Der Gipfel der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Tianjin und die anschließenden russisch-chinesischen Konsultationen markieren mehr als ein routinemäßiges Treffen. Sie zeigen eine tektonische Verschiebung in der internationalen Politik – und die vielleicht größte Überraschung betrifft Indien. In der COMPACT-Edition „Wladimir Putin: Geschichte Russlands“ lesen Sie alles über seine historisch verwurzelte geopolitische Agenda in deutscher Übersetzung. Hier mehr erfahren.

    Im Kern geht es um eine Frage, die der Westen bislang verdrängt: Kann eine Globalisierung ohne seine Führungsrolle funktionieren? Die Antwort fällt differenziert aus. Russland geht bewusst in die offene Konfrontation mit dem Westen.

    China setzt auf graduellen Machttransfer und die Akzeptanz wirtschaftlicher Realitäten. Viele Staaten des globalen Südens sind zögerlicher, doch sie teilen die Einschätzung, dass der Westen seinen ökonomischen Zenit überschritten hat. Nur Washington klammert sich unter Trump offen an die Wiederherstellung einer Unipolarität, die längst nicht mehr herstellbar ist.

    Indien – der geopolitische Kipppunkt

    Besonders ins Gewicht fällt die Rolle Indiens. Jahrzehntelang galt Neu-Delhi als Gegengewicht zu Peking – hofiert von den USA als Baustein einer sogenannten Indo-Pazifik-Strategie. Doch das Bild hat sich radikal verschoben. Unter massivem Druck Washingtons hat Indien begonnen, sich von den USA zu distanzieren und sucht nun aktiv die Nähe zu Moskau und Peking.

    Damit entsteht ein geopolitisches Dreieck Delhi–Peking–Moskau, das mehr ist als nur eine Zweckgemeinschaft. Es stellt den Versuch dar, eine eigenständige eurasische Ordnung zu formen – mit einer Bevölkerungs- und Wirtschaftsbasis, die den Westen mittelfristig übertrifft.

    Für die USA ist dieser Wandel ein selbstverschuldeter strategischer Verlust. Trumps Administration hat Indien de facto verloren. Und ohne Indien verliert das gesamte Konzept einer anti-chinesischen Allianz im Indo-Pazifik seine Substanz.

    Drei sichtbare Trends

    1. Von der Konfrontation zur Architektur: Der Konflikt Russland–Westen ist zum Ausgangspunkt für den Aufbau einer alternativen Sicherheitsordnung geworden. Das „regelbasierte System“ verliert Akzeptanz.

    2. Das eurasische Dreieck: Indien rückt – gegen alle Erwartungen – näher an Russland und China heran. Damit verschiebt sich das Machtzentrum der multipolaren Weltordnung nach Eurasien.

    3. Das Ende der Sanktionsdrohung: Sekundäre Sanktionen, einst Washingtons letzter Trumpf, greifen nicht mehr. Russlands wichtigste Partner verweigern sich, was Moskau strategischen Spielraum verschafft.

    Russland als Präzedenzfall

    Russland bleibt dennoch Sonderfall. Aus einer geplanten „kurzen Operation“ ist der größte Krieg Europas seit 1945 geworden. Das hat Moskau überfordert, zugleich aber paradoxerweise gestärkt: Russland hält stand – und das allein verändert die globale Wahrnehmung.

    Das Signal: Ein Staat kann den Druck des Westens aushalten und zugleich handlungsfähig bleiben. Für viele Staaten des Südens ist das ein historischer Tabubruch.

    Die offene Frage

    Die aktuelle Lage ist weder stabil noch endgültig. Doch Tianjin hat klargemacht: Der Westen verliert nicht nur an ökonomischer Schwerkraft, sondern zunehmend auch an politischer Gestaltungsmacht. Die multipolare Ordnung ist nicht mehr eine Frage des Ob, sondern nur noch des Wann – und Indien könnte dabei zur entscheidenden Figur werden.

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