Nemmersdorf! Im Oktober 1944, also vor 80 Jahren, kam es in Ostpreußen zu einem grauenhaften Massaker von Rotarmisten an der deutschen Zivilbevölkerung. Dieses Verbrechen wie auch die Rückeroberung des Dorfes durch die Wehrmacht wird in COMPACT-Geschichte „Verlorene Heimat“ aufgearbeitet. Nachfolgend ein Auszug. Hier mehr zum Heft erfahren.
12. Januar 1945: Das Deutsche Reich befindet sich schon längst in einer militärisch aussichtslosen Lage, als der Roten Armee in Baranow Sandomierski, einem polnischen Ort im Karpatenvorland, der Ausbruch bei einem Brückenkopf an der Weichsel gelingt.
Schon am darauffolgenden Tag starten die Sowjets in den frühen Morgenstunden eine Großoffensive im nördlichen Memelgebiet. Ostpreußen, damals östlichstes Gebiet des Reiches, wird innerhalb weniger Monate überrannt – mit furchtbaren Folgen. Der Oberbefehlshaber der 3. Weißrussischen Front, General Iwan Tschernjachowski, hatte seinen Soldaten zuvor eingebläut: „Zerschlagt allen Widerstand der deutsch-faschistischen Eroberer. Gebt ihnen nicht eine Minute, um sich zu erholen. Verfolgt sie, schließt sie ein und vernichtet den faschistischen Unrat!“
Unbeschreibliche Verhältnisse
Nun beginnt eine verzweifelte Flucht der Bewohner in langen Trecks über das Frische Haff und die Kurische Nehrung gen Westen, insbesondere zu den Ostseehäfen. Die Verhältnisse sind fürchterlich: Bei Temperaturen von 20 Grad unter null erfrieren vor allem viele Kinder und alte Menschen, die in der tief verschneiten Gegend nicht einmal begraben werden können.
Die Züge der Vertriebenen werden zudem oft von der russischen Luftwaffe unter Beschuss genommen. Dabei hatte die NS-Propaganda der Bevölkerung zuvor eingeredet, dass die Rote Armee allenfalls bis zur Memel vorstoßen könne, wo die Wehrmacht diese zunächst zum Halten bringen und dann zurückwerfen würde.

Noch bis Mitte 1944 galt Ostpreußen als Oase des Friedens. Zahlreiche Deutsche fanden dort Zuflucht vor den pausenlosen Luftangriffen im Wes ten. Doch nun blieb auch diesen Menschen nichts anderes übrig, als erneut zu flüchten.
Zum ersten Mal war die Rote Armee bereits am 19. Oktober 1944 ins Reichsgebiet eingedrungen. Mehrere Ortschaften gingen verloren, konnten aber von der Wehrmacht zurückerobert werden, bevor sie sich der russischen Übermacht ergeben musste. Einer dieser Orte war Nemmersdorf.
Wer verstehen will, warum deutsche Soldaten noch Monate verbissen Widerstand gegen die Sowjettruppen leisteten, muss sich die damaligen Vorgänge vor Augen führen. „Am Straßenrand und in den Höfen der Häuser lagen massenhaft Leichen von Zivilisten.“ In seinem Buch Die Wehrmacht-Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts. Dokumentation alliierter Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg (1980) schreibt der US-Historiker und Völkerrechtler Alfred M. de Zayas:
„Am 20. Oktober 1944 eroberten Spitzen der sowjetischen Armee das ostpreußische Dorf Nemmersdorf südlich von Gumbinnen. Wenige Tage später besetzten deutsche Truppen die Ortschaft wieder. Nach Schilderungen der ersten deutschen Soldaten, die dann in Nemmersdorf eintrafen, waren die Ortsbewohner zum Teil grausam ermordet worden.“
Eine genaue Rekonstruktion der Ereignisse, die bis zu 80 Opfer forderte, ist heutzutage schwer möglich, zumal die NS-Propaganda die Untaten für ihre Zwecke nutzte. Beispielhaft für die Angaben aus der Bevölkerung sei folgende Zeugenaussage genannt, die unter Eid abgelegt und später von der Verteidigung beim Kriegsverbrechertribunal in Nürnberg vorgelegt wurde:
„Am Straßenrand und in den Höfen der Häuser la gen massenhaft Leichen von Zivilisten, die augenscheinlich nicht im Laufe der Kampfhandlungen durch verirrte Geschosse getötet, sondern planmäßig ermordet worden waren. Unter anderem sah ich zahlreiche Frauen, die man, nach Lage der verschobenen und zerrissenen Kleidungsstücke zu urteilen, vergewaltigt und danach durch Genickschuss getötet hatte; zum Teil lagen daneben auch die eben falls getöteten Kinder.“
Die Genfer Zeitung Le Courrier bestätigte dies am 7. November 1944 durch den Augenzeugenbericht ihres Sonderkorrespondenten an der Ostfront: „Die Lage wird nicht nur durch die erbitterten Kämpfe der regulären Truppen gekennzeichnet, sondern leider auch durch Verstümmelung und Hinrichtung der Gefangenen und die fast vollständige Ausrottung der deutschen bäuerlichen Bevölkerung.“
Ebenso grauenhaft ist, was Generalmajor Erich Dethleffsen, zum Zeitpunkt des Massakers von Nemmersdorf Stabschef der 4. Armee in Ostpreußen, am 5. Juli 1945 vor dem Nürnberger Tribunal aussagte: „Als im Oktober 1944 russische Verbände in der Gegend Groß Waltersdorf die deutsche Front durchbrachen und vorübergehend bis Nemmersdorf vorstießen, wurde in einer größeren Anzahl von Ortschaften südlich Gumbinnen die Zivilbevölkerung – zum Teil unter Martern wie Annageln an Scheunentore – durch russische Soldaten erschossen. Eine große Anzahl von Frauen wurde vorher vergewaltigt.“
Traumatisierungen
De Zayas kommt in seinem Buch Die Anglo-Amerikaner und die Vertreibung der Deutschen (1977) zu dem Schluss, dass Nemmersdorf „für die Geschichte der deutschen Fluchtbewegung eine wichtige Rolle spielte und neben Katyn wohl auch eines der am besten belegten Beispiele russischer Gräueltaten im Zweiten Weltkrieg ist“.
Und weiter: „Den ostpreußischen Bauern jedenfalls wurde es zum Inbegriff unaussprechlicher Angst. Nemmersdorf war keineswegs der einzige Ort, in dem An gehörige der Roten Armee Gewalttaten begingen, aber was sich dort abspielte, hat die Flucht nicht nur der Ostpreußen, sondern auch die der Schlesier und Pommern beschleunigt.“
Das Verbrechen von Nemmersdorf wird aufgearbeitet im COMPACT-Geschichtsheft „Verlorene Heimat“. Hier bestellen.