Die AfD rückt in die Stadtspitzen: Sabine Reinknecht (52) wird in Bad Salzuflen zur stellvertretenden Bürgermeisterin gewählt. Und in Bochum-Wattenscheid steigt Cedric Sontowski (29) zum stellvertretenden Bezirksbürgermeister auf. Was nach Randnotiz klingt, fühlt sich vor Ort wie ein politischer Seismographen-Ausschlag an – ein Erdbeben im Kleinen, das im ganzen Westen vibriert. Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt analysiert den Erfolg der AfD exzellent. Sein bemerkenswertes Buch „Das blaue Wunder“ über den Aufstieg der Blauen ist jetzt im COMPACT-Shop erhältlich. Hier mehr erfahren.
Die Salz- und Sole-Stadt, zwischen Gradierwerken und Bäderarchitektur, setzt ein Zeichen: Erstmals in der Geschichte Nordrhein-Westfalens thront eine AfD-Frau im Vizestuhl. Sabine Reinknecht, gelernte Krankenschwester und seit 2020 im Rat, erhielt am 5. November 23 von 44 Stimmen – mehr als CDU und Grüne zusammen.
Getragen wird sie auch von CDU, FDP und Freien Wählern. Die SPD spricht von einem „schwarzen Tag für die Demokratie“. CDU-Fraktionschef Thomas Pfeil widerspricht entschlossen: „Wir wählen Kompetenz, keine Parteibücher“, sagte er nach der Abstimmung. Ein Satz, der durch das Kurhaus hallte – und die neue Realität beschreibt: In Bad Salzuflen gilt nun, was in Berlin noch unvorstellbar scheint.

Stimme aus dem Nichts
Nur 120 Kilometer westlich, im Herzschlag des Ruhrgebiets, schlug gleich die nächste blaue Bombe ein – mit ruhrpöttischem Akzent: Cedric Sontowski, jüngster AfD-Bezirksvertreter im Revier, wird mit fünf Stimmen gewählt – eine mehr, als seine Partei Sitze hat. Die AfD verfügt in der Bezirksvertretung über genau vier Mandate, also sind vier Stimmen erwartet. Die fünfte? Sie bleibt ein Rätsel, das die anderen Fraktionen seit der konstituierenden Sitzung am 4. November umtreibt.
Ein Bündnis aus SPD, CDU, Grünen und UWG: Freie Bürger hatte sich eigentlich festgelegt: Kein Posten für die AfD, keine Kooperation, die Brandmauer bleibt stehen. Die SPD boykottierte die Abstimmung gar, die Grünen stürmten aus dem Saal.
Die CDU als Fraktion stimmte ebenfalls strikt dagegen und kritisiere den angeblichen Dammbruch scharf – Marc Westerhoff von der CDU wurde sogar selbst zum ersten Stellvertreter gewählt, was vorerst als ein Signal der Normalität gedeutet werden kann. Und doch: fünf Stimmen für Sontowski. Vier von der AfD. Vielleicht ein CDU-Ratsherr? Ein UWG-Mitglied? Jemand, der Sontowskis Bürgernähe – seine Sprechstunden, seine schnellen Lösungen für kaputte Spielplätze – höher schätzte als die Parteidisziplin.
Zwischen Empörung und Alltag
Die Reaktionen sind erwartbar polarisiert: Die Landes-SPD spricht von „Brandmauerbruch“, die Grünen fordern Konsequenzen für die CDU. Doch vor Ort dominiert Pragmatismus: „Die AfD hat 18 Prozent geholt – die kann man nicht ignorieren“, sagt ein FDP-Ratsherr aus Bad Salzuflen, der namentlich nicht genannt werden will. In Wattenscheid berichten Anwohner, dass Sontowski als einziger Politiker persönlich auf Beschwerden der Bürger reagiert habe.
Was bedeutet das für NRW? Die AfD testet gerade, wie weit sie mit bürgerlicher Kooperation kommen kann – ohne selbst regieren zu müssen. Sind Bad Salzuflen und Wattenscheid nur Ausnahmen? Wohl eher der Auftakt zu einer neuen Normalität im Westen.
Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt analysiert den Erfolg der AfD besonders tiefgründig. Sein Buch „Das blaue Wunder“ über den Aufstieg der AfD ist jetzt erhältlich. Hier bestellen.




