In den letzten 48 Stunden haben sich die Ereignisse in Syrien überschlagen. Es ist ein Krieg mit rund einem Dutzend Konfliktparteien – ein internationaler Stellvertreterkrieg, der in den letzten Jahren weitgehend eingefroren war und jetzt dramatisch an Fahrt aufnimmt. Alle Hintergründe bietet „Die USA, Israel und der Nahe Osten“ von Historiker Rolf Steininger. Hier mehr erfahren.

    In Syrien stehen sich ganz grob folgende Fraktionen gegenüber:

    1.) Die syrische Regierung um Bashar al-Assad. An seiner Seite kämpfen die Syrisch-Arabische Armee, also das offizielle Heer des Landes. Assad wird von der libanesischen Hisbollah, den iranischen Revolutionsgarden und russischen Soldaten unterstützt. Die syrische Regierung kontrolliert bisher etwa zwei Drittel des Landes, insbesondere die Hauptstadt Damaskus und die zweitgrößte Stadt Aleppo, sowie den gesamten Westteil Syriens, inklusive Zugang zum Mittelmeer und den Grenzbereich zum Libanon.

    2.) Im Grenzbereich zur Türkei kontrollieren islamistische Nachfolgeorganisationen von al-Qaida, insbesondere Hai’at Tahrir ash-Sham (kurz HTS) den Großraum Idlib. Dazu gibt es weitere Milizen, die von der Türkei unterstützt werden, insbesondere aus dem Bereich der Freien Syrischen Armee (FSA), die in den letzten Jahren zwar an Bedeutung verloren hat, aber immer noch zu den größeren militärischen Kräften der Anti-Assad-Opposition zählt. Alle diese Gruppen sind eng an die Türkei angebunden.

    3.) Der Nordosten Syriens wird von kurdischen Einheiten kontrolliert, die Teil der sogenannten Syrischen Demokratischen Kräfte sind. Dieses Bündnis wird vom Westen eng unterstützt, unter anderem gibt es zahlreiche US-Stützpunkte in den von der YPG (den kurdischen Volksverteidigungseinheiten) kontrollierten Gebieten, außerdem gab es insbesondere zu Zeiten, als der IS in Syrien noch sein Unwesen trieb, große Waffenlieferungen.

    Die neue Offensive, die von den in unter Punkt 2.) benannten Konfliktparteien um die HTS ausgeht, erwischt die unter 1.) benannten Regierungskräfte zur Unzeit. Seit zwei Tagen rücken die Islamisten immer weiter vor, es gibt durch den desolaten Zustand der syrischen Armee kaum Gegenwehr, lediglich die russische Luftwaffe fliegt Angriffe.

    Im Rahmen dieser Offensive sind den HTS-Islamisten große Mengen an Waffen und Ausrüstung der syrischen Regierungsarmee in die Hände gefallen, sogar Panzer wurden erbeutet. Auch die Kontrolle über die strategisch wichtige Hauptstraße M5 (Autobahn wäre für diese Straße übertrieben, aber es ist eine wichtige Verbindung durch Syrien) konnte durch HTS nun erreicht werden. Die Angreifer befinden sich sogar in den ersten Vororten von Aleppo, wo die Schlacht um die Stadt begonnen hat.

    Sollte Aleppo fallen, verschiebt sich die Situation in Syrien gewaltig. Die Türkei wäre der große Gewinner und hätte ihren territorialen Einfluss massiv ausgebaut. Doch nicht nur für die syrische Regierung wird die Offensive zum Problem: Auch die kurdischen Einheiten, die in den letzten Jahren mit der Assad-Regierung eine Art Nichtangriffspakt geschlossen hatten und faktisch in Koexistenz mit der Regierung aus Damaskus ihre Autonomiegebiete verwalten – sind in Alarmbereitschaft, da nicht ausgeschlossen ist, dass die neue Offensive pro-türkischer Milizen auch sie betreffen könnte.

    Insbesondere die enge Verbindung zwischen der kurdischen Terrororganisation PKK und der YPG sind der Türkei schon lange ein Dorn im Auge, Nordostsyrien gilt als Rückzugsraum der PKK, gegen deren nordirakische Stellungen in den Kandil-Bergen seit Monaten eine türkische Großoffensive stattfindet.

    Diese Übersicht an Konfliktparteien verdeutlicht, dass es sich bei dem Konflikt in Syrien um weit mehr als ein regionales Geplänkel handelt. Parallel zum Waffenstillstand im Libanon, der bisher insgesamt hält, fällt Syrien in eine blutige Phase des Krieges zurück. Der Nahe Osten bleibt ein Pulverfass, an dem gleich aus mehreren Richtungen die Lunten brennen und es nur eine Frage der Zeit sein dürfte, wann es zum großen Knall kommt.

    Alle Hintergründe: Im globalen Spiel der Mächte ist der Nahe Osten eines der Hauptfelder der amerikanischen Politik. Die USA sind die entscheidende Macht in der Region, die von strategischer Bedeutung ist. Der renommierte Historiker Rolf Steininger hat mit „Die USA, Israel und der Nahe Osten“ auf der Basis umfangreicher Akten die erste deutschsprachige Gesamtdarstellung dazu vorgelegt. Ein Werk, das umfassend informiert. Hier bestellen.

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