Heute vor 150 Jahren wurde der britische Okkultist Aleister Crowley geboren. Die Presse nannte ihn den «bösesten Menschen der Welt». Er inspirierte nicht nur Zeitgenossen wie Bram Stoker, sondern auch die Beatles – und andere Größen der Popkultur. In COMPACT-Spezial «Satan, Pop und Hollywood» lesen Sie mehr über ihn und sein Nachwirken. Hier mehr erfahren

    Das Paradies liegt nur anderthalb Autostunden vom Flughafen Palermo entfernt. Dort, an der Nordküste Siziliens, erhebt sich ein gewaltiger Kalkfelsen, an dessen Fuße das frühere Fischerdorf Cefalu liegt. Blühender Oleander und unzählige Bougainvilleen säumen im Sommer die Straßen, von den Terrassen der Restaurants eröffnet sich einem ein atemberaubender Blick auf das Tyrrhenische Meer.

    Besonders sehenswert ist die normannische Kathedrale Santissimo Salvatore an der Piazza Duomo, deren Turm alle anderen Gebäude in der Altstadt überragt. Die dreischiffige Säulenbasilika der im 12. Jahrhundert erbauten katholischen Kirche zeigt auch byzantinische und arabische Einflüsse, zwei wuchtige Glockentürme flankieren die Fassade, im Inneren ist der Dom mit aufwendigen Goldmosaiken ausgestattet.

    Verkünder des Wassermannzeitalters

    Manche Touristen kommen aber nur nach Cefalu, um ein etwas außerhalb des Städtchens gelegenes verfallenes Bauernhaus zu besuchen, das inmitten von Olivenhainen errichtet wurde. Von den Wänden des einstöckigen Baus blättert Farbe, der Garten ist verwildert. Die Kate würde gar nicht weiter auffallen, gäbe es da nicht die ganzen Pentagramme und anderen okkulten Symbole, die auf die Fassade gesprüht oder gemalt wurden.

    Betritt man die Ruine und geht in die frühere Küche, sieht man auf der Tür das Bildnis einer scharlachroten Frau mit goldenem Phallus in der Hand. Doch vor allem das verwitterte Fresko im großen Saal fällt auf. Darauf steht in englischer Sprache der Vers: «Stich Dein dämonisches Lächeln in mein Gehirn / Tauch mich ein in Cognac, Mösensaft und Kokain.»

    Aleister Crowley und der Ordo Templi Orientis. Auszug aus COMPACT-Spezial „Satan, Pop und Hollywood“. Foto: COMPACT.

    Sex, Drogen und Magie

    Der Spruch und die Zeichnungen sind Relikte der Abtei Thelema, die der britische Okkultist Aleister Crowley dort 1920 gegründet hatte. Was als spirituelle Kommune gedacht war, entwickelte sich schon bald zu einem Ärgernis. Crowleys Anhänger pilgerten in Scharen zu dem Ort, in dem Haus fanden wilde Orgien statt, Drogen wurden exzessiv konsumiert, der Guru herrschte über seine Jünger wie ein Patriarch, nötigte diese sogar, bei sexualmagischen Ritualen Exkremente zu verzehren.

    Innerhalb der Abtei mussten sich die Männer die Köpfe bis auf eine sogenannte Phalluslocke kahl scheren – dies galt als Symbol für die magische Kraft des ägyptischen Himmels- und Kriegsgottes Horus. Frauen trugen hellblaue, purpurgesäumte, lose fließende Roben mit Kapuze und hatten sich die Haare rot oder golden zu färben, wie John Symonds in seiner Biografie Aleister Crowley. Das Tier 666 schreibt.

    Das Lesen von Zeitungen war verboten, und jeder hatte ein magisches Tagebuch zu führen, das dem Sektenchef zur Kontrolle vorzulegen war. Bald breiteten sich Krankheiten aus, und als ein britischer Student 1923 auf dem Anwesen verstarb, wurde es Italiens Diktator Mussolini zu bunt. Crowley wurde des Landes verwiesen, seine Abtei geschlossen.

    Doch wer war der Mann, der diesen obskuren Zirkus zu verantworten hatte? Am 12. Oktober 1875 als Sohn eines puritanischen Predigers im englischen Kurort Leamington Spa geboren, begehrte Edward Alexander, so Crowleys Taufname, schon früh gegen die Erziehung im Elternhaus auf. Heimlich las er Shakespeare – oder den viktorianischen Lyriker A. C. Swinburne, der in seinen Versen sadomasochistische und homosexuelle Fantasien verarbeitete.

    Als Alick – so nannten die Eltern ihren Sohn – elf war, starb sein Vater an Zungenkrebs. Seine Mutter schickte ihn auf ein christliches Internat, von dem er schon nach einem Jahr verwiesen wurde, weil er versucht hatte, sich an einem Mitschüler zu vergehen. Mit 14 hatte Crowley zum ersten Mal Sex, danach suchte er immer wieder Prostituierte oder Strichjungen auf. Das blieb nicht ohne Folgen: Als 17-Jähriger fing er sich erstmals eine Geschlechtskrankheit ein.

    Im Jahr 1895 begann Crowley ein Studium der Geisteswissenschaften am Trinity College der Universität Cambridge. Zugleich beschäftigte er sich intensiv mit Buddhismus, der jüdischen Geheimlehre Kabbala, mit Yoga, Magie und Tarot. Bereits 1900 will der passionierte Bergsteiger und Schachspieler in den 33. Freimaurergrad initiiert worden sein. Zudem trat er dem Hermetic Order of the Golden Dawn bei – einer magischen Geheimgesellschaft, die vom Rosenkreuzertum beeinflusst war und der so prominente Zeitgenossen wie der irische Dichter William Butler Yeats oder Dracula-Autor Bram Stoker angehörten. 1907 gründete er seinen eigenen Orden Astrum Argenteum (Latein für «silberner Stern»).

    «Tu, was du willst!»

    Crowley sah sich als Verkünder des Wassermann- oder Horus-Zeitalters, das den Äon der Fische, dessen Prophet Jesus Christus gewesen sei, ablösen sollte. Mit der Zeitenwende sollte auch ein spiritueller Wandel einhergehen – hin zu der von ihm vertretenen Thelema-Lehre, einem magischen und philosophischen System, in dem der «wahre Wille» im Mittelpunkt steht. Die Grundlagen dieser neuen Religion hatte er schon 1904 in seinem Liber AL vel Legis (Buch des Gesetzes) formuliert. Crowley behauptete, die Schrift sei ihm von seinem Schutzengel Aiwass diktiert worden. Als zentrale Aussage ist vor allem der oberste Leitsatz in Erinnerung geblieben: «Do, what thou wilt!» – «Tu, was Du willst!»

    Crowleys Mutter bezeichnete ihren Sohn als «Beast» (Bestie), verglich ihn mit dem Tier 666 aus der Johannes-Offenbarung. Den Schuh zog er sich nun selbst an. Nach einer gescheiterten Ehe – seine Frau konnte seine Lieblingssexualpraktik, den Analverkehr, nicht mehr ertragen – und dem Aus der Kommune in Cefalu widmete sich Crowley vor allem der Ausbreitung seiner Thelema-Religion über den Ordo Templi Orientis, den er 1912 von dem deutschen Okkultisten Theodor Reuß übernommen hatte.

    Geheimakte Beatles: Die dunkle Seite der Pop-Titanen

    Das neue Ordensoberhaupt bereiste Europa und die USA, verdingte sich mal als Geheimagent, mal als Journalist, schrieb viele Bücher und scharte zahlreiche Anhänger um sich. Auch weitere Ehen scheiterten: Eine Gattin verfiel dem Alkohol, eine andere landete in der Psychiatrie. In einem Porträt schrieb der Spiegel 2011: «Crowley experimentierte mit Drogen: Opium, Kokain, Morphin, Haschisch, Meskalin, Ether, Chloroform und Heroin.

    Auf Partys in seiner Heimat protzte er mit Sexabenteuern und provozierte die Londoner High Society mit Forderungen wie ”Frauen sollten wie Milch am Hintereingang abgeliefert werden”. Damen, die er anziehend fand, begrüßte er mit einem ”Schlangenkuss”, einem kräftigen Biss in die Hand, für den er sich eigens die Eckzähne angeschärft haben soll. Hauseigentümer begannen sich zwei Mal zu überlegen, ob sie Crowley zu ihren Empfängen einladen sollen. Der Magier auf Drogen stand in dem Ruf, seinen Darm auf die Teppiche seiner Gastgeber zu entleeren.» 1947 raffte ihn – inzwischen heroinsüchtig und bankrott – eine Lungenentzündung dahin.

    Crowleys größter Fan: Led-Zeppelin-Gitarrist Jimmy Page kaufte sich sogar das Haus des Okkultisten am Loch Ness. Foto: Dina Regine, CC BY-SA 2.0, flickr.com

    Okkulte Pop-Ikone

    Eine Renaissance erlebten die Ideen des okkulten Exzentrikers in der Hippie-Bewegung. Henrik Bogdan und Martin P. Starr schreiben dazu in ihrem Buch Aleister Crowley und die westliche Esoterik (2014): «Crowleys Schriften über Magick, Mystik, Sexualität und Drogen trafen den Zeitgeist, und Crowley wurde bald zu einer Art antinomischer Ikone der Gegenkultur und der Flower-Power-Generation. Tatsächlich integrierten die Beatles ihn in das Coverbild ihres Albums Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967), wo er als Zweiter von links in der hinteren Reihe zu sehen ist.» Vor allem John Lennon beschäftigte sich mit den Schriften des selbst ernannten Tieres 666. In einem Playboy-Interview prahlte er sogar damit, dass er dessen «Tu, was du willst!» zum Motto seines künstlerischen Schaffens gemacht habe.

    Doch auch andere Musiker wandelten auf den dämonischen Pfaden des Schwarzmagiers. Jimmy Page, Gitarrist von Led Zeppelin, sammelte nicht nur Crowley-Devotionalien en masse, sondern kaufte 1970 auch dessen früheres Boleskine House am Ufer des Loch Ness in Schottland. Black-Sabbath-Sänger Ozzy Osbourne widmete ihm ein Lied, Mick Jagger verschlang Crowleys Bücher, bevor die Rolling Stones ihr Album Their Satanic Majesties Request (1967) produzierten. Zwei Jahre später steuerte Jagger den Soundtrack für den Experimentalfilm Invocation of My Demon Brother des Crowley-Anhängers Kenneth Anger bei. In dem Streifen spielte auch der Gründer der Church of Satan, Anton Szandor LaVey, mit. Er gab stilecht den Leibhaftigen.

    Bis heute ist die Faszination für Crowley im Showbiz ungebrochen. Zu seinen Fans gehören Bruce Dickinson, Frontmann der Metal-Band Iron Maiden; aber auch Peaches Geldof, Tochter von Woke-Rocker Bob Geldof, ließ sich Crowleys Namen in einem Herz auf den Unterarm stechen und empfiehlt auf Twitter die «superinteressanten und günstigen Bücher» ihres Idols.

    Crowleys Konterfei und sein Leitspruch «Tu, was du willst!» zieren Shirts der Marke Rocawear von Hip-Hop-Mogul Jay-Z. Und Scientology-Propagandistin Isabella Cruise, Adoptivtochter des einstigen Hollywood-Traumpaares Tom Cruise und Nicole Kidman, trägt ein Tattoo mit dem Horusauge, das der britische Okkultist oft verwendete, unter anderem in seinem Thoth-Tarot. Hier schließt sich der Kreis, denn schon Scientology-Gründer L. Ron Hubbard zählte zu den Bewunderern Crowleys.

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