Isolationismus und Antiinterventionismus haben in den USA eine lange Tradition – gerade im konservativen Lager. Trump droht dieses politische Erbe, auf das er sich mit «America First!» direkt bezog, nun zu verspielen. Ein Artikel aus COMPACT-Spezial «Krieg, Lügen, USA – Die Blutspur einer Weltmacht». Immer noch als E-Paper hier herunterzuladen.

    Im Sommer 1878 bereist ein gewisser Samuel Langhorne Clemens aus den USA den Südwesten Deutschlands. Besonders beeindruckt ist er von den Flößern auf dem Neckar. Bei einer Wanderung nach Heidelberg fragen er und seine Begleiter einen der Männer, ob sie nicht ein Stück mitfahren könnten.

    Doch der «Kapitän» ist skeptisch, er «rückte sich die Hosen hoch, dann schob er nachdenklich seinen Priem in die andere Backe», schildert der Tourist später die Begebenheit. «Schließlich sagte er genau das, was ich erwartete, nämlich dass er keine Erlaubnis habe, Passagiere zu befördern, und daher befürchtete, das Gesetz könnte ihn zur Verantwortung ziehen, wenn die Sache ruchbar würde oder ein Unfall geschähe. Also charterte ich Floß und Mannschaft und nahm die ganze Verantwortung auf mich.»

    «Ich bin dagegen, dass der Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt.» Mark Twain

    Freudig besteigt man die vertäuten Fichtenstämme: «Mit einem munteren Lied ging die Steuerbordwache an die Arbeit, hievte das Ankertau auf, holte den Anker ein, und unser Fahrzeug setzte sich mit prächtigem Schwung in Bewegung und trudelte bald mit etwa zwei Knoten Stundengeschwindigkeit dahin.» Das Erlebnis hinterlässt bei dem Amerikaner einen bleibenden Eindruck. Er schwärmt: «Deutschland ist im Sommer der Gipfel der Schönheit, aber niemand hat das höchste Ausmaß dieser sanften und friedvollen Schönheit begriffen, wirklich wahrgenommen und genossen, der nicht auf einem Floß den Neckar hinabgefahren ist.»

    Der Präsident als Kaiser: Diese Karikatur von 1904 prangert den Imperialismus Roosevelts an. Foto: picture alliance / Glasshouse Images

    Twains Antiimperialismus

    Bei dem begeisterten Besucher aus Übersee handelt es sich um keinen Geringeren als Mark Twain (1835–1910), wie sich Clemens als Schriftsteller nannte. Der literarische Vater von Tom Sawyer und Huckleberry Finn war jedoch nicht nur ein Freund der Deutschen, sondern gilt auch als einer der bekanntesten amerikanischen Gegner des US-Interventionismus. Als Reaktion auf die Annexion Puerto Ricos, der Marianen und der Philippinen nach dem Spanisch-Amerikanischen Krieg 1898 gründete er die American Anti-Imperialist League, deren Vizevorsitz er von 1901 bis zu seinem Tod 1910 innehatte.

    Zur Intention der Vereinigung schreibt der Historiker Bernd Stöver in United States of America. Geschichte und Kultur: «Die Hauptargumente der Antiimperialisten, wie sie sich selbst nannten, fanden sich in den Traditionen der amerikanischen Geschichte. Sie sahen vor allem die Grundideen der amerikanischen Verfassung durch eine Expansionspolitik verletzt.» Tatsächlich hatten George Washington und Thomas Jefferson eindringlich vor Konflikten mit fremden Mächten gewarnt. Man solle lieber «Frieden, Handel und ehrliche Freundschaft» mit anderen Völkern anstreben, so die beiden Gründerväter der USA.

    Als Twain im Jahr 1900 von Journalisten gefragt wurde, was er unter Imperialismus verstehe und wie er dazu stehe, antwortete er: «Sie fragen mich, was Imperialismus bedeutet. Ich genieße nicht den Vorteil, genau zu wissen, ob sich unser Volk über den gesamten Globus ausbreiten will. Strebte es danach, würde ich das sehr bedauern. Ich hingegen meine, es ist weder klug noch eine notwendige Entwicklung, in China oder in anderen Ländern, in denen wir nichts zu suchen haben und die uns nicht gehören, Flagge zu zeigen.»

    Charles Lindbergh, Walt Disney und Henry Ford stellten sich gegen Roosevelt.

    Im New York Herald war zuvor ein Text des Literaten erschienen, in dem er Washington anklagte: «Sehr sorgfältig habe ich den Vertrag von Paris [mit dem Spanien die Philippinen an die USA abtreten musste] gelesen, und ich erkannte, dass wir keineswegs beabsichtigen, die Philippinen zu befreien, sondern deren Bevölkerung zu unterwerfen. (…) Ich bin dagegen, dass der Adler seine Krallen auf ein anderes Land setzt.»

    Schwer misshandelte und getötete Opfer des Philippinisch-Amerikanischen Krieges (1899–1902). Die US-Soldaten folterten ihre Gegner auf den Pazifikinseln systematisch. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Twain ist nur ein Beispiel für die durchaus starke isolationistische Strömung in den USA, die stets von konservativen Kräften getragen wurde, wie der US-Ökonom Murray Rothbard (1926–1995), selbst strikter Antiinterventionist, in seinem in den frühen 1970er Jahren geschriebenen, aber erst 2007 postum veröffentlichten Buch The Betrayal of the American Right  (2017 auf Deutsch unter dem Titel Der Verrat an der amerikanischen Rechten erschienen) dokumentiert.

    Rothbard unterscheidet dabei zwischen der «Old Right», der klassischen amerikanischen Rechten, die Imperialismus und Militärinterventionen ablehne, und der «New Right», die die konservative Bewegung gekapert und die Ideale der «Old Right» verraten habe. Späte Ausläufer jener «Neuen Rechten» (nicht zu verwechseln mit dem, was darunter in Europa verstanden wird) sind etwa die Neocons.

    America First!

    Laut Rothbard ging die klassische Rechte zunächst aus innenpolitischen Gründen – wegen zunehmender zentralstaatlicher Tendenzen und der Mesalliance von Big Government und Big Business – in Opposition zum Establishment: Sie erkannte, dass nur ein derart räuberischer und wuchernder Staat in der Lage ist, mit Steuergeld finanzierte Kriege in fremden Ländern zu führen.

    Ein bekannter Vertreter dieses Lagers war der Publizist und Satiriker H. L. Mencken (1880–1956), der mit seinem 1924 gegründeten Monatsmagazin The American Mercury eine «herausragende Stimme für Frieden, Weltkriegsrevisionismus und Widerstand gegen den in Versailles auferlegten imperialistischen Status quo» war, wie Rothbard anmerkt.

    So wie Mencken und sein Gefolgsmann Albert Jay Nock (1870–1945) die ungerechte Behandlung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg ablehnten, so setzten sie sich auch leidenschaftlich gegen einen Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg ein. Im August 1938 stellte Nock im Mercury fest: «Wir werden von keiner anderen Regierung außer unserer eigenen bedroht, und diese Gefahr ist erheblich; deshalb sollte unsere eigene Regierung beobachtet und an der kurzen Leine gehalten werden.»

    Mencken und Nock unterstützten denn auch das America First Committee (AFC), das am 4. September 1940 unter anderem von dem späteren US-Präsidenten Gerald Ford gegründet worden war. Die Organisation, die zeitweise bis zu 800.000 Mitglieder zählte und von Prominenten wie dem Automobilindustriellen Henry Ford (1863–1947), dem Filmproduzenten Walt Disney (1901–1966) oder der Fliegerlegende Charles Lindbergh (1902–1974) unterstützt wurde, erinnerte Präsident Franklin D. Roosevelt (1882–1945) daran, dass er mit dem am 4. November 1939 erlassenen Neutralitätsgesetz versprochen hatte, Amerika aus dem Krieg herauszuhalten.

    Das AFC stellte vier Grundsätze auf: 1. Die USA haben eine für keinen Gegner zu überwindende Landesverteidigung aufzubauen. 2. Keine fremde Macht kann ein entsprechend gerüstetes Amerika erfolgreich angreifen. 3. Die amerikanische Demokratie ist nur dann zu erhalten, wenn sich Washington aus dem Krieg in Europa heraushält. 4. Kriegsanleihen und andere Maßnahmen, die angeblich zur Verkürzung des Krieges beitragen sollen, schwächen in Wirklichkeit die nationale Verteidigung und beschleunigen die Verwicklung Amerikas in fremde Kriege.

    Gegen Trumans Doktrin

    So wie den Isolationisten vor dem Zweiten Weltkrieg pronazistische Tendenzen unterstellt worden waren, so verdächtigte man sie danach oft heimlicher Sympathien mit der Sowjetunion. Davor war selbst jemand wie Senator Robert A. Taft (1889–1953) nicht gefeit, obwohl er dem rechten Flügel der Republikanischen Partei angehörte.

    Der Sohn des 27. US-Präsidenten William Howard Taft (1857–1930) wandte sich gegen die Doktrin von Präsident Harry S. Truman (1884–1972), der es angesichts der Konfrontation mit der Sowjetunion zum außenpolitischen Grundsatz der USA erklärte, «freien Völkern beizustehen, die sich der angestrebten Unterwerfung durch bewaffnete Minderheiten oder durch äußeren Druck widersetzen».

    «Wir können nicht Macht und Gewalt in Übersee praktizieren und daheim die Freiheit erhalten.» Robert A. Taft

    In der ersten Sitzung des 80. Kongresses vom 18. März 1947 erklärte Taft: «Selbst wenn das wünschenswert wäre, ist Amerika nicht stark genug, die Welt mit militärischer Gewalt zu maßregeln.» Und er fuhr fort: «Wir können nicht Macht und Gewalt in Übersee praktizieren und daheim die Freiheit erhalten. Wir können nicht von weltweiter Kooperation reden und gleichzeitig Machtpolitik ausüben.»

    US-Soldaten auf den Philippinen bei einer Ruhepause im Schützengraben: Die meisten von ihnen fielen nicht im Gefecht, sondern wurden von tropischen Krankheiten dahingerafft. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Ähnlich äußerte sich der Abgeordnete George H. Bender (1896–1961) aus Ohio, ein Anhänger Tafts, der später sein Nachfolger im Senat werden sollte. Bender sagte in derselben Sitzung des Kongresses: «Meiner Meinung nach ist das Programm des Weißen Hauses eine erneute Bestätigung des dem 19. Jahrhundert entstammenden Glaubens an Machtpolitik. Es ist eine Verfeinerung der Politik, die zunächst nach dem Vertrag von Versailles im Jahr 1919 übernommen wurde und entwickelt wurde, um Russland einzukesseln und einen ”Cordon sanitaire” um die Sowjetunion zu errichten. Es ist ein Programm, das auf eine neue Politik des Interventionismus in Europa hindeutet, als Begleitung unserer Monroe-Doktrin in Südamerika.»

    Mit dem Kalten Krieg verstummten solche kritischen Stimmen fast vollständig. Wegen ihrer antikommunistischen Haltung unterstützten viele Konservative alten Schlages die sogenannte Containment-Politik Washingtons. Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und mit den US-Kriegen im Nahen Osten blühte der Antiinterventionismus wieder auf – und gelangte schließlich ins Weiße Haus.

    Amerikas Kriege: In COMPACT-Spezial «Krieg, Lügen, USA – Die Blutspur einer Weltmacht» untersuchen wir, wie sich aus der Ausrottungspolitik gegenüber den Indianern und der Sklaverei ein unersättlicher Imperialismus entwickelte, der trotz gegenteiliger Versprechen mit Propagandalügen (Lusitiania-Versenkung 1915, Pearl Harbor 1941) in die Weltkriege zog. Wir dokumentieren die weitreichenden antideutschen Pläne von US-Staatssekretär Henry Morgenthau und den blutigen Morast des Irak, von Libyen und Syrien. Als Print-Ausgabe ausverkauft, aber immer noch als E-Paper hier herunterzuladen.

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