Außenminister Wadephul erzählt in Türken-Zeitung Unsinn über Gastarbeiter als Aufbauhelfer Deutschlands. Wir geben ihm Nachhilfeunterricht und nennen die tatsächlichen Fakten. Die ungeschminkte Wahrheit lesen Sie in „Deutschland schafft sich ab – Die Bilanz nach 15 Jahren“ –  Thilo Sarrazin hat seinen fulminanten Bestseller durch die aktuellen Befunde ergänzt. Er sagt: „Es wurde noch schlimmer als von mir vorausgesagt!“ Hier mehr erfahren.

    Da kann man nur den Köpf schütteln: In einem Interview mit der türkischen Zeitung Hürriyiet hat ausgerechnet Außenminister Johann Wadephul (CDU) eine alte Lüge wiedergekäut, die längst widerlegt ist. Es seien «ganz entscheidend auch Frauen und Männer aus der Türkei» gewesen, «die mit harter Arbeit unter teils sehr schwierigen Umständen das sogenannte Wirtschaftswunder möglich gemacht haben». Die Türken hätten «das moderne Industrieland Deutschland mit aufgebaut.»

    Ob es Wadephul nicht besser weiß, oder ob er sich in Ankara beliebt machen wollte, sei dahingestellt, Fakt ist jedoch, dass der Wiederaufbau Westdeutschlands schon längst abgeschlossen war, als die ersten Gastarbeiter aus der Türkei ankamen. Auch der ökonomische Aufschwung, ausgelöst durch die kluge Politik des Wirtschaftsministers und späteren Bundeskanzlers Ludwig Erhard (CDU), war längst in vollem Gange.

    Konrad Adenauer und und sein Wirtschaftsminister und Nachfolger als Bundeskanzler. Foto: CDU, Paul Bouserath, KAS, CC-BY-SA 3.0 DE

    Vollbeschäftigung in der Bundesrepublik

    Als die BRD in den 1950er Jahren die ersten Arbeitskräfte aus dem Ausland anwarb, herrschte nahezu Vollbeschäftigung. Ganz anders in der Türkei: Dort brachten weder Programme zur Stärkung der Landwirtschaft noch Fünfjahrespläne zum Aufbau der Industrie nennenswerte ökonomische Fortschritte.

    Angesichts des starken Wachstums und der Verknappung des Arbeitskräfteangebots im Inland fürchteten die großen Wirtschaftsverbände der Bonner Republik Lohnsteigerungen, andererseits schien ein weiterer Sprung nach vorn nur durch eine Ausweitung der Automatisierung und damit hohen Investitionen möglich zu sein – oder durch die wesentlich billigere Variante der Ausdehnung der Produktion mittels zusätzlicher Arbeitskräfte.

    Man entschied sich für Letzteres. 1955 schloss die Bundesrepublik zunächst ein Gastarbeiterabkommen mit Italien ab, 1960 dann mit Spanien und Griechenland. Ein Jahr später folgte die Unterzeichnung des deutsch-türkischen Anwerbeabkommens durch den christdemokratischen Außenminister Heinrich von Brentano.

    Das hatte allerdings nicht nur innenpolitische Gründe. Die türkischstämmige Soziologin Necla Kelek schreibt dazu in ihrem Buch Chaos der Kulturen: «Eigentlich brauchte man in Deutschland die türkischen Arbeiterinnen und Arbeiter so dringend nicht. Aber es gab geopolitische Gründe. Die Vereinigten Staaten drängten die Deutschen, die Türkei wirtschaftlich zu stützen.»

    Druck aus Ankara und Washington

    Zuvor hatte das türkische Militär erfolgreich gegen Ministerpräsident Adnan Menderes geputscht, der den Laizismus zugunsten eines islamischen Staatssystems beseitigen wollte. Die NATO-treuen Generäle forderten für ihre Unterstützung der Eindämmungspolitik des Westens gegenüber Moskau und vor allem Fidel Castro auf Kuba eine Teilhabe am wirtschaftlichen Aufschwung Europas.

    Ein Hebel war hierbei das Anwerbeabkommen mit Deutschland, ein anderer das Ankara-Abkommen von 1963, das den Türken den Weg in die Zollunion und später zur Assoziierung mit der Europäischen Gemeinschaft (EG) ebnen sollte. Gleichzeitig sorgte das Gastarbeiterabkommen mit Deutschland für eine Entlastung des Arbeitsmarktes der von Wirtschaftsmisere, Landflucht und Bevölkerungswachstum geplagten Türkei.

    Zwar gab es zunächst Widerstand vom Arbeitsministerium unter Theodor Blank (CDU) und den Gewerkschaften gegen den Zuzug weiterer Gastarbeiter, zumal aus einem ganz anderen Kulturkreis, doch wurden diese Einwände von Brentano beiseite gewischt. Dies geschah nicht zuletzt auch deshalb, weil die Bundesrepublik massiv von den USA unter Druck gesetzt wurde.

    Immerhin konnte das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung zunächst erreichen, dass die Arbeitsverträge für türkische Gastarbeiter auf zwei Jahre begrenzt wurden. Man setzte auf das Rotationsprinzip: Nach Ablauf der Zeit sollte ein Arbeiter aus der Türkei durch einen anderen ersetzt werden.

    Auch sonst gab es – im Unterschied zu den Abkommen mit europäischen Ländern – spezielle Besonderheiten: Die Anwerbung war ausschließlich für Unverheiratete vorgesehen und ein Familiennachzug wurde explizit ausgeschlossen. Ende der 1960er Jahre – mittlerweile gab es weitere Abkommen mit Marokko, Portugal, Tunesien und Jugoslawien – wurden allerdings diese Hürden für eine dauerhafte Zuwanderung auf Druck der Arbeitgeber beseitigt.

    Massiver Zustrom von Türken

    Die Folge war ein rasanter Anstieg der türkischen Bevölkerung in Westdeutschland. Lebten im Jahr 1960 nur etwa 3.000 Türken in der Bundesrepublik, stieg deren Zahl 1961 auf knapp 7.000 und bis 1971 auf 652.000. Bis 1973 wurde der türkische Arbeitsmarkt um 857.000 Erwerbssuchende entlastet, die Gesamtzahl der Türken hatte sich hierzulande auf 910.000 erhöht.

    Von der Arbeitsmigration profitierten auch die Angehörigen in der Heimat. Necla Kelek hierzu:

    «Die Gastarbeiter, die in der Türkei bald ”Almancis”, Deutschländer, genannt wurden, schickten monatlich einen Teil ihres Lohns aus dem kalten Norden nach Hause. Das war für Anatolien und jede Familie ökonomisch ein Segen. Geschätzt lebten um 1970 bis zu zehn Prozent der dreißig Millionen Menschen in der Türkei teilweise oder ganz von Überweisungen aus Deutschland – die Geburtenrate lag damals in der Westtürkei bei etwa 4,7 Kindern pro Frau und im Osten des Landes bei 7,4 Kindern. Vom damals in Deutschland ersparten Lohn – er war im Durchschnitt viermal so hoch wie in der Türkei – und dem Kindergeld konnte eine ganze Familie leben.»

    Im Zeichen von Rezession und Ölkrise verhängte die Bundesrepublik im November 1973 einen Anwerbestopp für Arbeitnehmer, die nicht aus der EG kamen, doch die Zahl der türkischen Wohnbevölkerung verringerte sich nicht, sondern stagnierte lediglich für etwa ein Jahr und stieg danach weiter an. Während der Anteil der Ausländer aus den EG-Staaten zwischen 1974 und 1980 mit rund 21 Prozent nahezu gleich blieb, erhöhte sich der Anteil der türkischen Staatsangehörigen – nicht zuletzt durch eine hohe Geburtenrate und Familiennachzug – von 25 auf 33 Prozent.

    Der Politologe und Migrationsforscher Stefan Luft wies schon 2011 in Aus Politik und Zeitgeschichte, der Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, darauf hin, dass erst in den 1970er Jahren eine Debatte darüber einsetzte, «was geschehen sollte, wenn die ”Gäste” nicht gehen wollten». Hierzu merkte er an:

    «Die deutsche Ausländerpolitik setzte viele Jahre auf die Bewahrung der ”kulturellen Identität” von Zuwanderern und ignorierte, dass sich Identitäten insbesondere in den Wanderungsprozessen wandeln. Lag bei den einen eine romantisierende Vorstellung der jeweiligen Herkunftsidentitäten vor, wollten die anderen damit vor allem die ”Rückkehrfähigkeit” der ”Gastarbeiter” erhalten.»

    Doch dieser Zug war längst abgefahren. Ende der 1970er Jahre betrug die Zahl der in der Bundesrepublik lebenden Türken rund 1,2 Millionen, 1981 über 1,5 Millionen. Nach der Wiedervereinigung setzte sich diese Tendenz fort. Im Jahr 1993, also zwanzig Jahre nach dem Anwerbestopp, lebten – trotz der von der Regierung Kohl in den Achtzigern zögerlich in Gang gesetzten Rückkehrförderung – schon 1,8 Millionen Türken in Deutschland, im Jahr 2001 rund zwei Millionen. Derzeit leben in Deutschland etwa 1,5 Millionen Türken, mit den Eingebürgerten sind es rund drei Millionen.

    Die Welle rollt und rollt: Die Wahrheit erfahren Sie in „Deutschland schafft sich ab – Die Bilanz nach 15 Jahren“ –  Thilo Sarrazin hat seinen fulminanten Bestseller durch die aktuellen Befunde ergänzt. Er sagt: „Es wurde noch schlimmer als von mir vorausgesagt!“ Hier bestellen.

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