Sie erschütterte die frühe Bundesrepublik auf besondere Weise: als Prostituierte, deren Kunden aus den höchsten Kreisen kamen. Ihr Tod gibt bis heute Rätsel auf. In seinem neuen Buch «Rebecca» arbeitet Diether Dehm den Fall unter besonderen Gesichtspunkten auf. Hier mehr erfahren.
Am Ende liefern drei prall gefüllte Tüten mit Brötchen das Indiz. Sie liegen vor der Eingangstür eines Luxusappartements der Frankfurter Stiftstraße 36. Die Inhaberin der Wohnung in der vierten Etage, blond und zierlich, aber die Nachbarn meist ignorierend, hat ihr Frühstück seit mehreren Tagen nicht abgeholt. Das weckt schließlich Verdacht, zumal das gewohnte muntere Treiben nebenan – Männerbesuche inklusive – ausgeblieben ist. Überdies hört man im Inneren einen Hund jämmerlich jaulen. Zwei herbeigerufene Polizeibeamte brechen die Tür auf – und damit nimmt ein Skandal von ungeahnter Dimension seinen Anfang.
In der Wohnung liegt eine übel zugerichtete Tote im beginnenden Verwesungszustand: die 24-jährige Rosemarie Nitribitt, eine stadtbekannte Luxusdirne, Mannequin-Name «Rebecca». Ihr wurde erst der Schädel eingeschlagen, dann hat man sie mit einem Seidenstrumpf erwürgt. Sie liegt vor ihrem Sofa, das rechte Bein angewinkelt auf dem Möbelstück. Ihr Gesicht ist blutverkrustet und schauderhaft aufgedunsen. Fliegenlarven kriechen aus ihren Nasenlöchern.
Weil die beiden Polizisten in dem Appartement mit voll aufgedrehter Fußbodenheizung wegen des penetranten Geruchs alle Fenster aufreißen, ohne die Raumtemperatur gemessen zu haben, können die Gerichtsmediziner später den genauen Todeszeitpunkt nicht mehr feststellen. Man nimmt schließlich den Abend des 29. Oktober 1957 an. Doch wer hat die umtriebige Liebesdame ermordet? Wer hat ihr nach der Tat noch ein rosa Frotteehandtuch unter den Kopf gelegt? Das Rätsel ist bis heute ungelöst.

Aufstieg einer Hure
Als uneheliches Kind einer 18-jährigen Putzfrau namens Maria Nitribitt kommt Rosalie Marie Auguste, genannt Rosemarie, am 1. Februar 1933 in Düsseldorf zur Welt. Ihre unverheiratete Mutter bekommt zwei weitere Töchter: Irmgard und Lieselotte. Jedes der drei Kinder stammt von einem anderen Mann. Das Düsseldorfer Jugendamt erklärt Maria 1936 für «schwachsinnig» und entzieht ihr das Sorgerecht für alle drei Töchter. Danach beginnt für Rosemarie eine jahrelange Odyssee durch Erziehungsheime, Strafanstalten, Pflegefamilien. Immer wieder wechseln sich Fluchten und Heimunterbringungen ab. 1944 wird sie von einem sieben Jahre älteren Nachbarsjungen vergewaltigt. Niemand zeigt den Täter an.
Während der frühen Nachkriegszeit prostituiert sich die Nitribitt hauptsächlich in der Gegend von Frankfurt am Main. Bereits mit 15 Jahren wird sie im dortigen Bahnhofsviertel aufgegriffen. Ab Herbst 1953, inzwischen vorzeitig für volljährig erklärt, bezieht sie in der Bankenmetropole zunächst ein bescheidenes Zimmer in der Eschenheimer Landstraße. Hier beginnt ihr kometenhafter Aufstieg im Rotlichtmilieu. Sie bewältigt ihn, ohne jemals in die Fänge eines Zuhälters zu geraten.
Die vollkommen Ungebildete arbeitet hart an sich. Sie lernt Englisch und Französisch, bemüht sich, Hochdeutsch zu sprechen und nimmt sowohl an einem Modelehrgang als auch einem Kurs für vornehme Umgangsformen teil, denn sie will nicht mehr an ihr früheres erbärmliches Leben erinnert werden. Dementsprechend sucht sie ihre Freunde und Freier aus. Im Adressbuch steht als Beruf «Mannequin». Von ihrem wahren Job unter dem Künstlernamen «Rebecca», gelegentlich auch «Gräfin Mariza», wissen außerhalb ihrer Kundschaft jedoch nur einige Polizisten.
Im Sommer 1954 lernt sie den 60-jährigen, in Istanbul verheirateten türkischen Unternehmer Mozes Natus kennen. Der erliegt im März 1955 während eines gemeinsamen Urlaubs in San Remo einem Herzschlag, vermacht ihr aber sehr viel Geld. So kann Rosemarie im September 1955 in die noble Frankfurter Stiftstraße umziehen.
Ein Leben im Luxus
Im Mai 1956 kauft sie ein aufsehenerregendes Auto: einen schwarzen Mercedes 190 SL mit kirschroten Ledersitzen und elfenbeinfarbenem Verdeck. Sie macht dieses auffällige Coupé zu ihrem Markenzeichen, legt damit in ihrem kurzen Leben 40.000 Kilometer zurück. In seinem Buch «Unerschrockene Frauen» schreibt Dieter Wunderlich:
«Bewusst oder instinktiv signalisiert Rosemarie Nitribitt, dass sie nicht für jeden zu haben ist und stilisiert sich zur Edelhure.»
Und weiter: «Kontakte pflegt sie vom Auto aus und vor Nobelherbergen wie dem Frankfurter Hof zu knüpfen.»
Gegen ein entsprechendes Trinkgeld erhalten Hotelgäste von manchem Portier Rosemaries Telefonnummer. Die flotte Prostituierte nimmt auch normale Freier an, doch zu ihren zahlenden Kunden gehören nicht selten Angehörige der oberen Zehntausend aus Politik und Wirtschaft, so etwa der Milliardär Harald Quandt, die Industriellen Gunter und Ernst-Wilhelm Sachs und vor allem Harald von Bohlen und Halbach, ein Spross der Krupp-Dynastie. Ihre Namen kommen allerdings erst viele Jahre später heraus. In der eher prüden Öffentlichkeit der Adenauer-Ära wäre der Kontakt zu einer Hure für sie das gesellschaftliche Todesurteil gewesen.
Solcherlei Begebenheiten schildert auch Diether Dehm in seinem neuen Werk «Rebecca». Der Autor hat eine dreiteilige Familiensaga verfasst, die von den Anfängen der BRD bis zum Ende der Kohl-Ära reicht. Das Besondere: Dehm hat selbst einen Bezug zu dem Fall. Er stammt aus Frankfurt und kennt das dortige Milieu seit seiner Jugend – und seine Mutter war damals Zeugin im Nitribitt-Prozess!
Im ersten Teil seiner «Rebecca»-Trilogie mit dem Titel „Aufstieg und Niedertracht“ gerät der Arbeitszettel eines polnischen Maurers aus der Jackett-Tasche eines Ministers in Rosemarie Nitribitts Hände. Das Papier belastet den Deutsche-Bank-Manager Hermann Josef Abs schwer…
Lesen Sie am Dienstag den zweiten Teil dieses Beitrags.
Hochbrisant: In seiner Trilogie „Rebecca“ arbeitet Diether Dehm den Fall Nitribitt unter besonderen Gesichtspunkten auf. Teil 1 „Aufstieg und Niedertracht“ ist soeben erschienen. Sie können das Werk hier bestellen.