Die beinharte Unterstützung Donald Trumps für den genozidalen Kriegskurs von Netanjahu in Gaza, aber auch seine Unterstützung für den Angriff Israels auf den Iran und die Unterdrückung der Epstein-Kundenliste haben viele seiner Unterstützer sehr enttäuscht. Offensichtlich befindet sich der Präsident, willenlich oder unwillentlich, im Griff einer mächtigen Lobby, die mit dem Begriff „Tiefer Staat“ zu unscharf beschrieben ist. In der aktuellen COMPACT-Ausgabe können Sie im Dossier „Präsident im Zwielicht“ mehr über diese Lobby lesen.
Diese Pressure-Group sei die „Israel-Lobby“, behaupten die amerikanischen Politologen John Mearsheimer und Stephen M. Walt in ihrem gleichnamigen Buch. Die Professoren gehören zum US-Establishment: Mearsheimer lehrt an der Universität von Chicago, Walt in Harvard. Zur Vorstellung der deutschen Ausgabe ihres Werkes wurden sie Anfang der nuller Jahre von der renommierten Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik eingeladen.

Zur „erfolgreichste Lobby Washingtons“ (Bill Clinton) gehören Organisationen wie das American Israel Public Affairs Committee (AIPAC), das Israel Policy Forum (IPF), der American Jewish Congress (AJC) und die Anti-Defamation-League (ADL), daneben Denkfabriken wie das Jewish Institute für National Security Affairs (JINA) und das Middle East Forum (MEF). Allein AIPAC rangierte mit einem Jahresbudget von 100 Millionrn Dollar („Jüdische Allgemine“, 11. Juni 2020), landesweit 100.000 Mitgliedern und einer Washingtoner Zentrale mit mehr als hundert Lobbyisten, Spin-Doctors, Publizisten und Strippenziehern in der Hitliste des National Journal 2005 als zweitmächtigste Lobby nach den Schusswaffenfreunden von der National Rifle Association. Wenn bei der Jahreshauptversammlung der Organisation die Namen der Sympathisanten in der amerikanischen Politik verlesen werden, dauert das fast eine halbe Stunde. Seit Jahren stehen, unabhängig von der Parteizugehörigkeit des jeweiligen Präsidenten, die Mehrheit der Senatsmitglieder, ein Viertel des Repräsentantenhauses, mehr als 50 Botschafter und Dutzende Regierungsbeamte auf der Liste. Gastredner der AIPAC-Konferenzen sind regelmäßig auch die amtierenden US-Präsidenten, Trump eingeschlossen.
Die Finanzkraft dieser Lobby ist gewaltig: „Zwischen 1990 und 2004, so berichtet der $ Economist$, schossen pro-israelische Gruppierungen verschiedenen Kandidaten und Parteien an die 57 Millionen Dollar zu, während arabisch-amerikanische und muslimische Political Action Committees nur knapp 800.00 Dollar beisteuerten,“ schreiben Mearsheimer/Walt. Das Mittel der Beeinflussung ist dabei nicht simple Bestechung, sondern das Muster ist differenzierter: Wenn ein Politiker sich im Sinne der Lobby äußert, werden ihm zum Beispiel von AIPAC Kontakte zu Sponsoren verschafft. Tut er das nicht, wird eine Kampagne in den Medien und im Internet gegen ihn entfesselt. Der frühere Präsident Jimmy Carter resümierte im Februar 2007: „Für ein Mitglied des Kongresses, das wiedergewählt werden will, ist es fast politischer Selbstmord, eine Position zu vertreten, die als Gegenkurs zur konservativen israelischen Regierung ausgelegt werden kann.“
Alles Antisemitismus?

Gegen den Vorwurf, sie leisteten dem Antisemitismus Vorschub, haben sich Mearsheimer und Walt überzeugend abgegrenzt: Mit „Israel-Lobby“ meinen sie nämlich nicht „die“ Juden und nicht einmal „vor allem“ Juden, sie lehnen also eine ethnische oder religiöse Definition ab. Vielmehr verstehen sie unter der „Lobby“ die pro-israelischen Kräfte in den USA, wobei darunter sowohl Personen jüdischen Glaubens oder jüdischer Herkunft als auch christliche Fundamentalisten zu finden sind. In beiden Teilgruppen dominieren religiöse Wahnvorstellungen: Radikale Zionisten befürworten oft die „Wiederherstellung des heiligen Landes“ in seinen biblischen Grenzen („Eretz Israel“); radikale Evangelikale orientieren sich an der in der Johannes-Offenbarung prophezeiten endzeitlichen Schlacht um Palästina („Armaggeddon“), die neben den Arabern auch die Juden vernichten würde, sofern sie sich nicht vorher zu Jesus Christus bekehrten.
Die Juden insgesamt standen nicht hinter Bushs Kriegspolitik, betonen Mearsheimer und Walt in ihrer Untersuchung zu Anfang der nuller Jahre. „Laut einer Studie, die das Gallup-Institut 2007 vorlegte und die auf den Ergebnissen von 13 Umfragen seit 2005 beruht, steht die jüdische Bevölkerung Amerikas mit 77 Prozent dem Irakkrieg viel ablehnender gegenüber als die amerikanische Gesamtbevölkerung mit 52 Prozent. (…) Zwar wollten prominente israelische Führungspersönlichkeiten, die Neokonservativen und viele maßgebliche Personen innerhalb der Lobby, dass die USA im Irak militärisch intervenierten, doch die jüdische Bevölkerung Amerikas wollte es in ihrer Mehrzahl nicht.“ Das Autorenduo stellt fest: „Es wäre somit ein grundlegender Irrtum, den Krieg im Irak dem ‚Einfluss der Juden‘ zuzuschreiben oder zusagen, die Juden hätten Schuld am Krieg.“
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