Am 31. Mai feierte Clint Eastwood seinen neunzigsten Geburtstag. COMPACT hat diesen Anlass mit einem ausführlichen Porträt gewürdigt. Eastwood gehört als Urbild des „alten weißen Mannes“ zu einer Tradition, der man inzwischen den totalen Krieg erklärt hat. Es folgt ein Auszug aus dem Artikel „Ein glorreicher Halunke: Clint Eastwood wird 90“, den Sie in COMPACT  in COMPACT 06/2020 ungekürzt lesen können.

    Colt und Revolver waren seine besten Freunde, um politische Korrektheiten kümmerte er sich nie: Clint Eastwood wird 90 und hat schon wieder einen neuen Film am Start.

    _ von Phil Mehrens

    Make my Day! Dirty Harry macht auf der Jagd nach einem psychopathischen Serienmörder keine Kompromisse. Foto: Filmstills

    «Siehst Du, auf dieser Welt gibt es zwei Kategorien von Menschen: Die einen haben einen geladenen Revolver, und die andern – buddeln!» Vielleicht hat Clint Eastwood beim Dreh der Szene aus Zwei glorreiche Halunken, in der er Eli Wallach mit vorgehaltenem Colt ein Grab ausheben lässt, an die Zeit zurückgedacht, als er Gruben für Swimmingpools buddeln musste, um über die Runden zu kommen.

    Erst schießen, dann fragen

    Der Sohn eines kalifornischen Buchhalters wollte zunächst am Los Angeles City College studieren, schmiss aber nach zwei Semestern zugunsten der Schauspielerei hin. Man sah ihn in B-Filmen wie Jack Arnolds versponnener Horrormär Tarantula (1955). Man sah ihn aber auch beim Buddeln. Der Erfolg ließ lange auf sich warten. Doch als der Halunken-Film, der im Original The Good, the Bad and the Ugly (Der Gute, der Böse und der Hässliche) heißt, 1967 in die amerikanischen Kinos kam, war der Schauspieler, der bis dato in den USA vor allem durch die langlebige Westernserie Tausend Meilen Staub  bekannt geworden war, ein Star. Zwei – eigentlich drei – Halunken sind darin hinter einem Dollarschatz her, der auf einem Friedhof vergraben liegt, und man kann sich denken, dass die Schatzsuche kurz vor ihrem Ende steht, als Eastwood seinen Zweizeiler aufsagt. Der Streifen gilt als bester einer Reihe von drei Wildwestfilmen – die anderen beiden heißen Für eine Handvoll Dollar (1964) und Für ein paar Dollar mehr (1965) –, in denen der italienische Regisseur Sergio Leone auf die Musik von Ennio Morricone und die Mimik von Clint Eastwood setzte, um die Gattung der Pferdeoper zu revolutionieren.

    «Die einen haben einen geladenen Revolver, und die andern – buddeln!»

    Er schrieb damit Filmgeschichte. Und er machte seinen Hauptdarsteller zum Prototypen einer neuen Heldengattung: Eastwood spielt in allen drei Filmen einen Meister der Nonchalance und der sprachlichen Ökonomie. Es folgten 1968 der US-Western Hängt ihn höher, das Spionagedrama Agenten sterben einsam, das Eastwood an der Seite von Richard Burton in halsbrecherischer Mission auf eine Nazi-Hochburg führte, und Coogans großer Bluff, mit dem der Mime das Terrain für seine zweite, pferdefreie Leinwandkarriere bereitete: als knallharter Kriminaler. Regie führte – wie später bei Dirty Harry und dem Gefängnisdrama Flucht aus Alcatraz (1979) – Don Siegel, ein Genie der Effizienz, bei dem der Darsteller sich abgucken konnte, worauf es beim Filmemachen ankommt.

    «Dirty Harry» lässt nichts anbrennen

    Eastwood als Kriegsveteran Walt Kowalski in «Gran Torino». Foto: Filmstills

    1971 war das Jahr, das die Weichen für Eastwoods weitere, bis heute andauernde Kinokarriere stellte: Einerseits stiftete er als Unions-Hahn im Korb eines Konföderierten-Mädchenpensionats in dem vielschichtigen Sezessionskriegsdrama Betrogen  reichlich Unruhe und stellte damit unter Beweis, dass sein schauspielerisches Spektrum breiter ist als die Spanne zwischen Hand und Holster; andererseits legte er mit Dirty Harry  den Grundstein für Erfolg in Serie: Als Harry Callahan wurde der Schauspieler nicht nur zum Dauergast in den Kinohitparaden, sondern zugleich zur Ikone einer so noch nicht gesehenen Art von Kriminalfilm. Die skrupulöse Dosierung des Schusswaffengebrauchs durch Kripobeamte hatte sich mit den Dirty Harry-Filmen erledigt. Sie waren gleichsam Hollywoods Therapieprogramm für alle von der Hippie- und Flower-Power-Bewegung Genervten. Mit Peace-Emblem hat man Inspektor Callahan nie herumrennen sehen. Ein Anarchist war er auf seine Weise trotzdem. Insgesamt fünf Mal, zuletzt 1988 in Das Todesspiel, verkörperte der 1,93-Meter-Mann den harten Cop. 1983, beim vierten Film der Reihe, führte er auch selbst Regie. Die Arbeit hinter der Kamera begann ebenfalls 1971: In Sadistico spielte der Kalifornier nicht nur das Opfer einer Amok laufenden Kurzzeitgeliebten, er saß erstmals auch auf dem Regiestuhl. Gedreht wurde der Vorläufer von Adrian Lynes Stalker-Schocker Eine verhängnisvolle Affäre  (1987) in dem kleinen kalifornischen Küstennest Carmel, Eastwoods Wohnort. 1986 ließ er sich dort sogar zum Bürgermeister wählen. Es heißt, eine Verordnung, die den Verzehr von Eiscreme auf der Straße untersagte, habe ihn gestört. Wenn es eine Lehre aus Filmen der Marke Eastwood gibt, dann die, dass man sich mit Dingen, die einen stören, nicht abfinden muss.

    Zwei Mal war der Jubilar verheiratet. Seine zweite Ehe endete vor sechs Jahren. Auslöser war eine Reality-TV-Show seiner Frau Dina. Scheidung mit 84, rechtskräftig zwei Tage vor Weihnachten – das klingt nach einem, der auch privat seinen Stiefel durchzieht. Ganz wie Walt Kowalski, der knurrige Koreakriegsveteran aus Gran Torino (2008), ein Witwer, dessen ganze Liebe einem halb tauben Hund und einem alten Auto gilt. Mit einer Sprache – zotig, respektlos, rassistisch und vieles andere mehr, was Claudia Roth in den Wahnsinn treiben würde –, hält sich Eastwood alias Kowalski alle, die es gut mit ihm meinen, vom Leib und opfert sich am Ende gleichwohl in einem Akt christlicher Selbstverleugnung für die asiatische Nachbarsfamilie auf. Auf deutsche Verhältnisse übertragen wäre das so, als wenn Alexander Gauland unter Einsatz seines Lebens Jerome Boatengs Familie aus den Fängen irrer Entführer retten würde. Es wäre vermutlich der erste Tag in der Geschichte des vereinigten Deutschlands, an dem die Tagesschau ausfiele.

    «Was sollte Eastwood jetzt noch spielen?» Der Spiegel zum 80.

    Als Eastwood 1993 mit seiner 17. Regiearbeit Erbarmungslos vier Oscars holte, sahen viele seine filmische Mission erfüllt: Er hatte – was er bei der Western-Renaissance mit Pale Rider acht Jahre zuvor noch vermieden hatte – das Genre kräftig entmythologisiert. (…) Ende des Auszugs.

    Dieser Artikel erschien vollständig im COMPACT-Magazin 06/2020. Diese Ausgabe können Sie in digitaler oder gedruckter Form hier bestellen.

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