Wird irgendwo der Hitlergruß gezeigt, besonders übel gehetzt, zu Gewalt angestachelt oder Sprengstoff gehortet, ist meistens ein V-Mann des Verfassungsschutzes nicht weit. Das zeigt auch Karlheinz Weißmann in seinem neuen Buch «Zwischen Reich und Republik – Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten». Brisante Enthüllungen! Hier mehr erfahren.

    In den Jahren nach der Wende hatten Fernsehreportagen über Neonazis Hochkonjunktur. Für eine Kiste Bier oder 50 Mark hob so mancher Skinhead vor der Kamera den rechten Arm, Jugendliche marschierten im Braunhemd durch die Straßen, die Brandanschläge von Mölln und Solingen erschütterten die Öffentlichkeit. Hinzu kamen Wahlerfolge der Republikaner und der DVU. Die großen Politmagazine hatten also genügend Material, um das Heraufdämmern eines Vierten Reiches an die Wand zu malen.

    Thüringer Panoptikum

    Den Grusel vor Hitlers Enkeln kitzelte vor allem ein Beitrag, der am 20. September 1992 von Spiegel  TV  ausgestrahlt wurde: Auf einem ehemaligen Truppenübungsplatz der NVA nahe Erfurt hatte sich eine Gruppe zumeist vermummter Gestalten versammelt, um, wie es heiß, «den Sturm auf ein Asylbewerberheim» zu üben. Vermeintliche Waffen und Sprengstoff wurden präsentiert, als Anführer des Trupps wurde ein gewisser Thomas Dienel vorgestellt.

    Der damals 31-Jährige war für die Zuschauer von Spiegel  TV kein Unbekannter: In einer anderen Reportage hatte der vormalige NPD-Mann, der nun Vorsitzender einer ominösen Deutsch-Nationalen Partei (DNP) war, vor Anhängern gegrölt:

    «In Auschwitz wurde niemand umgebracht. Und ich sage es klipp und klar: Leider wurde niemand umgebracht.»

    Dieser Auftritt brachte Dienel nicht nur eine Verurteilung wegen Volksverhetzung ein, er empfahl sich damit offenbar auch als V-Mann des Inlandsgeheimdienstes. Nach Absitzen seiner Haftstrafe hatte er in den Jahren 1996 und 1997 insgesamt 93-mal Kontakt zum Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz.

    In einem Interview sagte er später, ein Mitarbeiter des Dienstes habe sich ihm zunächst als Bewährungshelfer vorgestellt. Als Informant unter dem Decknamen «Küche» strich der gebürtige Weimarer ein Salär von rund 22.000 D-Mark ein (plus 6.800 D-Mark für «Essensaufwendungen»). Freilich schwor er seiner Gesinnung nicht ab, sondern hetzte munter weiter – nun auf VS-Ticket.

    VS-Spitzel Tino Brandt (l.) beim Neonazi-Abenteuerurlaub in Südafrika. | Foto: ZUERST-Archiv

    Zehn Jahre später saß Dienel mit 13 Kumpanen wegen Versicherungsbetrugs wieder auf der Anklagebank. Mit dabei war auch eine der widerwärtigsten Gestalten, die die deutsche Neonazi-Szene je hervorgebracht hat: Tino Brandt. Der aus Rudolstadt stammende Pygniker war ein Multifunktionär der rechtsextremen Szene: Er hatte nicht nur hohe Posten bei der NPD inne, sondern war auch am Aufbau des berüchtigten Thüringer Heimatschutzes beteiligt, in dessen Umfeld sich das NSU-Trio Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe tummelte.

    Unter dem Decknamen «Otto» war er seit 1994 als Spitzel des LfV tätig. Als er und weitere V-Männer im Mai 2001 aufflogen, musste Behördenchef Helmut Roewer seinen Hut nehmen. Der Spiegel schrieb damals, der Thüringer VS habe viel dafür getan, «die NPD-These zu stützen, dass der Verfassungsschutz die Partei in die militante Neonazi-Ecke treibe, um sie besser verbieten zu können».

    Tatsächlich war die Akte Brandt – ohne Verweis auf dessen Spitzeltätigkeit – 2001 Kernstück des Verbotsantrags der Bundesregierung gegen die NPD. Welche menschlichen Abgründe sich bei dem Staatsnazi auftaten, wurde deutlich, als er im Dezember 2014 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und Förderung von Prostitution in 66 Fällen zu fünfeinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde.

    Spitzel und Provokateure

    Doch die Durchsetzung rechtsextremer Strukturen mit V-Männern des Verfassungsschutzes ist nicht erst seit den 1990er Jahren bekannt. Nachfolgend einige Fälle aus den beiden Jahrzehnten zuvor und den späten Neunzigerjahren:

    ◾️Werner Gottwald: Der vorbestrafte Betrüger und Pleitier aus Oldenburg in Niedersachsen spitzelte von 1973 bis 1977 für das Bundesamt für Verfassungsschutz und beschaffte mit Wissen der Behörde Faustfeuerwaffen, Maschinenpistolen, Handgranaten und Plastiksprengstoff im Wert von ungefähr 250.000 Euro für die Neonazi-Szene.

    ◾️Hans-Dieter Lepzien: Bei dem V-Mann des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz handelte es sich um eine der Schlüsselfiguren der sogenannten Braunschweiger Gruppe, die 1977 mehrere Bombenanschläge in Norddeutschland verübte. Der Taxifahrer aus Peine, der auch Michael Kühnens Aktionsfront Nationaler Sozialisten (ANS) und der aus den USA gesteuerten NSDAP/AO angehörte, beschaffte Sprengstoff, bastelte Bomben und stiftete seine Gesinnungsfreunde zu Straftaten an. 1981 wurde Lepzien zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Das Innenministerium in Hannover betrieb daraufhin die Revision des Urteils beim Bundesgerichtshof, bezahlte sogar einen Top-Juristen aus der Münchner Kanzlei von Promi-Anwalt Rolf Bossi und stellte ein Gnadengesuch beim Bundespräsidenten. Schließlich wurde dem VS-Spitzel die Strafe erlassen.

    NPD-Plakat aus dem Jahr 2014: In der Partei gaben sich V-Leute des Verfassungsschutzes die Klinke in die Hand. Foto: 360b / Shutterstock.com

    ◾️Werner Lock: Der sogenannte Sicherheitsbeauftragte der NSDAP/AO mischte in der Westberliner Neonazi-Szene mit. 1983 offenbarte er sich der Polizei und berichtete von einem konspirativen Treffen am 17. Juni 1977, bei dem Absprachen für Anschläge und Überfälle getroffen worden seien. «Ein Zehntel der Anwesenden Nazis bei diesem Treffen waren V-Männer», so der Journalist Burkhard Schröder bei Telepolis. Außerdem packte er über Querverbindungen von Rechtsextremisten zur CIA aus.

    ◾️Joachim Apel: Der Chefpropagandist der sogenannten Kampfgemeinschaft Nationaler Sozialisten aus Emden beschaffte Waffen und half bei Brandanschlägen mit. Bei einem Prozess vor dem Landgericht Aurich gab er an, sich dem niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz verdingt zu haben.

    ◾️Norbert Schnelle: Der V-Mann des nordrhein-westfälischen VS-Landesamtes war zunächst bei den Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, aktiv. Von 1983 bis 1985 erhielt er vom Amt rund 14.400 D-Mark, die er in den Aufbau der später verbotenen Nationalistischen Front (NF) steckte. Deren Sicherheitschef Michael Wobbe, der 1992 vom niedersächsischen VS angeworben wurde, sagte später, dass ohne Schnelle «so mache Kameradschaft gar nicht erst entstanden» wäre.

    ◾️Klaus Blome: Der DVU-Politiker wurde mit seinem Einzug in die Bremische Bürgerschaft 1991 vom BfV als Quelle abgeschaltet. Zuvor hatte er seine Partei jahrelang ausgeforscht.

    ◾️Mike Layer: Er arbeitete als JN-Funktionär 1996/97 dem VS in Baden-Württemberg unter dem Decknamen «Fritz» zu. Er war unter anderem Landesvorsitzender der NPD-Jugend im Ländle.

    ◾️Marcel Degner: Führungskader von Blood & Honour aus Thüringen, organisierte 1996 eine Randale-Fahrt von Neonazis zur Gedenkstätte Buchenwald, über die bundesweit berichtet wurde. Er war VS-Spitzel von 1996 bis 2000.

    ◾️Toni Stadler: Er arbeitete in den Jahren 2001/02 dem LfV Brandenburg zu. Während seiner Zeit war er Vertriebschef der Neonazi-Band White Aryan Rebels, die auf ihrer CD Noten des Hasses zum Mord an den Fernsehmoderatoren Alfred Biolek und Michel Friedman aufrief.

    ◾️Doris König: Sie wurde 2008/09 vom niedersächsischen VS unter dem Decknamen «Sandra Franke» als V-Frau geführt. Sie verbreitete über das European Brotherhood Radio unter ihrem Pseudoym «Gefjon» Antisemitismus und Holocaust-Leugnung.

    Schlapphut und Schlagring

    Mit der Zeit erweiterte sich das Aktionsfeld des Verfassungsschutzes enorm. 1993 drehte der Dokumentarfilmer Winfried Bonengel mit Steuergeldern den Streifen Beruf Neonazi, der den Rechtsextremisten Bela Ewald Althans porträtierte – neben Michael Kühnen damals eine der Führungsfiguren der Szene.

    Schauriger Höhepunkt des Filmes ist eine Sequenz aus der Gedenkstätte Auschwitz. Althans bestreitet den Massenmord an den Juden, höhnt breit grinsend in die Kamera:

    «Die ganzen Läuse muss man vergasen. Flugläuse müssen ausgerottet werden.»

    Zu dieser Zeit war der blonde Hüne Kontaktmann des deutsch-kanadischen Holocaust-Leugners Ernst Zündel und betrieb in München einen Laden mit Propagandamaterial. Jahre später stieg er unter großem Bohei aus dem Neonazi-Milieu aus und offenbarte seine Zusammenarbeit mit den VS-Behörden. Über mehrere Jahre sollen ihm die Dienste insgesamt ein sechsstelliges Honorar gezahlt haben. Fortan organisierte er SM-Events für die Schwulenszene.

    Aber wie in früheren Jahren beschränkten sich V-Leute nicht nur auf Hetze, sondern verübten schwere Straftaten. Diese Fälle stechen heraus:

    ◾️Bernd Schmitt: Der V-Mann des NRW-Verfassungsschutzes betrieb eine Kampfsportschule in Solingen. Im Prozess um den Brandanschlag in der Stadt im Bergischen Land 1993 stellte sich heraus, dass er die jugendlichen Täter förmlich angestachelt hatte. Schmitt selbst war 17-mal vorbestraft, unter anderem wegen Diebstahls, Betrugs und Körperverletzung. Das LfV hatte ihn 1992 angeworben, er gründete einen Deutschen Hochleistungs-Kampfkunstverband und infiltrierte rechtsextreme Strukturen, darunter die Nationalistische Front.

    ◾️Thomas Lemke: Unter diesem Decknamen wurde 1996 ein V-Mann des LKA Baden-Württemberg bekannt, der in den Jahren zuvor mit einer von ihm aus der Taufe gehobenen Kameradschaft Karlsruhe Jugendliche aufhetzte. Man konnte ihm später drei Morde nachweisen, die er zur Verdeckung von Sexualverbrechen begangen hatte. Nach eigenen Angaben habe er dabei «auf Befehl des germanischen Todesgottes Odin» gehandelt. Er landete in der Psychiatrie.

    ◾️Michael Grube: Der vormalige NPD-Kreisvorsitzende von Wismar war unter anderem an der Planung und Durchführung eines Brandanschlags auf eine Pizzeria in Grevesmühlen beteiligt und schlug einen Jugendlichen krankenhausreif. Über ihn kam Ende 1999 heraus, dass er sich 1997 als V-Mann des Landesamtes für Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern anheuern ließ (Deckname «Martin»). 2001 berichtete der Spiegel: «Grube trat – auch auf Wunsch der Behörde – einer ultraradikalen Gruppierung bei. Begründung seines V-Mann-Führers: In der NPD gibt es schon genug Spitzel.» Bei seiner neuen Truppe handelte sich um die Sozialistische Volkspartei (SVP).

    Die Bombe platzt

    Die wohl größte V-Mann-Bombe platzte 2002 während des ersten Verbotsverfahrens gegen die NPD, als bekannt wurde, dass mit Udo Holtmann und Wolfgang Frenz zwei führende Funktionäre der Partei, die viel an belastendem Material beigetragen hatten, jahrelang für den VS arbeiteten, Letzterer sogar seit 1961.

    Das Bundesverfassungsgericht stellte 2003 das Verfahren ein, da man sich nicht mehr sicher sein konnte, ob nicht noch weitere V-Leute zu der «fehlenden Staatsferne», wie es in der Begründung hieß, beigetragen hatten. Wie viel an Neonazismus und Rechtsextremismus heute auf das Konto von VS-Spitzeln geht, kann nur gemutmaßt werden. Es dürfte aber – sieht man sich die Fälle der Vergangenheit an – einiges sein.

    Mehr über die Infiltration von rechten und rechtsextremen Parteien durch Geheimdienste erfahren Sie in dem neuen Buch «Zwischen Reich und Republik – Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten» von Karlheinz Weißmann. Brisante Enthüllungen! Hier bestellen.

     

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