Attentat auf den serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic, 12. März 2003: Die neue Mini-Serie auf Arte „Das Attentat – Geheimoperation Belgrad“ ist spannend – aber lässt alles weg, was nicht in die NATO-Geschichtsschreibung passt. Hier gibt es die wahre Geschichte.
Jugendlich, dynamisch, gutaussehend, eine schöne Frau an seiner Seite: Zoran Djindjic war, wie 40 Jahre zuvor JFK, die Hoffnung der Jugend. Nach dem Sturz Milosevics im Oktober 2000 wurde er Ministerpräsident und sollte Serbien nach den Entbehrungen der Kriege und Sanktionen wieder zu Wohlstand und internationaler Anerkennung führen. Die achtteilige Serie, die derzeit auf Arte zu sehen ist, stellt den Politiker als Sympathieträger vor, der einem finseren Komplott zum Opfer fiel. Aber wer waren die Verschwörer?
Der Schock nach Djindjics Ermordung am 12. März 2003 saß tief: In Belgrad folgten eine halbe Million Menschen seinem Sarg, tagelang sendeten die Rundfunk- und Fernsehanstalten nur Trauermusik. Der Anschlag wurde schnell der Mafia und den mit ihr angeblich verbandelten Patrioten in die Schuhe geschoben. Die Operation Sabija (Säbel), die im Zentrum der Aerte-Serie steht, sollte alle ausschalten, die man im weitesten Sinne mit diesem Feindbild in Verbindung bringen konnte, angefangen von Anhängern des gestürzten Milosevic bis zu Vertrauten des Staatspräsidenten Vojislav Kostunica, dem Gegengewicht zum eher linksliberalen Djindjic, und der militärischen Sondereinheit Rote Barette. Über 10.000 Verdächtige wurden inhaftiert, mehrere Mafia-Mitglieder – darunter der angebliche Todesschütze – kurzerhand „auf der Flucht erschossen“, die Staatsorgane gesäubert. Für Patrioten hierzulande ein Leehbeispiel, was nach einer False Flag-Aktion und Verhängung des Notstandes auch in der BRD passieren würde. Aber war das Djindjic-Attentat eine False Flag-Aktion? Dafür gibt es Zeugen – die allerdings in der Arte-Verfilmung nicht vorkommen.
Ein Inside Job

Solche Zeugen – „drei unabhängige Quellen, allesamt in Positionen, die gute Informationen verbürgen“ – präsentierten im Herbst 2003 das der militärischen Abwehr nahestehende Wochenblatt „Nedeljni Telegraf“ und die auflagenstarke Tageszeitung „Kurir“. Demnach sind Videoaufnahmen von einem „hochgestellten Regierungsmitglied“ aufgetaucht, als dieses einige Tage vor dem Attentat das Hauptquartier des Zemun-Clans betritt – diese Mafia-Bande hat nach allen bekannten Ermittlungsergebnissen den Mord zumindest mit ausgeführt, wenn auch nicht allein. Ein Minister sagte „Telegraf“ unter dem Siegel de Anonymität: „Es wird ein Schock für die Öffentlichkeit sein, wenn sie erfährt, dass der Mörder Djindjics in dessen unmittelbarer Umgebung in der Regierung saß.“
Einen entsprechenden Verdacht war bereits Mitte Juni 2003 geäußert worden. Ein Wärter im Belgrader Zentralgefängnis (hier weiterlesen).

Zarko Korac, der Vorsitzende einer Regierungskommission zur Untersuchung der Mordumstände, bestritt gegenüber $Kurir$, Hinweise auf die Tatbeteiligung von Regierungsmitgliedern zu haben. Doch auch im Abschlussbericht seiner Kommission vom 13. August 2003 finden sich Hinweise, dass die Attentäter in Djindjics Umfeld Unterstützer gehabt haben müssen: So wurden die Überwachungskameras am Tatort, dem Sitz der serbischen Regierung, just zwei Tage vor dem Mord abgeschaltet. Und als der Premier am 12. März aus seinem Wagen ausstieg und seinen Dienstsitz betreten wollte, fand er das Eingangstor verschlossen. So musste er warten und bot ein ideales Ziel. Auch dieses wichtige Detail fehlt in der TV-Serie.
Der zweite Schütze
Elektrisierend sind die Aussagen von Djindjics Leibwächter, die bei Arte ebenfalls fehlen: Milan Veruovic leitete seit Jahren den Personenschutz des Politikers und war bei dem Anschlag selbst durch eine Kugel verletzt worden. Er berichtet, dass es einen zweiten Schützen gegeben haben muss – einen, der in der Anklageschrift nicht auftaucht – und beklagt, dass die Behörden sich beharrlich weigerten, ihn und seine Kollegen zu den genaueren Tatumständen auch nur zu befragen. Das renommierte Belgrader Wochenmagazin $Nin$ bot eine ganze Reihe kriminalistischer Experten auf, die diese Aussage durch Tatortexpertisen stützen. Demnach kam die für Djindjic tödliche Kugel aus einem Regierungsgebäude.
Veruovic selbst ging davon aus, dass der ominöse zweite Schütze vom Ausland geschickt worden sein dürfte. „Ich weiß nicht, wer dieser Mann sein könnte, aber Tatsache ist, dass ich (…) las, dass am 11. März eine Person am [kroatischen] Grenzübergang Batrovac eingereist ist und am 12. März wieder außer Landes eskortiert wurde, ohne Pass. Er wurde hereingebracht und hinauseskortiert, sagte ein hoher Offizier der [Sondereinheit] Roten Barette. (…) Ist es wahr, dass einer – ohne Pass und Papiere, ohne dass es irgend jemand registrierte – am 11. März irgendwie ins Land gebracht werden konnte und am 12. März wieder hinaus, wo wir doch alle wissen, was am 12. März passiert ist?“
Was bei Veruovic noch nach Hörensagen klang, wurde ausgerechnet vom serbischen Außenminister Goran Svilanovic weiter befeuert. Im kroatischen Fernsehen gab er den Anschuldigungen gegen die Regierungspartei DS neue Nahrung. Demnach gebe es (hier weiterlesen).

Die Interessen der USA
Die Diskussion über einen „ausländischen Faktor“ beim Tod Djindjics wird durch den Umstand angeheizt, dass der Premier sich am Todestag mit der schwedischen Außenministerin Anna Lindh hatte treffen wollen, die fast auf den Tag genau sechs Monate später ebenfalls ermordet wurde. Ebenfalls auffällig ist, wie sehr sein Nachfolger, der neue Premier Zoran Zivkovic, die außenpolitische Linie Serbiens änderte. Hatte sich Djindjic, im Volksmund als „nemacki covek“ (Mann der Deutschen) bezeichnet, vor allem an Vorgaben aus Berlin orientiert und wahrscheinlich Geld vom Rüstungslobbyisten Moritz Hunzinger und Wahlkampfhilfe von der Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD bekommen, erwies sich sein Nachfolger als treuer Gefolgsgänger Washingtons. Beim Staatsbesuch in den USA im Sommer 2003 bot er serbische Soldaten zur Unterstützung des Weltpolizisten in Afrika und Afghanistan an. Was vielleicht noch wichtiger war: Kaum war Djinjic unter der Erde, bekam der amerikanische Konzern US-Steel den Zuschlag für das größte serbische Stahlwerk in Smederevo, obwohl ein EU-Bankenkonsortium unter deutscher Führung sich mit einem Darlehen von 150 Millionen Euro bereits Vorkaufsrechte gesichert hatte. Kanzler Gerhard Schröder soll getobt haben, es gab (hier weiterlesen).
Ein weiteres Motiv für den Mord fasste Zivota Ivanovic, Autor des ersten Buches über das Attentat („Zoran Djindjic u mrezi Mafije“, Belgrad 2003) mir gegenüber so zusammen: „Eines ist sicher: Die USA haben Djindjic zur Macht gebracht und den Sturz von Milosevic finanziert. Andererseits war er ihnen zum Jahreswechsel 2002/03 lästig geworden, als er in den letzten Wochen seines Lebens eine neue Kosovo-Politik entwickelte: Er forderte eigene Kantone für die Serben, eine innere Grenze zwischen serbischen und albanischen Siedlungsgebieten und die Rückkehr serbischer Sicherheitskräfte in die Provinz. Damit war er zum Hindernis für die Politik von NATO und USA geworden, die das Kosovo möglichst schnell und geräuschlos in die Unabhängigkeit entlassen, das heißt, den Albanern schenken wollten. Folglich häuften sich im Januar und Februar 2003 in den westlichen Medien die negativen Berichte.“
Nach dreieinhalb Jahren Prozess wurden im Mai 2007 die Urteile gesprochen: Der angebliche Hauptattentäter Zvezdan Jovanovic und sein Auftraggeber „Legija“, beide Mitglieder des Zemun-Clans, bekamen 40 Jahren Haft, weitere neun Mafiosi zwischen 30 und 35 Jahren. Der Wiener „Standard“ fasste zusammen: „Der Prozess wurde von vielen Affären erschüttert. Der einzige Augenzeuge und einer der Kronzeugen sind ermordet worden. Sieben Staatsanwälte sind entweder zurückgetreten oder abgelöst worden. Auch der Chefrichter ist zurückgetreten, seine Nachfolgerin erhielt anonyme Morddrohungen.“
Warum wurde 2024/25 die Arte-Serie veröffentlicht (zunächst auf Serbisch unter dem Titel „Sabiha“), obwohl es gar keinen Jahrestag gab? Vielleicht, um den westlichen Druck auf den derzeitigen serbischen Staatschef Alexander Vucic zu erhöhen. Er weigert sich, in das Geheule der NATO gegen Russland einzustimmen und gilt als Überbleibsel der Ära Milosevic. Der Zuschauer, vor allem auf dem Balkan, soll denken: Hätte man Typen wie ihn ebenfalls schon 2003 abgeräumt, wäre heute alles viel besser…
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