Das gestrige EM-Vorrundenspiel Deutschland gegen Ungarn geriet auf sportlicher Ebene erst zu einem Krimi und dann zu einem Drama. Die Begleitumstände machten allerdings wieder einmal deutlich, dass Deutschland mittlerweile kein guter Gastgeber mehr für ein sportliches Großereignis ist. In der Juni-Ausgabe von COMPACT können Sie in dem Artikel von Sven Eggers nachlesen, wie der Sport an politischer Korrektheit stirbt. Hier mehr erfahren.

    Voller Inbrunst und mit Tränen in den Augen stimmten die ungarischen Nationalspieler nach dem gestrigen EM-Vorrundenspiel gegen Deutschland vor dem eigenen Fanblock gemeinsam mit ihren Anhängern die Nationalhymne an:

    Herr, segne den Ungarn
    Mit Frohsinn und mit Überfluss.
    Beschütze ihn mit deiner Hand,
    Wenn er sich mit dem Feind schlägt.
    Denen die schon lange vom Schicksal nicht verschont,
    Bring ihnen eine bessere Zeit.
    Denn dies Volk hat schon genug gebüßt
    Für Vergangenes und Kommendes

    Im Kreis seiner Spieler befand sich dabei selbstverständlich auch ihr italienischer Trainer Marco Rossi, der schon seit 2012 in Budapest arbeitet und längst im Land der Magyaren heimisch geworden ist.

    Der Thriller von München

    Zuvor hatten die gut 12.000 Fans in der Münchner Allianz Arena einen atemberaubenden Thriller verfolgen können, der sich fast wie eine direkte und genaue Umkehrung des Wunders von Bern, also des WM-Endspiels von 1954, anfühlte.

    Damals war die Aranycsapat, also Ungarns Goldene Elf der frühen fünfziger Jahre, als haushoher Favorit in das Finale gegangen und hatte dort dann eine 2:3-Niederlage gegen den krassen Außenseiter Deutschland bezogen. Gestern aber war es der Underdog Ungarn, der in einem mit äußerster Einsatzbereitschaft geführten Spiel seine Führung bis zur 84. Minute verteidigte, was das EM-Aus für Deutschland bedeutet hätte.

    Als gestern Ungarn und Deutschland nach geschlagenen 67 Jahren erstmals wieder zu einem Pflichtspiel aufeinandertrafen, da schien der Wettergott eine feine Ironie zu beweisen, denn wieder schüttete es wie aus Kübeln. Doch damit enden dann auch die Gemeinsamkeiten.

    Denn während das WM-Finale von 1954 von größtem gegenseitigen Respekt und Fairness geprägt war – der damalige deutsche Kapitän Fritz Walter schilderte immer wieder, dass er selbst im Moment des vermeintlich größten Triumphes nach dem Schlusspfiff Mitleid mit den geschlagenen ungarischen Fußball-Helden empfand und deshalb nur gedämpft jubelte – geriet die Neuauflage des  Jahres 2021 zu einer durch und durch politisch vergifteten Partie.

    Das neue Budapester Stadion ist nach Ferenc Puskás, den größten Spieler der ungarischen Fußballgeschichte, benannt. Hier könnte sogar noch die Finalrunde der EM 2021 ausgetragen werden, falls London diese wegen der weiteren Ausbreitung der Delta-Variante verliert. Foto: ZGPhotography I Shutterstock.com.

    „Södolf“ zeigt die Regenbogenmaske

    Die Stadt München wollte die Allianz-Arena in den Regenbogenfarben leuchten lassen, um damit ein Signal gegen die angeblich homophobe Regierung des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zu setzen. Die UEFA musste erst ein Machtwort sprechen und dieses bei einem internationalen Sportereignis völlig deplatzierte politische Statement förmlich untersagen, um den Polit-Amoklauf der Münchener Stadträte und des Oberbürgermeisters Dieter Reiter (SPD) zu unterbinden.

    Leider führte dies nicht zu einem Anflug von Einsicht auf deutscher Seite. In den letzten Tagen überboten sich Medien und Politiker gegenseitig regelrecht mit Vorschlägen, wie man das EM-Spiel durch diverse Aktionen politisch missbrauchen und aufladen könne.

    Dies hatte schließlich die Absage des ursprünglich geplanten Besuchs von Viktor Orban in der Allianz-Arena zur Folge. Dafür stolzierte gestern Abend der bayerische Ministerpräsident Markus Söder mit Regenbogenmaske ins Stadion.

    Markus Söder (hinten) mit seinem Parteifreund Markus Blume beim gestrigen Spiel in München. Foto: Screenshot Twitter Markus Blume

    Während der ungarischen Hymne stürmte dann ein Flitzer im DFB-Trikot und mit Regenbogenfahne auf das Spielfeld. Eine unnötige Provokation leistete sich auch Leon Goretzka, der nach dem Erzielen des Ausgleichstreffers zum ungarischen Gästeblock stürmte und ein Herzzeichen zeigte.

    Manuel Neuer wiederum hielt nach dem Spiel demonstrativ seine Regenbogen-Armbinde in die Kameras. Man darf  darauf wetten, dass die deutschen Spieler bei der im nächsten Jahr anstehenden WM in Katar auf solche symbolpolitischen Aktionen dann wieder gänzlich verzichten werden – Gratismut findet man nämlich sehr häufig, echten Mut hingegen fast nie.

    Stolze Ungarn

    Von dem Geist der Fairness und des gegenseitigen Respekts, der das WM-Finale 1954 noch so stark geprägt hatte, war gestern kaum noch etwas zu spüren, was leider vor allem an der deutschen Seite lag. Die ungarischen Fans unterstützten ihre Mannschaft, die sich gestern für viele Menschen auf dem ganzen Kontinent zum Europameister der Herzen spielte, hingegen auch noch nach dem Ausscheiden aus dem Turnier auf vorbildliche Weise.

    Die ungarische Fußball-Nationalmannschaft hat sich gestern viele neue Fans erspielt. Hier ein Foto aus dem März 2021 bei einem WM-Qualifikationsspiel gegen Andorra. Foto: Martin Silva Cosentino I Shutterstock.com.

    Die spanische Zeitung Sport bilanzierte:

    Das Wunder ist ausgeblieben. Die ungarische Nationalelf stand kurz davor, die Helden des Jahres 1954 zu rächen. (…) Gegen ein großes Ungarn hat Goretzka Deutschland gerettet.

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