Hildegard von Bingen begeistert die Menschen seit über 800 Jahren. Die „Volksheilige“ wird weltweit als Medizinerin und erste große Frau in der Literaturgeschichte gefeiert. 2012 erhob sie die katholische Kirche zur Kirchenlehrerin – als vierte Frau in 2000 Jahren. Wer war die Heilige? Mehr über die Heldinnen unseres Volkes lesen Sie in COMPACT-Geschichte „Deutsche Frauen – Die klügsten und tapfersten aus 2000 Jahren“.
„Die Augen des Menschen sind das Fenster der Seele“. Der bekannte Spruch stammt von einer Nonne, die im zwölften Jahrhundert rebellierte und die Geschichtsbücher prägte: Hildegard von Bingen. Die deutsche Prophetin erblickte im Jahr 1098 in Rheinhessen das Licht der Welt, als Tochter des rheinfränkischen Adeligen Hildebert von Bermersheim.
Göttliche Visionen
Sie wächst in einer Zeit auf, in welcher der Glaube das Zentrum des Lebens darstellt. Eine Zeit, in der die Liebe zu Gott an höchster Stelle steht. So kommt es, dass die junge Hildegard mit zarten acht Jahren von ihren Eltern in die Obhut der Kirche gegeben wird. Damals war es nicht unüblich, das zehnte Kind Gott anzuvertrauen und nicht selbst großzuziehen.
An Allerheiligen 1112 öffnen sich die großen Tore des Benediktinerklosters Disibodenberg bei Kreuznach für ein kleines Mädchen, das später Großes bewirken sollte. Hildegard wird fortan religiös von ihrer Lehrmeisterin Jutta von Sponnheim erzogen, eine Nonne, gerade einmal acht Jahre älter als sie. 25 Jahre verbringen die beiden gemeinsam im Kloster. Nur zwei Jahre nach ihrer Aufnahme in der Gemeinschaft, legt Hildegard im Jahre 1114 ihr Nonnengelübde ab.
Die junge Frau empfängt schon früh Visionen von Gott. Jahrelang hält sie ihre prophetische Gabe geheim, aus Angst, der Lüge bezichtigt zu werden. Doch das Verstecken ihrer Fähigkeiten macht die Nonne krank. Hildegard leidet lange Zeit an Sehstörungen und ist kaum des Gehens mächtig. Die empfangenen Botschaften verwirren sie zunächst. Stammten sie wirklich von Gott? Aufgewühlt schreibt sie einen Brief an den bedeutenden Mönch und Heiligen Bernhard von Clairvaux. Er antwortet ihr:
„Wir freuen uns mit dir über die Gnade Gottes, die in dir ist. Und was uns angeht, so ermahnen und beschwören wir dich, sie als Gnade zu erachten und ihr mit der ganzen Liebeskraft und Demut und Hingabe zu entsprechen“.
Hildegards körperliche Beschwerden werden zunehmend heftiger. Sie sah nur eine Heilung: Ihre Visionen niederschreiben. In wochenlanger Arbeit ritzt sie ihre Gedanken zunächst in eine Wachstafel. Dann verfasst sie sechs Jahre lang, von 1141 bis 1147 ihr Hauptwerk Scivias („Wisse die Wege“) zusammen mit Probst Volmar.
Verziert mit kunstvollen Bildern beschreibt sie in ihrer ersten Schrift 26 Visionen. Nicht nur das – die junge Christin legt die Heilsgeschichte neu aus. Deutet die Geschichte der Schöpfung, des Ende der Zeiten und der Erlösung. Unzählige Nonnen werden von ihr angezogen, wollen die Frau kennenlernen, die von sich sagt, im direkten Kontakt mit Gott zu stehen.
Rebellion gegen den Klerus
Doch ihr Werk sorgt auch für Unmut in den alten Kirchengemäuern: Der Abt Kuno von Disibodenberg ist erzürnt über ihre eigenen Deutungen der Bibel. Während ihrer Zeit im Kloster gerät Hildegard immer wieder mit dem Mönch aneinander. Denn sie ist eine Frau, die selbstbewusst ihren Willen durchsetzt und ihre Vorstellungen umsetzt.
Nach dem Tod ihrer Meisterin Jutta 1136 lockert sie als deren Nachfolgerin die Speisepläne und kürzt die langen Gebets- und Gottesdienste. Ihre zahlreichen Änderungen der Regeln erregen sogar die Aufmerksamkeit Roms. Hildegards Lebensweg als Seherin und selbstbestimmte Nonne droht ein rasches Ende zu nehmen, als sie im Herbst 1147 hohen Besuch bekommt. Es ist der Bischof von Verdain. Der Papst Eugen III. höchstpersönlich schickte ihn im Auftrag einer Untersuchungskommission nach Bad Kreuznach. Er soll den Fall prüfen.
Kurz nach dem Besuch kann Hildegard aufatmen. Bei einer Versammlung in Trier lässt sich der Papst ihre Werke vorlegen – und beschließt, sie dürfe „alles, was sie im Heiligen Geiste erkenne, öffentlich kundtun“. Damit ist Hildegards Weg frei. Sie verlässt mit ihren Schwestern nur drei Jahre später das Kloster und trifft eine immense Entscheidung: Sie will ein eigenes Frauenkloster auf dem Rupertsberg, gegenüber von Bingen, errichten.
Die Gründung ist ein Meilenstein in ihrer Lebensgeschichte. Nach zwei Jahren erteilt der Erzbischof von Mainz den heiligen Gemäuern seine Weihe, die Platz für über 50 Geistliche und Gäste bieten. Zahlreiche Klostergüter werden überschrieben, die Hildegard durch ihren Ruf angehäuft hatte. Die wachsende Berühmtheit bringt jedoch auch Schattenseiten mit sich: Immer mehr Vorwürfe häufen sich, die Nonne würde nicht in Bescheidenheit mit Gott, sondern im Luxus leben.
Auch die Aufnahme von lediglich adeligen Frauen ins Kloster wird kritisiert. Die Christin erwirbt daraufhin ein weiteres Kloster, das Augustinerkloster in Eibingen – und öffnet seine Tore auch für Nichtadelige. Während der Rupertsberg ein wahrer Anziehungspunkt für Kranke und Hilfesuchende wird, macht sich Hildegard vermehrt auf Reisen ins Umland. Unter freiem Himmel lehrt sie ihre Erkenntnisse vor Bürgern und Geistlichen.
Das Besondere an ihren Lehren: Der Gedanke der Einheit. Die Medizinerin betrachtete die Ganzheit als einen wichtigen Schlüssel zur Naturheilkunde. „Drei Pfade hat der Mensch in sich, in denen sich sein Leben tätigt: Die Seele, den Leib und die Sinne“, schreibt sie in ihren Schriften. Nur wenn alle drei Pfade ausgewogen gepflegt werden, bleibt der Mensch nach ihrer Ansicht gesund.
Heilige Werke
Neben ihrem Glaubenswerk Scivias schreibt sie noch zwei weitere Bücher. Liber vitae meritorum ist das Buch der Lebensverdienste und handelt von Laster und Tugenden. In ihrer Schrift Liber divinorum operum (Buch der göttlichen Werke) wirft Hildegard einen Blick auf die Welt und den Menschen. Über 280 Pflanzen und Bäume katalogisiert die Seherin.
Für ihre medizinischen Studien untersucht sie Flora und Fauna, Metalle und Elemente. Sogar die unterschiedlichen Wasserqualitäten der Flüsse Main, Donau, Mosel und Nahe überprüft sie. Das tiefgehende Wissen erlangt die Gläubige vermutlich während ihrer Zeit im Kloster. Was ihre Arbeit einzigartig macht: das Zusammenbringen von Wissen aus der griechisch-lateinischen Tradition und der Volksmedizin. Sie fasziniert Adelige, Mönche und Laien.
Einige Sentenzen aus Hildegards Werken überdauerten bis heute: „Du trägst in dir Himmel und Erde“, „Jede Krankheit ist heilbar, aber nicht jeder Patient“, „Gib dem Menschen einen Hund und seine Seele wird gesund“. Was die Heilige damals über Frauen und Männer zu sagen pflegte, würde im heutigen Genderwahn für Aufschreie sorgen: „Ohne die Frau könnte der Mann nicht Mann heißen, ohne Mann könnte die Frau nicht Frau genannt werden.“
Vertraute für Kaiser und Könige
Mit zunehmender Bekanntheit verstärkte sich ihr Kontakt mit Adeligen und Geistlichen. Hildegard führte nicht nur regen Austausch mit Papst Eugen III, Papst Hadrian IV. und Alexander III. Bekannt war sie ebenfalls mit König Heinrich von England und dessen Gemahlin. Als Frau machte sie sich sogar einen Namen bei dem römisch-deutschen Kaiser Friedrich der I., genannt Barbarossa. Sie traf den bedeutsamsten Herrscher des Mittelalters persönlich, als seine Beraterin.
Nicht immer befolgte die Nonne die Leitlinien der Adeligen und Geistlichen. Mit ihrem starken autoritärem Auftreten und dem ausgeprägten Kampfeswillen, setzte sie sich oft gegen den Klerus durch. Die Folge ihrer Unbeugsamkeit waren Verbote. Für über zwei Monate durften die Glocken ihres Klosters für einige Monate nicht läuten, öffentlicher Gottesdient und die Kommunion wurden untersagt.
Hildegard ließ sich nicht unterkriegen. Selbstbewusst erwiderte sie auf Anfeindungen von Klerikern:
„Mit Euren Predigten könnt ihr allenfalls Fliegen im Sommer verscheuchen.“
Auch im hohen Alter unternahm sie Reisen zu verschiedenen Klöstern. Die bekannteste Frau des Mittelalters wurde für viele Menschen zu ihrem Wegweiser und Heilsbringer. Nicht nur unfassbares Wissen über Heilpflanzen hinterließ sie ihrer Nachwelt: Unzählige Gedichte und Dramen schrieb sie nieder, hinzu kommen Texte und Melodien zu fast 80 Liedern. Denn Musik war in ihren Augen eine Gabe Gottes.
1179 verstirbt Hildegard von Bingen im Alter von 81 Jahren. Zahlreiche Wunder sollen sich an ihrem Grab ereignet haben. Jahrhunderte wird sie als Heilige verehrt und als „Tischgenossin Gottes“ bezeichnet. Weltweit erforscht man Hildegards Heilkunde, mittlerweile sogar verstärkt in den USA und Asien. Ihre Lehren faszinieren heute mehr Menschen denn je.
3 Kommentare
Übrigens sollte man sich das Wissen über Kräuter und Heilkunde drinegnd aneignen und vertiefen, denn eines Tages wird ,,Big Pharma" das gewiß verbieten lassen! Entsprechende Tendenzen gibt es ja schon. So wurde ein Studiengang für Naturheilkunde abgeblasen, weil als unwissenschaftlich bezeichnet.
Dafür kann man dann den wissenschaftlichen Sozialismus studieren…
In welcher Tradition steht Hildegard von Bingen? In germanisch-keltischer Tradition heilkundiger Hexen, die von Christenführern verfolgt wurden wie einst Hypatia, die Bibliothekarin in Alexandria? Tatsächlich überzeugt oder nur zum Selbstschutz vorgetäuscht in der damals dominierenden vom Ursprung her orientalisch-imperialrömischen Christentradition?
Woher haben Sie nur diesen Haß? Warum können Sie nicht einfach akzeptieren, daß dieser Frau göttliche Gnade zuteilwurde?
So viel Weisheit kann man übrigens nicht vortäuschen, gibt Professor_zh zu bedenken. Das wäre, wie wenn ein Dummer Intelligenz vorzutäuschen versuchte. Das ginge nur umgekehrt (schickt sich allerdings nicht). Tz, tz…