Mit der Befreiung von Auschwitz war der KZ-Terror in Europa nicht zu Ende. Mehrere Lager der Nazis dienten nach dem Krieg als Sammeleinrichtungen zur Deportation von Deutschen in die Sowjetunion – doch in Polen wurden Deutsche zu Tode gemartert, wie Erich Kern in seinem erschütternden Werk «Tod den Deutschen. Verbrechen am deutschen Volk 1939–1947» dokumentiert. Besonders schlimm ging es in Schwientochlowitz zu. Hier mehr erfahren.
Die Konzentrationslager der Nationalsozialisten, insbesondere die barbarischen Todeslager im Osten, sind als Stätten grauenhaftester Verbrechen unauslöschlich in die Geschichte der Menschheit eingeschrieben. Die Hekatomben von Toten, der historisch beispiellose Massenmord an den Juden Europas, die Verfolgung und Vernichtung von Menschen, die sich gegen das NS-Regime stellten oder nicht in die von Hitler und seinen Paladinen ausgerufene «Volksgemeinschaft» passten – das alles kann durch nichts aufgerechnet oder gar gerechtfertigt werden.
In Anbetracht der NS-Schreckensherrschaft bekundete Robert H. Jackson, der US-Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen 1945/46, in denen sich die Hauptkriegsverbrecher aufseiten der Deutschen für ihre Schandtaten verantworten mussten:
«Was die Welt bestimmt nicht braucht, ist die Idee, die einen aus den KZs herauszuholen und die anderen hineinzustecken.»
Doch genau dies geschah. Die «Pest des 20. Jahrhunderts», wie der polnische Historiker Andrzej J. Kaminski, selbst einst Häftling in Nazi-Lagern, das KZ-Unwesen nannte, wurde 1945 keineswegs ausgerottet. Der böhmische Militärschriftsteller Ferdinand Otto Miksche, der im Zweiten Weltkrieg dem französischen Generalstab unter Charles de Gaulle angehörte, schrieb dazu:
«In den berüchtigten Konzentrationslagern der Hitlerzeit wechselten die Insassen und Wächter.»
Tatsächlich nutzten die Sieger viele der unter Hitler errichteten Lager weiter, bauten neue oder verschleppten, wie die Sowjets, Kriegsgefangene in ihre Gulags. Auch dies gehört zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, des «Jahrhunderts der Lager», wie es der französische Historiker Bartolomé Bennassar formulierte.
Abtransport in Auschwitz
Selbst die Infrastruktur von Auschwitz – dem Inbegriff des Holocaust – nutzte man nach der Befreiung der Überlebenden weiter, wie nicht nur der polnische Völkerrechtler Szkotnicki in einer Dokumentation berichtete, sondern auch Erich Kern in seiner erschütternden Dokumentation «Tod den Deutschen. Verbrechen am deutschen Volk 1939–1947». In der Zwangsarbeitereinrichtung Jaworzno bei Kattowitz, einer Nebenstelle des berüchtigten Todeslagers, seien bis 1953 weit über 10.000 Menschen zu Tode gekommen – nicht nur Deutsche, sondern auch Ukrainer und sogar Juden.

Stalin nutzte das Auschwitzer Gebiet gleich nach dem 27. Januar 1945, als die Rote Armee dort eintraf, als Deportationszentrum zur Massenverschleppung von Deutschen per Bahn in die Gulags. Schon am 28. Mai 1945 rollte ein Zug mit 1.200 Kriegsgefangenen und 200 Zivilpersonen von dort nach Karaganda in Kasachstan. Anfang Juni 1945 wurden in Auschwitz Waggons mit 1.800 gefangenen deutschen Soldaten und 200 Zivilisten zur Fahrt ins sibirische Lager Prokopjewsk beladen. Am 12. Juni mussten von dort aus 2.000 Kriegsgefangene und 150 zivile Personen die Fahrt nach Kuibyschew bei Nowosibirsk antreten. Am Tag darauf folgte ein Deportationszug mit 2.000 Menschen ins sibirische Lager Kiselevsk-Baidajew. So ging es in den darauffolgenden Monaten weiter.
Die Transporte in sowjetische Lager dauerten oft bis zu sechs Wochen. Viele Verschleppte mussten schon unterwegs ihr Leben lassen. Sie starben an Seuchen und Krankheiten, Mangelernährung, Durst, sengender Hitze, klirrender Kälte und oft auch infolge von Misshandlungen durch das Wachpersonal. Nur eine Minderheit derer, die dann das Ziel erreichten, überlebte die Torturen in Stalins Lagern.
Nach Angaben des israelischen Historikers Benjamin Pinkus sind rund 300.000 deutsche Zivilisten im Zuge der sowjetischen Deportationen in der Nachkriegszeit umgekommen. Die Zahl der vom Gulag verschlungenen Wehrmachtsangehörigen dürfte bei mindestens 1,5 Millionen liegen. Erst 1955, zwei Jahre nach Stalins Tod, erreichte Bundeskanzler Konrad Adenauer durch Gespräche mit dem neuen Kreml-Herrscher Nikita Chruschtschow, dass die letzten 10.000 Deutschen aus sowjetischer Gefangenschaft in ihre Heimat zurückkehren konnten.

John Sacks Tabubruch
Die KZs wurden aber nicht nur als Sammelstellen für Gulag-Transporte genutzt, auch das von den Sowjets eingesetzte polnische Satellitenregime internierte Deutsche in Auschwitz, Birkenau, Lamsdorf, Jaworzno oder Potulitz. Die Medien in Westdeutschland, in der DDR sowieso, schwiegen sich meistens darüber aus. Eine Ausnahme ist die Lokalreportage der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung über einen Schwurgerichtsprozess in Essen 1961, bei dem Nachkriegsbestialitäten im oberschlesischen Lager Eintrachthütte-Schwientochlowitz (polnisch: Zgoda-Swietochlowice) zur Sprache gekommen waren.
Hierbei erfuhr die Öffentlichkeit beispielsweise davon, dass man in diesem Nebenlager von Auschwitz Deutsche hatte ausbluten lassen, nachdem ihnen die Pulsadern geöffnet worden waren. Ein Arzt namens Glombitza wurde in Essen zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil er mit der polnischen Lagerführung zusammengearbeitet hatte und in zahlreiche Untaten verstrickt war. Allerdings hatte er sich, was ihm vor Gericht zugutegehalten wurde, nicht aus freien Stücken, sondern nur unter schwerem Druck zur Kollaboration bereitgefunden. Als vormaligen SA-Sturmführer hätte ihn sonst ein furchtbarer Foltertod erwartet.
Wie vermint dieses zeitgeschichtliche Gelände ist, bekam 1995 der US-Journalist John Sack zu spüren, als die deutsche Übersetzung seines Werkes An Eye for an Eye (Auge um Auge) über Terror gegen Deutsche in Oberschlesien nach 1945 veröffentlicht wurde, in dem das Lager Schwientochlowitz eine herausragende Rolle spielt. Der Piper-Verlag ließ nach einer gewaltigen Medienkampagne gegen Sack, auf deren Höhepunkt dem Publizisten – der 1930 in New York als Sohn jüdischer Einwanderer aus Polen zur Welt gekommen war – sogar der absurde Vorwurf des Antisemitismus gemacht wurde, die mehreren tausend bereits gedruckten Exemplare der Erstauflage schließlich eine Woche vor dem geplanten Verkaufsbeginn einstampfen.
Sack reagierte darauf mit den Worten:
«Ich bin schockiert. Ich glaube, die Deutschen sind reif genug, um sich selbst ein Bild zu machen.»
Bezeichnenderweise hieß es im Spiegel, dass die Quellen des Autors «noch jeder Prüfung standgehalten» hätten. Angreifbar seien bei ihm «nicht die Fakten, sondern Form und Stil». Für das hiesige Lesepublikum sei die Lektüre ganz einfach «schwer erträglich»…
Späte Wahrheit
In Ausgabe 49/1994 schreibt die Zeit über das weiterbetriebene KZ Schwientochlowitz: «Der Fall {des jüdischen KZ-Kommandanten} Morel stellt die Geschichte auf den Kopf, macht aus Opfern Täter und aus Tätern Opfer.» Die linksliberale Wochenzeitung entschied sich wegen dieser Brisanz für eine eigene Recherche, deren Ergebnis Sacks Aussagen bestätigte. Das Blatt kommt zu dem Schluss: «Die Argumente für die Behandlung des Themas sind gewichtig. ”Man muss die Wahrheit sagen”, urteilt auch Feliks Lipman, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Kattowitz, obwohl Salomon Morel ihn aus Tel Aviv moralisch zu erpressen suchte: Wenn er ihn nicht verteidige, sei er kein Jude mehr. Doch für Lipman (…) kann es Loyalität unter diesen Umständen nicht geben. ”Nicht alle Deutschen sind Hitleristen und nicht alle Polen und Juden unschuldig”, befindet er. ”Wer Verbrechen begangen hat, muss dafür bestraft werden.”»
Über Sack, der 2004 verstarb, schrieb das US-Magazin The Nation, er sei ein «Journalist von außergewöhnlicher Integrität und Unerschrockenheit» gewesen, hatte sich als Mitarbeiter bedeutender amerikanischer Publikationen wie The New Yorker, Harper’s Bazaar und Esquire, als CBS-Korrespondent und einer der erfolgreichsten linken Sachbuchautoren Amerikas einen Namen gemacht.
Zu Bestsellern waren Enthüllungswerke wie Lieutenant Calley. His Own Story über den Vietnamkrieg geworden. Dem Schicksal der von den Nazis ermordeten Juden hatte er mehrere Reportagen gewidmet, und auch An Eye for an Eye wurde in den USA stark beachtet und von führenden Blättern rezensiert. Selbst seine heftigsten Kritiker in Amerika erhoben nie die Forderung nach Zensur des Werkes.
In Morels Folterhölle
Schon im Sommer 1945 hatte R. W. F. Bashford, ein Diplomat des britischen Foreign Office, an das Londoner Außenministerium gemeldet, dass die KZs im polnischen Machtbereich «nicht aufgehoben, sondern von den neuen Besitzern übernommen worden» seien, wie Kern in «Tod den Deutschen. Verbrechen am deutschen Volk 1939–1947» dokumentiert.
Bashford berichtete:
«Meistens werden sie von polnischer Miliz geleitet. In Swietochlowice müssen Gefangene, die nicht verhungern oder zu Tode geprügelt werden, Nacht für Nacht bis zum Hals in kaltem Wasser stehen, bis sie sterben.»
John Sack recherchierte auf der Basis solcher Meldungen und anderer Berichte. Laut An Eye for an Eye waren hunderttausende Deutsche nach Kriegsende solchem Terror ausgesetzt, insbesondere in Oberschlesien; 60.000 bis 80.000 hätten die Torturen nicht überlebt.
An der Spitze des Lagersystems stand Chaim Studniberg, der seinen Lebensabend später in Israel verbrachte. Die Leitung von Schwientochlowitz oblag Salomon (Schlomo) Morel, der im Krieg Heckenschütze kommunistischer Partisanen war und später auch die Gefängnisse von Ratibor und Kattowitz leitete. Auch Morel zog es 1992 nach Israel, allerdings unfreiwillig: Die polnische Staatsanwaltschaft hatte wegen der Untaten in den von ihm beaufsichtigten Einrichtungen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. «Salomon Morel müsste von den Israelis vor Gericht gestellt werden wie Eichmann», meinte Sack. Eine Auslieferung an Polen wurde von Israel zweimal verweigert. Er starb 2007 unbehelligt in Tel Aviv.

Doch für welche Verbrechen trug Morel Verantwortung? Berichte von Zeugen und Überlebenden, die sich Sack offenbarten, legen davon Zeugnis ab. Dorota Boreczek bekundete: «Ich war damals erst 13 Jahre alt und sah die Menschen dort wie Tiere verenden.»
Zeuge Gerhard Gruschka gab zu Protokoll:
«Lagerkommandant Morel war von kräftiger Statur und erfüllt von brennendem Hass. Wenn er sich einen Gefangenen persönlich vornahm, war ihm der Tod meist sicher. Morels ”Spezialität” bestand darin, einen schweren Stuhl noch aus deutschen Lagerzeiten an den Füßen zu packen und dann mit der dicken Seite auf die Opfer einzudreschen. Wieder und immer wieder wurden schwer verletzte Häftlinge nach einer solchen Tortur in die Krankenbaracke oder mit zertrümmerten Schädeln gleich in die Leichenbaracke gebracht.»
Eine weitere Vorliebe des Lagerkommandanten war, wie Gruschka schildert, die sogenannte Pyramide:
«Morel zog irgendeinen Häftling aus der Reihe und warf ihn in die Mitte des Raumes mit Wucht zu Boden, daneben einen zweiten, einen dritten und vierten. Auf sie wurden weitere vier Häftlinge geworfen, bis mit Hilfe von Morels Begleitern fünf bis sechs Menschenschichten entstanden.»
In Sacks Buch erfährt man, dass die zur Pyramide aufgehäuften deutschen Opfer zusätzlich aufs Grausamste misshandelt wurden. Morel und seine Spießgesellen hätten auf die Unglücklichen mit Knüppeln eingeschlagen, «als wären sie Jäger vor einer Herde kanadischer Robben». Der Autor weiter: «In den oberen Schichten schrien die Deutschen: ”Nein! Bitte! Bitte nicht!”, aus der Mitte drang Stöhnen, in den unteren Schichten war es still, denn das Gewicht von zwei Dutzend Menschen trieb den unten Liegenden die Gedärme aus dem Leib, sie lagen im Sterben.»

Morel, fährt Sack fort, habe dabei «gelacht wie ein Meschuggener» – so habe denn auch schon sein Deckname bei den jüdischen Partisanen im Zweiten Weltkrieg «der Meschuggene» gelautet. Bei seinen Taten habe sich der Menschenschinder auf «Rache» berufen, da seine Eltern und sein Bruder «von den Deutschen vergast» worden seien. In Wahrheit aber waren, wie Sack recherchierte, Morels Familienangehörige von polnischen Antisemiten erschossen worden. Auch Morels Behauptung, selber nach Auschwitz eingeliefert worden zu sein, war laut dem US-Journalisten falsch.
Von Seuchen dahingerafft
Ein Opfer schilderte gegenüber Sack Folgendes:
«Oft schlug Morel mit bloßen Fäusten zu, meist gezielt ins Gesicht. Er konnte auch brutal mit dem Gummiknüppel zuschlagen. Und in regelmäßigen Abständen befahl er nachts: ”Horst-Wessel-Lied singen, aber schnell!”, und während wir sangen, prasselten die Gummi- und Holzknüppel auf uns nieder.» Der zur Zeit seiner Inhaftierung 14-jährige Eric van Calsteren sagte aus: «Mit der Eisenstange, mit der die Bottiche für das Essen geschleppt wurden, schlug man mir meine Beine ganz kaputt, und als ich wieder auf dem Boden lag, wurde ich noch mit Fußtritten bearbeitet. (…) Dass es Tote gab, war schon ganz normal. Überall Sterbende. Im Waschraum, auf der Toilette, im und neben dem Bett. Es geschah fast immer in der Nacht, und wenn man zur Toilette musste, stieg man über die Toten.»
In seinem Buch schildert Sack, dass Hunde auf deutsche KZ-Insassen gehetzt wurden, darauf abgerichtet, die Geschlechtsteile der Opfer zu zerfetzen, dass Aufseher Lagerhäftlingen lebende Kröten in den Hals steckten, wodurch sie erstickten, dass Häftlinge geblendet und eingesperrte Kinder vergewaltigt wurden. Eine weitere Aussage eines Überlebenden von Schwientochlowitz: «Immer wurden wir geschlagen oder mussten uns gegenseitig schlagen. Ich meinen Vater und mein Vater mich. Wenn ich mich weigerte, wurde ich selbst geschlagen.»
Über 1.000 Marterstätten
Insgesamt mussten Deutsche Erich Kerns Dokumentation zufolge zufolge nach Kriegsende im polnischen Machtbereich in über 1.000 ähnlichen Marterstätten leiden. Diese Größenordnung wird auch in anderen Quellen genannt. Der Historiker und Totalitarismusforscher Manfred Zeidler schreibt in seinem Werk Kriegsende im Osten: «Die Polen übernahmen in der Regel die von den russischen Militärbehörden eingerichteten Sammel- und Umschlaglager und bauten sie für ihre Zwangsarbeits- oder Internierungszwecke noch aus. Insgesamt bestanden nach einer Liste des Suchdienstes des Deutschen Roten Kreuzes in den Gebieten östlich von Oder und Neiße 1.255 Lager der unterschiedlichsten Größen sowie 227 Gefängnisse, die der Inhaftierung von Deutschen dienten.»
Sacks Buch, das nach dem Rückzieher von Piper in dem kleinen Hamburger Kabel-Verlag unter dem ursprünglich geplanten Titel Auge um Auge erschien, ermutigte immerhin einige bundesdeutsche Mainstream-Journalisten, sich mit dem tabuisierten Thema zu beschäftigen. So veröffentlichte die langjährige Korrespondentin der Zeit, Helga Hirsch, 1998 ihre Studie Die Rache der Opfer. Deutsche in polnischen Lagern 1944–1950.
Sie hatte in polnischen Archiven recherchiert, Überlebende befragt, die Ereignisse konstruiert und bestätigte im Wesentlichen die Forschungsergebnisse des Amerikaners, auch in Bezug auf den Auschwitz-Komplex. Darüber hinaus erschienen mehrere Bücher, die nicht nur die Folterungen und Morde in polnischen Lagern, sondern auch andere Verbrechen an Deutschen dokumentieren, wobei insbesondere Kerns verdienstvolles Werk «Tod den Deutschen. Verbrechen am deutschen Volk 1939–1947» hervorzuheben ist.
Gegen das Vergessen: In seiner aufrüttelnden Dokumentation «Tod den Deutschen. Verbrechen am deutschen Volk 1939–1947» zeichnet Erich Kern den Massenmord an Millionen Deutschen anhand von Zeitzeugenberichten und Dokumenten nach. Hier bestellen.