76 Jahre Bombardierung Dresdens: Die Luftangriffe gegen deutsche Städte folgte von Anfang an der Vernichtungslogik Churchills. Zivile Opfer wurden dabei nicht als Kollateralschäden angesehen, sondern waren eigentliches Ziel der mörderischen Angriffe. Wir nennen die wichtigsten Quellen. Weiterführend: COMPACT-Geschichte Dresden 1945 – Die Toten, die Täter, die Verharmloser. Das Heft kann man hier bestellen.

    Die ersten Luftschläge im Zweiten Weltkrieg führten nicht etwa die Deutschen, sondern die britische Royal Air Force (RAF) aus – und zwar fern der Front, im Hinterland des Feindes. Vonseiten Englands ist dies sowohl von damals maßgeblichen Politikern wie Luftfahrt-Staatssekretär James Spaight (1944) oder Churchills Kabinettsmitglied Lord Hankey (1950) als auch von prominenten Historikern, etwa von Basil Liddell Hart (1946), J. F. C. Fuller (1948), Denis Richards und Hilary Saunders (1953; offiziöse Geschichte der RAF) oder A. J. P. Taylor (1965), eingestanden worden.

    Spaight bekundete in seinem Buch Bombing Vindicated:

    Wir begannen, Städteziele in Deutschland zu bombardieren, ehe dies die Deutschen in England taten. Das ist eine historische Tatsache, die auch öffentlich zugegeben worden ist.

    In Taylors English History 1914–1945 kann man lesen:

    „Die britische Initiative ist völlig klar. Die deutsche Bombardierung von Warschau und Rotterdam war Teil eines militärischen Feldzuges, eine Ausdehnung vorausgegangener Artilleriebeschießung verteidigter Städte. Der Blitz begann erst, nachdem die Briten schon fünf Monate lang deutsche Städte bombardiert hatten.“

    Dem Angriff der deutschen Luftwaffe auf die englische Rüstungsmetropole Coventry im November 1940, der häufig fälschlicherweise als „Beginn des Bombenterrors“ im Zweiten Weltkrieg bezeichnet wird, waren beispielsweise allein 24 Angriffe der RAF auf Dortmund vorausgegangen, wie sich aus der Chronik der Lokalhistorikerin Katharina Tiemann ergibt, die in dem Buch Stadtgeschichte in Bildern und Berichten erschien, das 1995 vom Historischen Verein für Dortmund herausgegeben wurde.

    Churchills Mordgelüste

    Auch die Bundesregierung unter Konrad Adenauer wies schon früh auf den korrekten Ablauf hin. In ihren Dokumenten Deutscher Kriegsschäden, veröffentlicht im Jahr 1958, heißt es:

    „Mit dem Tagesangriff vom 4. September 1939 gegen Schiffsziele vor Wilhelmshaven und gegen den Nordostseekanal hat die RAF den Luftkrieg praktisch eröffnet. (…) Die in dem Bericht des Oberkommandos der Wehrmacht erwähnten feindlichen Angriffe auf drei Orte im Ruhrgebiet in der Nacht vom 10. zum 11. Mai 1940 sind als Einleitung des Städtebombardements anzusehen. Mit diesem Datum begann ein neuer Abschnitt der Kriegsgeschichte.“

    Sieht man also von der Ende November 1939 erfolgten sowjetischen Bombardierung der finnischen Hauptstadt Helsinki ab, kam es im Zweiten Weltkrieg in der Nacht zum 11. Mai 1940 zum ersten Bombenangriff auf eine frontferne Stadt.

    Der Historiker Jörg Friedrich schreibt dazu in seinem Standardwerk Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940–1945:

    Das britische Kabinett hatte nach Churchills Amtsantritt den Grundsatz des Zivilschutzes aufgehoben. Die erste bombardierte deutsche Stadt war Mönchengladbach, wo fünfunddreißig Hampdens und Whitley-Bomber Straßen und Schienenwege bombardierten. Dabei kamen vier Zivilisten um, darunter eine dort ansässige Engländerin.

    Gleich darauf folgten Angriffe der RAF auf Aachen, Dortmund, Essen, Hamm und Hannover.

    Im Juni 1940, so Friedrich weiter, erklärte Churchill: „Wir werden Deutschland zu einer Wüste machen, ja, zu einer Wüste!“ Es gelte, so der Londoner Premier, „ein gewaltiges Feuer in Hitlers eigenem Hinterhof“ zu entfachen. Im Sommer 1940 habe der britische Regierungschef laut Der Brand seinem Rüstungsminister Beaverbrook bei einem Lunch eröffnet: „Es gibt eine Sache, die Hitler niederwirft, und das ist ein absolut verwüstender Ausrottungsangriff („exterminating attack“) durch sehr schwere Bomber.“

    Im April 1941 habe Churchill dann seine „Bombenmoral“ wie folgt beschrieben: „Es gibt knapp 70 Millionen bösartige Hunnen. Die einen sind heilbar, die anderen zum Umbringen.“ („… some of whom are curable and others killable“).

    Anglo-amerikanische Eskalation

    Doch nicht nur der Ausbruch, sondern auch die Eskalation des Luftkrieges ging auf alliiertes Konto: Das Flächenbombardement, der Feuersturm mit lnjektoreffekt (Unterdruck, etwa im Keller von Häusern, der Gase aus oberen Brandstellen hinabzieht) und die verheerende Phosphorbombe wurden von der Royal Air Force entwickelt, während das teuflische Napalm, das zu Massenverbrennungen und -vergasungen führt, das verbrecherische „Strafing“ (Bezeichnung für die vom amerikanischen Luftwaffengeneral Spaatz im Spätsommer 1944 konzipierten Tieffliegerangriffe „auf alles, was sich bewegt“) und die – nicht gegen das Deutsche Reich, aber gegen Japan – eingesetzte Atombombe, die allen Grundsätzen einer nur halbwegs moralischen Kriegführung zuwiderläuft, erstmals von der Luftwaffe der US Army eingesetzt wurden.

    Als am 15. Februar 1945 die letzten Bomber das Stadtgebiet von Dresden wieder gen Westen verließen, lagen 40 Stunden Bombenterror hinter der Stadt. Das Ausmaß der vier Angriffswellen ist mit Worten kaum zu beschreiben. Tausende verbrannten im Feuersturm bei lebendigem Leibe, andere wurden verschüttet. Das als sicher geltende Dresden war damals voller Flüchtlinge. Viele mussten ihre Hoffnung mit dem Leben bezahlen. Dresden 1945 gilt seitdem als Fanal für Terror gegen die Zivilbevölkerung. Militärisch sinnlos wurde das einst blühende Elbflorenz nahezu vollends zerstört. Wolfgang Schaarschmidt hat das Inferno überlebt und jahrelang recherchiert. Mit seinem Werk kann man jetzt den Herunterschwindlern und Verharmlosern der Opferzahlen mit vielen neuen Fakten wirksam begegnen. Den über 100.000 Bombenopfern ist damit ein würdiges Denkmal gesetzt. Hier bestellen.

    Die totale Enthemmung des anglo-amerikanischen Bombenkrieges zeigt sich auch daran, dass zum Schluss sogar Krankenhäuser zu Punktzielen der Alliierten werden konnten.

    Jörg Friedrich macht dies am Beispiel des Angriffs auf das katholische Hospital von Dinslaken am 23. März 1945 deutlich. „Zwei Wöchnerinnen mit ihren Säuglingen waren sofort tot“, schreibt er und zitiert des Weiteren den Bericht von Chefarzt Dr. Otto Seidel:

    „Mit einem Blick bemerkte ich, dass sämtliche Patienten in den zerborstenen Betten tot waren, dann machte ich mich an die Beseitigung des Trümmerschutts, um an die noch Lebenden heranzukommen. Es gelang mir, eine Mutter mit zwei Kindern freizubekommen. Die nächste Arbeit galt einer vollkommen gelähmten Patientin, aber ich konnte sie nur noch als Tote bergen. Neben ihr lag ein Mädchen von zehn oder elf Jahren. Es war kurz vorher mit mehreren Beinbrüchen bei uns eingeliefert worden. Nun lag es vor mir mit einem meterdicken Betonklotz auf dem kleinen Kopf, der platt gedrückt war wie ein Buch.“

    Friedrich berichtet weiter: „Kurze Zeit später wurden Flüssigkeitsbrandbomben abgeworfen, die sämtliche Ein-und Ausgänge des Krankenhauses blockierten. Noch lebende Patienten verbrannten.“ Wichtig ist noch der Hinweis des renommierten Historikers, der zu den Koryphäen der Luftkriegsforschung in Deutschland zählt: „Krankenhäuser waren auf dem Dach mit Rotkreuzzeichen bemalt, und 1945 zielten die Crews präzise genug, um bei Tageslicht ein Krankenhaus auszusparen.“ Offenbar sollte die Klinik in Dinslaken bewusst getroffen werden.

    Bombenopfer in Dresden | Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Bei der Konferenz von Casablanca im Januar 1943 hatten US-Präsident Franklin D. Roosevelt und Großbritanniens Premierminister Winston Churchill eine makabre Arbeitsteilung im Bombenkrieg vereinbart: Die US Air Force greift tagsüber an, die Royal Air Force nachts. So regneten rund um die Uhr Bomben auf deutsche Städte. Als Hauptangriffsgebiet wurde in Casablanca das Ruhrgebiet, Deutschlands industrielles Herz, ins Visier genommen – und als wichtigstes Ziel ihrer Luftschläge bezeichneten die politischen Führer der Westalliierten bei ihrem Gipfeltreffen in Nordafrika die „Unterminierung der Moral des deutschen Volkes bis zu einem Punkt, an dem seine Fähigkeit, bewaffneten Widerstand zu leisten, tödlich getroffen ist“. „Durch Casablanca“, schrieb der Chef des britischen Bomber Commands, Marschall Arthur Harris, „waren die letzten moralischen Hemmungen gefallen, und ich erhielt für den Bombenkrieg völlig freie Hand.“

    Die Todesbilanz

    Die Bilanz dieses alliierten Vernichtungskrieges aus der Luft ist erschütternd: Fast anderthalb Millionen Tonnen Bomben wurden im Zweiten Weltkrieg auf deutsche Städte geworfen, rund 80 Prozent davon fielen 1944/45, eine halbe Million Tonnen allein noch zwischen Januar und April 1945. Die am häufigsten attackierten Städte waren Berlin (389 Luftangriffe), Duisburg (299), Essen (272), Köln (262), Düsseldorf (243) und Hamburg (213). Von allen Großstädten mit über 250.000 Einwohnern wies Dortmund mit 65 Prozent den höchsten Zerstörungsgrad durch Luftkrieg auf, bei den kleineren Großstädten war es Würzburg mit 75 Prozent, bei den Städten bis zu 100.000 Einwohnern Pforzheim, das zu 64 Prozent zerstört wurde.

    Was die Opferzahlen unter der deutschen Zivilbevölkerung anbelangt, so sind diese schwer zu ermitteln und werden heute eher heruntergerechnet, statt sie seriös zu beziffern. Nach Mindestschätzungen gab es auf deutscher Seite eine halbe Million Tote durch die alliierten Bombenangriffe, es kann aber durchaus auch eine Million gewesen sein, davon etwa 20 Prozent Kinder. Allein die Schätzungen der Totenzahl von Dresden (13. bis 15. Februar 1945) divergieren von fünf- bis zu sechsstelligen Zahlen. Mehrere Millionen Menschen wurden verwundet, viele davon, auch Kinder, blieben zeitlebens Krüppel.

    Weitere wichtige Quellen, eine fundierte Darstellung der Bombardierung und Fakten zur Zerstörung der Elbmetropole, die in der öffentlichen Debatte unter den Tisch fallen, finden Sie in COMPACT-Geschichte Dresden 1945. Die Toten, die Täter, die Verharmloser.

    Kommentare sind deaktiviert.