Sklaverei war nicht nur eine Sache der Weißen: Zwischen einer und eineinviertel Millionen europäischer Kinder, Frauen und Männer wurden zwischen 1530 und 1780 von nordafrikanischen Moslems, die sich als Barbaresken-Korsaren bezeichneten, verschleppt und in den Regionen, die heute Marokko, Algerien, Tunesien und Libyen umfassen, als Sklaven gehalten.

    _ von Roland Mackert

    Die von den Barbareskenstaaten ausgehende Piraterie endete erst 1844 als Frankreich Marokko zur Einstellung der Piratenaktivitäten zwang. Dieser barbarische Menschenhandel war in den Augen der Muslime nichts Anrüchiges – er war eine legitime Form des Heiligen Krieges gegen Ungläubige. Für die Herrscher der nordafrikanischen Korsarenstaaten Tunis, Algier, Tripolis und Marokko waren die europäischen Sklaven ein Vermögen wert. Sie finanzierten ca.25 %o der Staatshaushalte der islamischen Piratenstaaten.

    Sowohl der l5-jährige Harck Olufs aus Amrum, der 1724 nach Nordafrika verschleppt wurde als auch der 1712 versklavte Fleischhauergeselle Hans Nikol Fürneisen aus Gschwenda im Thüringer Wald, haben ihre persönlichen Schicksale literarisch verarbeitet. Robert Davis (* 1948), ein US-amerikanischer Historiker, hat in seiner 2004 veröffentlichten Studie „Christian Slaves, Muslim Masters – White Slavery in the Mediterranean, the Barbary Coast, and ltaly, 1500-1800.“ recherchiert und hochgerechnet, dass die nordafrikanischen Piraten allein zwischen 1580 und 1680 insgesamt rund 850.000 Europäer versklavten, um die Sklavenbevölkerung stabil zu halten.

    Jedes Jahr musste nach den Berechnungen von Davis ein Viertel der Sklaven ersetzt werden. Sie mussten z.B. auf den Galeeren der Piraten, die auszogen, um neue Sklaven zu fangen, harte körperliche Arbeit als Ruderer leisten. Andere schleppten Steine, errichteten Gebäude, füllten Bäume oder halfen beim Bau neuer Galeeren. Frauen landeten im Harem. Oft waren Unterbringung und Ernährung katastrophal. Die bisherige Forschung hat, so Davis, der „weißen Sklaverei“ im nördlichen Afrika kaum Aufmerksamkeit geschenkt und das Ausmaß dieser Sklaverei unterschätzt. Nie sei das Gesamtphänomen , bestenfalls die Existenz christlicher Sklaven an spezifischen Orten wie
    etwa Algier untersucht worden.

    Der Rückkauf christlicher Sklaven. Bild: Anonymous 17th century / Public domain

    Vor allem der britische Schriftsteller Giles Milton (* 1966) hat in seiner 2004 veröffentlichten Erzählung „White Go1d. The Extraordinary Story of Thomas Pellow and North Africa’s One Million European Slaves“ mit umfangreichen Quellenhinweisen beeindruckt. Etwa seit Mitte des 17. Jahrhunderts versuchte vornehmlich die katholische Kirche Sklaven im Maghreb aus Spendensammlungen freizukaufen. Wohlhabende Gemeindemitglieder wurden von Kirchenvertretern mit Nachdruck aufgefordert, einen Teil ihrer Hinterlassenschaft für den Freikauf von Sklaven zur Verfügung zu stellen. Die Spende galt als angemessene Barmherzigkeit.

    In seiner 1897 veröffentlichten Studie „Die Hansestädte und die Barbaren“ berichtet Ernst Baasch über die Konflikte insbesondere von Hamburg, Bremen und Lübeck mit den Barbaresken. Schließlich wurde im August 1750 in einem Geheimabkommen zwischen Hamburg und Algier das „erste Geschenk, das Hamburg dem Dey zu machen habe“ auf einen „Werth von 64.824 Mark“ festgelegt (Rathsprotokoll vom 5. Mai 1751).

    Die Schutzgeldlieferung Hamburgs an den Dey (Herrscher) von Algier umfasste u.a. 50 eiserne Kanonen mit Lafetten, 4.000 Bomben von 100 und 150 Pfund, 8.000 Kanonenkugeln bis 18 Pfund, je 1.000 Eichen- und Tannenplanken sowie jährliche Lieferungen von Pulver, Blei, Balken, Maaten, Lafetten, Mörser sowie Juwelen und Bijouterien. Bereits 1577 richtete Hamburg eine Sklavenkasse ein, um „Bürgere und Einwonere“ der Stadt „von den Feinden Christi Namens zu erloesen“ , die „von den Seeräubern und Türken gefangen und zu Algier und Thunis in Barbarien uff den Galleren in schweren Banden bey unmenschlicher Arbeit, Hunger und Kummer aufgehalten werden“.

    Die Verhandlungen wurden „vielfach durch die Vermittlung der fremden, in den Raubstaaten domizilierten Konsuln“ geflührt. Um die durch Tod, Flucht, Freilassung oder Konversion entstandenen Verluste an Sklaven auszugleichen wurden immer neue Beutezüge (Corsos) sorgfältig geplant. Die jeweiligen Herrscher erteilten den Kapitänen die Auslauferlaubnis. Neben erfahrenen Seeleuten und Rudersklaven waren auch die gefürchteten Janitscharen, eine Elitetruppe, die auf das Entern eines Schiffes und aufs Kämpfen spezialisiert war, an Bord.

    Die Korsaren (Sarazenen) beherrschten mit dieser Strategie nicht nur den westlichen Atlantik, Portugiesen, Spanier und Franzosen. Sie machte4 auch englische und irische Küsten unsicher und sollen sogar bis Island vorgedrungen sein. Sie gingen meist nachts an Land, überfielen Dörfer und ahnungslos schlafende Bewohner. Sie erschlugen jeden, der sich wehrte und führten die Überlebenden in die Sklaverei. Selbst schwer bewaffnete Handelsschiffe waren den wendigen und schnellen Piratenschiffen unterlegen, da die Piraten exzellent ausgerüstet und ausgebildet waren.

    Auch amerikanische Seeleute und US-Bürger gerieten in die Versklavung. 1783, nach Abschluss der Revolution, war die neue Regierung der USA selbst für den Schutz ihrer Bürger und deren Handelsschiffe verantwortlich. Daher wurde 1784 zunächst entschieden, die Piratenstaaten ebenfalls mit Tributzahlungen zu besänftigen. Thomas Jefferson und John Adams verhandelten 1785 in London als Vertreter der USA mit dem Abgesandten von Tripolis, Botschafter Abdrahaman über eine Einstellung der Piratenangriffe.

    Türke, Geistlicher und christlicher Sklave. Bild: Jan Luyken / CC0

    In den folgenden l5 Jahren wurden bis zu einer Million Dollar pro Jahr für die Sicherheit US-amerikanischer Schiffe und für Geiselbefreiungen gezahlt. Diese Lösegeld- und Tributzahlungen an die Barbareskenstaaten beliefen sich im Jahr 1800 auf ca.20 Prozent der jährlichen Staatseinkünfte der USA. Im Mai 1801 erklärte der Pascha den USA den Krieg, da Jefferson, der 1801 selbst Präsident der USA wurde, weitere Tributzahlungen verweigerte. Im ersten Barbareskenkrieg von 1801 bis 1805 sowie im zweiten Krieg von 1815 demonstrierten die USA ihre militärische Stärke.

    Insbesondere der hochmodernen Fregatte ,,IJSS Constitutiono‘,,die 1797 vom Stapel lief, sowie dem erstmaligen Einsatz von US-Marinesoldaten (Marines) hatten die Barbareskenstaaten nichts Gleichwertiges entgegenzusetzen. Sie verloren zusehends an Macht. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Zeitalter der Barbareskenpiraterie im Mittelmeer endgültig beendet, bleibt aber gleichwohl für das Alltagsleben der Mittelmeerländer noch ein lebendiger Begriff.

    Und auch wenn die Ereignisse, die die Grundlage von Rossinis Oper „Die Italienerin in Algier“ waren, zum Zeitpunkt der Uraufführung im Jahr 1808 erst wenige Jahre zurücklagen, wirkten sie für das europäische Publikum bald ebenso fern und exotisch wie Mozarts „Entführung aus dem Serail“.

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