Nach seinem Erfolgs- und Enthüllungsroman «Rebecca» setzt Polit- und Schlager-Urgestein Diether Dehm seine Trilogie «Aufstieg und Niedertracht» nun mit dem zweiten Teil «Katharina» fort. Doch worum geht es eigentlich? Das erfahren Sie in diesem Gespräch. Die beiden Bücher können Sie hier bestellen.
_ Diether Dehm im Gespräch mit Jürgen Elsässer
Dein Roman «Rebecca» ist für mich das Buch des Jahres. Wer wissen will, wie die BRD wurde, was sie ist, muss es gelesen haben. Vor allem, weil du spannend und unterhaltsam schreibst. Die Handlung wird nicht als politisches Lehrstück aufgezogen, sondern es gibt viel Herz und Schmerz und Sex & Crime und sogar Fußball.
Zuviel der Ehre! Für mich ist «Intellektueller» eher zu sowas wie einem Schimpfwort geworden. Denn wenn man etwas Wichtiges zu wissen glaubt, muss man sich anstrengen, es populär weiterzugeben. Das versuche ich mit Romanen und Songs. Als ich «Monopoly» für Klaus Lage geschrieben habe, ging es um die Kritik am Monopolkapital. Aber es sollte auch mitsingbar sein, tanzbar.
Im Kundenbüchlein von Rebecca tauchen spätere Bundeskanzler auf.
Im Grunde hast du den gleichen Ansatz wie Volker Kutscher in seiner Romanreihe, die als «Babylon Berlin» verfilmt wurde. Nur dass er über die 1920er und 1930er Jahre schreibt und du über die 1950er Jahre. Die Nitribitt-Story ist ja schon mehrfach ins Kino gekommen, zuletzt 1996 unter der Regie von Bernd Eichinger mit Nina Hoss in der Hauptrolle. Was ist der große inhaltliche Unterschied zwischen deiner Behandlung des Stoffs und der von Eichinger?
Noch bekannter ist ja der Film von 1958, der ebenfalls den Titel «Das Mädchen Rosemarie» trug, mit Nadja Tiller in der Hauptrolle. Dann gibt es noch zahlreiche Doku-Filme dazu.

Beide Verfilmungen gehen auf das gleichnamige Buch von Erich Kuby zurück.
Ich kannte Kuby, habe mit ihm oft Gedanken ausgetauscht. Aber der Unterschied ist, dass bei Eichinger nur angedeutet wird, dass es um die höchsten Geldkreise und westdeutschen Eliten in der damaligen Bundesrepublik geht.
Im Kundenbüchlein von Rosemarie alias Rebecca tauchen spätere Bundeskanzler auf, ebenso der Stiefsohn von Joseph Goebbels, Harald Quandt von der BMW-Dynastie, Ernst und Gunter Sachs, wie auch Harald von Bohlen und Halbach aus der Krupp-Dynastie.
In meinem Buch wird zum Beispiel belegt, dass es am Tatort zwar eine Rotweinflasche mit den Fingerabdrücken von Harald Krupp von Bohlen und Halbach gab, aber die Kripo ihn danach nicht nochmals verhört hat. Die haben vertuscht und gelogen, denn sie wollten es unbedingt nach einem Raubmord im Rotlichtmilieu aussehen lassen.
Ich sehe noch einen weiteren Unterschied. Erich Kuby war ja, obwohl schon vor 1968 aktiv, ein Neuer Linker. Bei ihm wird Nitribitt Opfer der Geschlechterverhältnisse – eine lebenslustige junge Frau wird gemeuchelt von patriarchalischen und bigotten Männern. Bei dir hingegen, der du ein alter Linker warst und immer geblieben bist, stirbt sie im Netzwerk des Tiefen Staates, einem Netzwerk aus Geheimdiensten und Wirtschaftsführern, zum Teil alten Nazis, geführt von der amerikanischen Besatzungsmacht.
Natürlich stimmt auch, dass diese prüde Zeit, die Adenauer-Ära, in den Mordprozess hineinwirkte; gerade in die Doppelmoral der konservativen Eliten: dem Volk das Wasser der puren Fortpflanzung predigen, aber sich selbst die extravagantesten Ausschweifungen genehmigen. Mir ging es vor allem um die Seilschaften in der Wirtschaftsmetropole Frankfurt, wo Ludwig Erhard und der Deutsche-Bank-Chef Hermann Josef Abs nach 1946 Referate gehalten haben, für Wirtschaftswunder, Wiederbewaffnung und Währungsreform. Das war ein geheimer oder jedenfalls sehr begrenzter Kreis von Superreichen, die ihre sexuellen Bedürfnisse hatten und dafür ein paar hundert Meter abseits Rosemarie alias Rebecca benutzt haben.
Deswegen wurde sie ermordet?
Sie wurde als Erpressungsgefahr gesehen, eine Gefahr vor allem für das Haus Krupp. Im Spätsommer 1957 bekam dann wohl ihr Vertrauter, der ewig klamme Hochstapler Heinz Pohlmann, den Auftrag. Der hatte auch den Schlüssel zu ihrer Wohnung.
Du kanntest diesen Pohlmann?
Wir waren Nachbarn, meine Familie und Heinz Pohlmann. Er ist schließlich nur mangels Beweisen von der Mordanklage freigesprochen worden, aber er wurde verurteilt für den Raub des Geldes von Nitribitt.
Das ist für mich ein wichtiger Pluspunkt deiner Romane, auch des zweiten Teils «Katharina». Du bist Urfrankfurter, bringst darüber nicht nur Lokalkolorit rein, sondern kanntest sogar den Mordverdächtigen – und deine Mutter kannte auch die Nitribitt persönlich und sagte im Prozess als Hauptzeugin aus.
Der Pohlmann war für mich «mein Onkel Heinz». Als ich Bronchitis hatte, brachte er mir Asthmamittel. Nach dem Tod von Rebecca brachte er seine Hose meiner Mutter zum Reinigen, da waren Blutflecken drauf. Und meine Mutter hat sie dann ihrer Mutter gegeben, die mehr vom Reinigen verstand, und so hat diese Hose auch eine Rolle im Prozess gespielt.
Als Belastungszeugin gegen Heinz Pohlmann?
Genau. Pohlmann war ja zunächst der Hauptverdächtige, war viele Monate in U-Haft. Er sollte sogar für die Illustrierte Quick eine sechsteilige Nitribitt-Serie schreiben, für 20.000 D-Mark. Das war noch vor dem Prozess. Da dachte er noch, dass er nicht angeklagt würde.
Aber dann hat er nach der dritten Folge diese Serie abgebrochen, weil er aus dem Hause Krupp 250.000 D-Mark angeboten bekommen hat, wenn er aufhört. Später wurde Krupp-Manager Berthold Beitz danach gefragt, und er antwortete sinngemäß: Ja, stimmt. Aber wir haben ja nach 1945 so viel Geld ausgegeben, um den Namen unseres Hauses von der Nazizeit reinzuwaschen, dagegen war das für Pohlmann nur eine Kleinigkeit.
Sprechen wir über Abs, der in diesem Frankfurter Zirkel ebenfalls eine wichtige Rolle spielte.
Hermann Josef Abs, der im Aufsichtsrat der IG Farben und der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung, Dagesch saß, die das Zyklon B hergestellt hat. Er hat den Reichswirtschaftsführern in Referaten vorgerechnet, wie der Feldzug gegen die Sowjetunion die deutschen Schulden von zwei Weltkriegen mit einem Schlag hätte tilgen können…
Eine Auschwitz-Rechnung, die deine Rebecca bei einem Kunden gefundet hat, belastet die Deutsche Bank schwer.
Trotz einiger erzählerischer Freiheiten ist das meiste im Roman erlebt oder recherchiert, also in Dokumenten und im Netz nachlesbar. Die Bank hatte den Bau von Auschwitz über die Firma Riedel kreditiert. Deren polnischer Maurer beschrieb einen Arbeitszettel mit «Boden in Gasskammer betoniert» (Schreibfehler im Original). Abs log, davon nie etwas gewusst zu haben, sprach lieber von der Kollektivschuld des deutschen Volkes als von seiner und der von Krupp. 1953 hat er dann im Auftrag von Adenauer auf der Londoner Schuldenkonferenz dafür gesorgt, dass Griechenland, wo die Wehrmacht ein Jahr gehaust hatte, mit einer Million toter Griechen, bei der Wiedergutmachung leer ausging. Und dass Polen, wo «zufälligerweise» Auschwitz stand, was aber ja kommunistisch war, keine direkten Zahlungen bekam.
Alles Geld musste nach Israel. Denn von dort bekam Adenauer dann die Persilscheine für hochgestellte alte Nazis. Dass dieser Gangster Abs heute noch Ehrenbürger der Stadt Frankfurt ist, ist ein Skandal. Die alten Nazis kamen in der BRD wieder in Führungspositionen.
Dafür sorgte auch die amerikanische Besatzungsmacht, zum Beispiel durch diesen General McCloy, der sogenannte Hohe Kommissar in Deutschland, der vor 1940 Mussolini und Hitler US-Kredite besorgt hatte. Und ich erinnere auch an die Operation Unthinkable, wo er – noch vor der Kapitulation – mit Churchill, mit den Restbeständen der Wehrmacht, circa 100.000 wiederbewaffneten deutschen Soldaten, mit Amis und Briten kurzerhand noch die geschwächte Sowjetunion überfallen wollte. Da kam ihm aber die Rote Armee zuvor.
Das deutsche Volk trug keine Kollektivschuld, das arbeitest du auch durch die Zeichnung der der Charaktere in deinem Roman heraus. Da gibt es den FSV Frankfurt und es gibt die Eintracht Frankfurt, und bei einigen Fans ist schon noch Antisemitismus übrig vom Dritten Reich. Du zeigst es schonungslos, aber gleichzeitig auch, wie Leute sich weiterentwickeln können, dass es nichts Statisches ist.
Im Kern des Faschismus stecken extreme Aggressivität gegen organisierte Arbeiterbewegungen. Wer das aber überwindet, warum soll der ewig als Nazi festgenagelt werden? Die ewigen Rechtsextremisten sind doch heute die, die wieder Panzer gegen Moskau rollen lassen wollen – bis an den Rand eines atomaren dritten Weltkriegs!
Deshalb ist auch das ganze Framing, mit dem jetzt durch Verfassungsschutz versucht wird, die AfD zu Nazis zu machen, widersinnig und anachronistisch. Sicher gibt es heute noch Unbelehrbare, die «Sieg Heil» und SS-Runen posten. Aber doch eher in der Ukraine als in der AfD. Am extremistischen Rand stehen hierzulande die Grünen und die, die diesen Krieg in der Ukraine und auch die Aggression gegen die Palästinenser weiter betreiben und sogar verschärfen wollen.
Vielen Dank für das Gespräch.
_ Diether Dehm (*1950) ist ein linkes Urgestein: Erst SPD, dann PDS, zuletzt im Bundestag für Die Linke von 2005 bis 2017. Er gehörte zum Wagenknecht-Lager, wurde aber vom BSW nicht als Partei-Mitglied aufgenommen. Auch als Musikproduzent und Liedtexter hat er einen Namen. Beispielsweise textete er Klaus Lages Kult-Hit «1000 und 1 Nacht». Die vollständige Fassung des Gesprächs findet sich auf Youtube im Kanal von COMPACT-TV.
Die Nitribitt-Saga geht weiter: Dieter Dehms neuer Roman «Katharina» erscheint Mitte Oktober. Sie können den in eine literarische Erzählung verpackten Enthüllungskracher aber schon jetzt hier vorbestellen. Unser Tipp: Besorgen Sie sich Sie sich «Rebecca» gleich dazu. Ideal auch als Geschenk für die kommenden Feiertage. Die beiden Bücher können Sie hier bestellen.






