, es war ganz furchtbar.

    Ich habe Tote gesehen, dass man es gar nicht mehr erfassen kann. Später waren sie auf dem Altmarkt dabei, mit Flammenwerfern die Leichen zu verbrennen. Aber was bis jetzt niemand gesagt hat, die Soldaten bzw. Angehörige des Militärs waren dabei den Toten zur Identifikation die letzten Dinge abzunehmen, die noch vorhanden waren. Ohrringe, Ketten, Ringe, Uhren. Es war ein Wassereimer der voll war. Das sind meine Erlebnisse an den Krieg und ich vergesse nichts. Wir sind nach 1945 jeden 13.Februar schweigend zur Ruine der Frauenkirche gelaufen. Wir haben dort gestanden, das Wetter mochte sein wie es wollte, still – haben unsere Kerzen entzündet und auf das Läuten der letzten Glocken gewartet. Das war eine Sache die sehr unter die Haut ging und ich hoffe, dass es auch weiterhin ein würdevolles Erinnern bleibt, ein würdevolles das wir den Toten schuldig sind!“ (Quelle: dresden-gedenken.info)

    Weitere Zeitzeugenberichte, eine fundierte Darstellung der Bombardierung und Fakten zur Zerstörung der Elbmetropole, die in der öffentlichen Debatte unter den Tisch fallen, finden Sie in COMPACT-Geschichte Dresden 1945. Die Toten, die Täter, die Verharmloser.

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