BRD und EU müssen sich von den USA vorhalten lassen, die Demokratie mit Füßen zu treten und Oppositionelle zu unterdrücken. Zugleich zeigt sich Brüssel entschlossen, den Ukraine-Krieg weiterzutreiben, während Washington und Moskau auf Friedenskurs sind. Wäre es da nicht besser, US-Truppen weiter im Land zu behalten, die aufpassen, dass alles mit rechten Dingen zugeht und notfalls eingreifen? Darüber diskutieren COMPACT-Chefredakteur Jürgen Elsässer und der Historiker Peter Feist im Zusammenhang mit unserer März-Ausgabe „Die blaue Revolution – Wie eine neue Epoche beginnt“. Das Heft gibt’s hier.
_ Peter Feist im Gespräch mit Jürgen Elsässer
Elsässer: Man kann die jetzigen Beziehungen zwischen Europa und den USA etwa mit diesem Bild verdeutlichen: Europa unter Führung von Merz hat den Größenwahn, die Amerikaner bei der Unterstützung der Ukraine zu ersetzen. Selenski fordert ja schon eine europäische Armee, die dann ohne die USA den Russen Paroli bieten soll. Wie siehst du das? Besteht die Gefahr, dass im Grunde die Verständigung zwischen Moskau und Washington konterkariert wird, indem sich in Europa ein faschistisch-aggressiver Block herausbildet, der sich zum dritten Zentrum der Weltpolitik aufschwingt?
Feist: Zum fünften oder so, ja. Es gibt ja noch den islamischen Block, den wollen wir auch nicht vergessen. Das sind zwei Dinge: Erstens, diese Forderung von Selenski, 1,5 Millionen Soldaten in die Ukraine zu schicken, wo sollen die denn herkommen? Das ist mehr als alle europäischen NATO-Kontingente zusammen. Also, wer soll denn die Truppen liefern? Wer soll die bewaffnen? Wer soll die ausrüsten? Also, Quatsch! Ich wurde vorgestern in einem Interview gefragt, wo denn die Frage der Ukraine entschieden werde, in Brüssel oder Berlin oder London? Da habe ich gesagt: Nein, die wird eindeutig in Washington entschieden.
Jetzt haben wir die Situation, dass der Schwanz mit dem Hund wedelt. Sie brauchen jetzt eine Phase der Umorientierung. Sie müssen lernen, dass unser Herr und Meister eine andere Zielvorgabe hat. Und da sie aber alle aus diesen Thinktanks kommen, wie dem World Economic Forum oder der Atlantikbrücke, müssen sie jetzt erst mal lernen, dass die Welt anders funktioniert. Es wird eine Weile dauern, dabei ist viel Gefährliches auf dem Weg dahin möglich, aber sie sind eben keine Supermacht, die Europäer. Und dann haben wir ja in Europa auch Leute wie Orban oder Fico oder den rumänischen nicht gewählten Präsidenten. Das heißt, es gibt auch in Europa Widerstand dagegen. In der DDR habe ich einen Satz gelernt: Man darf alles tun in seinem Leben, man darf nur niemals die Russen unterschätzen.
Brauchen wir doch noch US-Truppen in Deutschland?
Elsässer: Jetzt habe ich mal eine ketzerische Frage. Wir beide oder auch COMPACT insgesamt, wir vertreten ja seit Langem die Parole „Ami go home“, haben da auch schon Demonstration gemacht und entsprechende Fahnen gezeigt. Und jetzt gab es die erwähnte Sendung im russischen TV, da hat der Chefkommentator gesagt: Vielleicht sollten Amerikaner und Russen jetzt Kontinentaleuropa wieder besetzen. Da bin ich ein bisschen ins Grübeln gekommen. Ich bin für die deutsche Souveränität, aber wäre es nicht für eine Übergangszeit gar nicht so schlecht, wenn wir amerikanische und ergänzend auch russische Truppen wieder hier hätten, die kontrollieren, dass hier endlich mal freie und faire Wahlen stattfinden? Nur für eine Übergangszeit?
Feist: Du bist ja dafür berühmt, dass du immer ins Extreme denkst. Also, russische Truppen nicht. Amerikanische Truppen, die hier sind und dafür sorgen, dass, falls hier eine putschistische Regierung an die Macht kommt, die den Krieg in der Ukraine um jeden Preis fortsetzen will, dieser dann in den Arm fällt, ja. Die verrückteste Position, die ich nun wirklich nicht erwartet habe, aber die natürlich positiv ist, ist, dass Trump gesagt hat, wenn es in der Ukraine einen Korridor gibt – wir reden von zweieinhalbtausend Kilometern –, der von Truppen bewacht werden muss, damit die Russen keinen Angriff mehr auf die Ukraine führen können, dann dürfen diese niemals unter NATO-Kommando stehen. Das war ja ein Riesenschlag.
Es gibt ja die Forderung, dass ein Friedensvertrag {für die Ukraine} von den Siegermächten garantiert wird, damit Russland nicht wieder auf irgendwelche blöden Ideen kommt, weil es ja nun mal ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg war. Das Gewaltverzichtsverbot der UNO gilt ja. Bei all meiner Sympathien für Russland, das war nicht in Ordnung. Aber wer soll diese Truppen stellen? Die NATO-Staaten haben zweieinhalbtausend Kilometer mit massiven Truppen aufgebaut, wo sollen die herkommen? Wer soll die bezahlen? Also, das ist alles noch sehr offen, aber ich bin ganz froh, dass jetzt amerikanische Truppen hier sind, die im Fall einer putschistischen Regierung, die den Krieg fortsetzen will, vielleicht dann sagen: Stopp!
Elsässer: Das wird bestimmt bei unseren Lesern für heftige Diskussionen sorgen…
Feist: Das Ziel einer vernünftigen deutschen Regierung muss natürlich sein, die Anwesenheit fremder Truppen in unserem Land zu beenden. Das ist schon klar. Aber wir befinden uns in einer komplizierten Umbruchsphase, in der ganz verrückte Dinge passieren können. Das ist immer bei einem Qualitätsübergang der Fall. Da können auch Rückschläge erfolgen, die massiv sein können. Und vielleicht ist das sogar ein Schutzfaktor.
KI und Roboter: Die Revolution der „Denkzeuge“
Elsässer: Okay, wir lassen das mal so stehen. Gehen wir zurück zu unserem Hauptthema „Die blaue Revolution“, die wir in unserer März-Ausgabe behandeln. Da wird die These aufgestellt, dass es nicht nur politische Veränderungen in Deutschland, in Europa und global gibt – hin zu Patriotismus, weg vom Globalismus, hin zum Freiheitsgedanken, weg von der Zensur –, sondern dass auch ökonomische Triebkräfte dahinterstehen. In dem Artikel „Wie eine neue Epoche beginnt“ schreibt der Autor:
„Der von Donald Trump angestoßene Wandel in den westlichen Staaten hat nicht nur eine politische Dimension, vielmehr folgt er den Umbrüchen in Wirtschaft, Naturwissenschaft und Technik.“
An weiterer Stelle ergänzt er, Du kennst die Formulierung:
„Neue Produktivkräfte sprengen die alten Produktionsverhältnisse. Das gilt für alle Epochenumbrüche. Der Todeskampf der mittelalterlichen Feudalgesellschaft wurde durch die Erfindung des Buchdrucks, der Kanonen und verbesserten Bergbaumethoden eingeläutet, der Kapitalismus mittels Dampfmaschinen und mechanischen Webstühlen durchgesetzt, und mit dem Übergang zu Erdöl als Energielieferanten wurde die Produktionsmöglichkeit ins Unermessliche gesteigert, sodass sie nur noch durch den Staat gebändigt werden konnte. Das war die Geburtsstunde von Staatskapitalismus, Sozialismus und Faschismus.“
Also, all diese Übergänge waren durch eine bestimmte technologische Entwicklung bedingt.
Feist: Um den Autor zu zitieren, den der Autor da indirekt zitiert hat {Marx}: Erst wälzt sich langsam die ökonomische Basis um und dann folgt schlagartig der Überbau. Wenn man von der welthistorischen Perspektive ausgeht, dann ist der Kapitalismus entstanden durch die Produktivkraftrevolution, die wir heute als industrielle Revolution beschreiben. Zentrales Element war die Dampfmaschine und so weiter. Was war das für eine Revolution? Das war die Revolution der Handarbeit, der Werkzeuge. Und spätestens seit den späten 80er Jahren beginnt eine zweite industrielle Revolution, eine zweite Epochenrevolution, nämlich die Revolutionierung der Denkzeuge.
Das Denken wird mechanisiert und damit viel, viel effizienter. Jetzt haben wir KI als Höhepunkt dieser Produktivkraftentwicklung. Und natürlich, wenn sich die ökonomische Basis dermaßen gravierend ändert, dann muss sich auch der Überbau umwälzen. Und um die modernen Produktivkräfte in die Hand zu bekommen, ist ein höheres Maß an Individualität erforderlich. Die Jungs, die in einer Garage den Computer entwickelt haben und so weiter. Und das geht eben nicht mit Wokeness, mit Denkregulierung, mit Sprechverboten und so weiter. Also, diese Leute, die jetzt diese Revolution vorantreiben, sind gezwungen, eine freiere Gesellschaft aufzubauen, weil nur die die modernen Produktivkräfte in die Hand bekommen wird. Das hat der Autor also schon völlig richtig erkannt. Das widerspricht nicht den marxistischen, weltrevolutionären Theorien, sondern entspricht ihnen hundertprozentig. Wir erleben eine totale Änderung der ökonomischen Basis seit 30, 40, 50 Jahren. Und jetzt folgen halt die Überbauverhältnisse.
Künstliche Intelligenz? Ja, aber gesellschaftlich reguliert
Elsässer: Unser Autor hat da noch eine weitere Begründung angefügt, und zwar, dass jetzt bei der neuen, noch höheren Stufe von KI und beim Durchbruch der humanoiden Roboter, die bald in jedem Haushalt stehen werden, der Energiebedarf einfach so wahnsinnig hoch ist, dass man mit dieser grünen Energiewende nicht genug Energie bereitstellen kann. Und deswegen sagen jetzt die entsprechenden Kapitalkräfte: Weg mit dem Plunder, weg mit der Energiewende, wir gehen zurück zu Atom, Öl und Gas.
Feist: Das ist nur ein Element. Wenn man sich mal die Geschichte der industriellen Revolution, also der Revolution der Werkzeuge, ansieht, dann gibt es zwei Phasen. Die erste hat Marx herausgearbeitet: die Dampfmaschine. Warum ist die Dampfmaschine so wichtig? Sie ist eine überall verfügbare Antriebskraft, um die modernen Maschinen anzutreiben. Noch verfügbarer wird diese Antriebskraft durch die Elektroenergie und den Elektromotor. Das ist also eine Phase innerhalb der industriellen Revolution, die viel zu wenig beachtet wird – dass das ein Qualitätssprung noch mal innerhalb der Revolution der Werkzeuge war.
Und so haben wir die erste Generation: Die Dampfmaschine ist der Computer, der Prozessor. Die zweite revolutionäre Phase innerhalb der Revolution der Denkzeuge ist das, was wir heute als KI anfänglich erleben. Wir stehen also vor einer tiefgreifenden Produktivkraftrevolution, die trotzdem die Grundlinien in den ökonomischen Verhältnissen noch nicht verändert hat. Das kann aber passieren.
Also, die Frage, ob Marx auf eine ganz andere Weise Recht bekommt – nicht, dass Eigentum abgeschafft wird, sondern dass Eigentum verschwindet – ist eine Frage, die vor uns steht. Ich bin kein Maschinenstürmer, ich will nicht die KI verhindern, aber sie muss gesellschaftlich reguliert werden, genauso wie auch die alten Produktivkräfte gesellschaftlich reguliert werden mussten.
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