Drei Monate nach dem Putsch gegen Assad kommt Syrien nicht zur Ruhe. Während westliche Staaten die neue Islamisten-Regierung als legitimen Partner sehen und sogar die Sanktionen gegen das Land ausgesetzt haben, terrorisiert die IS-Nachfolgegruppe die Bevölkerung. Besonders betroffen: Minderheiten, etwa Christen oder Alawiten. Doch jetzt hat entlang der syrischen Mittelmeerküste ein Alawitenaufstand begonnen, der die HTS-Regierung aus der Region vertreiben will. Ein solches Szenario haben wir im Artikel „Syriens brüchiger Frieden“ in der COMPACT-Februar-Ausgabe vorausgesagt. Hier mehr erfahren.
Die Alawiten, eine religiöse Minderheit, die zum schiitischen Islam zählt, waren stets das Rückgrat der Herrschaft von Bashar al-Assad. Umso mehr tobten sich die neuen islamistischen Machthaber nach dem Sturz an der Glaubensgemeinschaft aus, fast täglich kam es zu Übergriffen, inklusive willkürlichen Erschießungen. Auch andere „Ungläubige“ gerieten in das Visier regionaler Milizen. Während sich die neue Staatsführung um den faktischen Machthaber Ahmed al-Scharaa, der zuvor unter seinem IS-Kampfnamen al-Dscholani zweifelhafte Berühmtheit genoss, nach außen Minderheitenschutz predigt und sich gemäßigt gibt, haben die innenpolitischen Säuberungen bereits Ende 2024 begonnen.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis es dagegen organisierten Widerstand gibt: Seit Mitte der Woche kommt es in den Alawiten-Hochburgen zu Angriffen auf die HTS-Miliz von al-Scharaa, die von Massenprotesten der Bevölkerung begleitet werden. Das Islamistenregime wird dabei zunehmend nervös, in mehreren Fällen wurde das Feuer in Menschenmengen eröffnet, unter den Protestierenden gibt es zahlreiche Tote. Aber: Auch unter den Islamisten steigt die Zahl der Opfer von Stunde zu Stunde an, es finden teils harte Kämpfe statt.
Alawiten rufen „Militärrat zur Befreiung Syriens“ aus
Mit Aufflammen der Kämpfe hat sich ein „Militärrat zur Befreiung Syriens“ gegründet, der ein Manifest veröffentlicht hat, in dem die Bevölkerung zum Kampf gegen die HTS-Miliz aufgerufen wird. In dem Gründungsmanifest wird die Befreiung des syrischen Territoriums von „allen besetzenden und terroristischen Kräften“ gefordert, um einen „einheitlichen, souveränen Staat“ zu etablieren. Aufgerufen, sich den Kämpfen anzuschließen, sind dabei „alle Syrer, unabhängig von Sekte, Region oder Ethnie“.

Wie stark der neue Militärrat ist, lässt sich noch nicht einschätzen. Zwar wird der Aufstand von der Bevölkerung in West-Syrien getragen, auf der Gegenseite stehen jedoch erfahrene Kampfeinheiten, neben der HTS auch die „Syrische Nationalarmee“, die von der Türkei unterstützt wird. Zwar scheinen die Islamisten von der Offensive überrascht worden zu sein, mittlerweile wird jedoch auf breiter Front mobilisiert, um den Alawiten-Aufstand niederzuschlagen. Sollte das gelingen, drohen neue Massaker an der Zivilbevölkerung, die vorheriges Leid weit übertreffen könnten.
Russische Militärstützpunkte befinden sich im Alawiten-Gebiet
Besonders brisant: Sowohl der zentrale russische Stützpunkt am östlichen Mittelmeer in Tartus, als auch die russische Luftwaffen-Basis in Hmeimim befinden sich innerhalb des nun umkämpften Gebietes. Ein zeitnahes Eingreifen Russlands dürfte aber als unwahrscheinlich gelten, gerade erst wurde sich mit der neuen syrischen Regierung über den weiteren Verbleib der Stützpunkte geeinigt.
Sollte der Aufstand scheitern, würden al-Dscholani und Co eine einseitige Parteinahme Russlands für die Aufständischen nicht verzeihen – solange die Erfolgsaussichten nicht absehbar sind, dürften die russischen Streitkräfte das Geschehen deshalb zwar aufmerksam verfolgen, aber kaum ihren Status quo riskieren.
Westliche Mächte haben Syrien 2011 in Brand gesetzt, seitdem gleicht das Land einem Pulverfass. Im Artikel „Syriens brüchiger Frieden“ haben wir in der COMPACT-Februarausgabe vorausgesagt, dass die Kämpfe auch nach dem Ende der Assad-Ära weitergehen werden. Hier immer noch als E-Paper herunterzuladen.