Der renommierte Politikprofessor Werner Patzelt warnt vor der fortwährenden Verteufelung und Ausgrenzung der AfD. Die Partei von Alice Weidel und Tino Chrupalla sieht er laut einem aktuellen Interview nun vor einer grundlegenden strategischen Weichenstellung. In seinem aktuellen Buch „Deutschlands blaues Wunder“ analysiert Patzelt die AfD und erklärt, warum sie so erfolgreich ist – und bald regieren könnte. Hier mehr erfahren.
Früher war der Politikwissenschaftler Werner Patzelt Gast in vielen Talkshows und Wahlsendungen. Doch seit sich der frühere Inhaber des Lehrstuhls für Politische Systeme und Systemvergleich an der TU Dresden als Konservativer geoutet hat, dann als „Pegida-Versteher“ an den Pranger gestellt wurde und sich nun auch offen für Regierungsbeteiligungen der AfD zeigt, lädt ihn das Öffentlich-Rechtliche nicht mehr ein.
Dafür ist Patzelt nun gefragter Gesprächspartner von Alternativmedien. Dazu zählt auch der AfD-freundliche Youtube-Kanal „Meet Your Mentor“, dem der Politologe nun ein großes Interview gegeben hat. Wir dokumentieren nachfolgend die Passagen, in denen es um das Versagen der Altparteien, insbesondere der Union, und die AfD geht. Interessant: Patzelt zeigt Verständnis für die Zusammenarbeit mit dem rechten Vorfeld, da die Linke es genauso mache. Doch um die Macht zu erringen, so seine These, müsse sich die AfD auf eine breitere Basis stellen.
Ich stelle jetzt mal eine sehr provokante These auf: Ein Volk, das keine Grenzen setzt, bekommt Politiker, die keine Grenzen kennen. Würden Sie der These zustimmen, dass wir als Gesellschaft Mitverantwortung tragen für eine politische Klasse, die uns nicht mehr ernst nimmt, weil uns Eigenverantwortung total fremd ist in diesem Land?
Natürlich trägt eine Gesellschaft schon Mitverantwortung dafür, was für Politiker sie hat. Es ist aber nicht so, als würde lediglich die Politikerschaft die Gesellschaft verachten. Unsere Gesellschaft verachtet zu einem nennenswerten Teil die Politikerschaft, nimmt politische Ämter nicht ernst, meint dass ein jeder auch ohne Berufsausbildung dazu prädestiniert sein könne, Bundestagsabgeordneter, ja gar Regierungsmitglied zu sein.
Es ist so, dass die deutsche Gesellschaft angefangen hat, Politik wie ein unterhaltsames Spiel zu beobachten. Man schaut Talkshows an, nicht mit der Erwartung, jetzt etwas Substantielles über Politik geäußert zu bekommen. Wenn dann Zahlen kommen, sagt der Moderator unweigerlich: Diese Zahlen können wir jetzt nicht nachprüfen, da machen wir am besten eine fakten- und datenfreie Diskussion Man nimmt hin, dass Faktenchecker weniger die Fakten als vielmehr jene politischen Meinungen überprüfen, deretwegen bestimmte Fakten als glaubwürdig und andere als nicht glaubwürdig gelten.

Und man nimmt Politiker eigentlich nur nach ihrem Unterhaltungswert zur Kenntnis und diskutiert dann eher über die abgeschlankte Figur der Ricarda Lang als darüber, worin sich ihre jetzigen politischen Positionen von den früheren unterscheiden und was es über die politische Klasse in Deutschland lehrt, dass Politiker erst dann, wenn sie keine Ämter mehr innehaben, sozusagen zur Vernunft kommen.
Verstehen Sie, diese Verachtung ist schon eine doppelseitige, wobei die Politikerschaft eigentlich die Wählerschaft nur in der Weise verachtet, nämlich, indem sie glaubt, bestimmte politische Tatsachen oder zutreffenden Wirkungsketten könne man der Wählerschaft nicht zumuten. Man müsse dieses oder jenes aus dem Wahlkampf heraushalten, damit die Leute nicht die falschen Schlussfolgerungen zögen.
Man dürfe mit diesen oder jenen Parteien nicht reden, weil damit Ideen unter die Leute gebracht würden, welche die Leute nicht ertragen, nicht vertragen könnten, welche die Leute kirre machten. Deswegen müssen wir inzwischen ja auch die Internetkommunikation kontrollieren und müssen wir Leute, die von einem Politiker sagen, er sei ein Schwachkopf, mit Hausdurchsuchungen am frühen Morgen überziehen, weil wir die Bürgerschaft vor sich selbst schützen müssen.
Das ist die Art der Gesellschaftsverachtung, und sie hat ganz wesentlich damit zu tun, dass die Politikerschaft am Wahltag in den Händen der Bürgerschaft ist. Die Bürgerschaft bestimmt, wer mit wie viel Prozent ins Parlament einzieht oder eben nicht mehr einzieht, weswegen die Verachtung der Politikerschaft für nennenswerte Teile der Wählerschaft in Deutschland inzwischen so weit geht, dass man lieber eine Partei die man nicht will, verbietet, als mit den Bürgern in eine redliche Diskussion darüber einzutreten, welche Probleme ungelöster Art sie denn dadurch gelöst haben wollen, dass man eine ungeliebte neue Partei wählt. Verstehen Sie, so, meine ich, muss man den Wirkungszusammenhang sehen. Es ist nicht so, als ob die Gesellschaft der Politikerschaft keine Grenzen setzte. Der wichtige Punkt ist aber der, dass die Rolle von Parlamenten beim Umgang mit dem Geld der Bürgerschaft sich geändert hat.
Bei den früheren Ständeparlamenten, die es bis zum Absolutismus gab, war es so, dass ganz wesentlich in den Parlamenten jene saßen, die über den gesellschaftlichen Reichtum verfügten, als Vertreter von Städten insbesondere oder als Adlige oder als Kirchenfürsten. Dort, wo also dem Staat Geld gegeben wurde, wurde aus dem eigenen Geld derer, die dort die Steuern bewilligten, der Staat finanziert.

Jetzt haben wir gewählte Politiker, die nicht aus eigenem Vermögen den Staat finanzieren, sondern aus dem Vermögen der Bürgerschaft, und die sozusagen Wahlversprechen als Mittel der Korruption von Wählergruppen einsetzen. Nachdem das sozusagen ein Kernelement von auf Wahlen gegründeter Demokratie ist, kann die Bürgerschaft schlecht dagegen argumentieren, und ich kann schlechterdings nicht sagen: Nein, die Parlamente sollen nicht die Steuern festsetzen. Wer soll das denn tun? Der Papst in Rom oder sonst wer?
Nein, es müssen schon die Politiker sein. Folglich kann die Bürgerschaft dem Geldausgeben der Politikerschaft hier keine Grenzen setzen, solange sich die Bürgerschaft von Wahlversprechen betören und sich mit der Aussage weiterhin einlullen lässt, es gebe schon genügend Geld im Lande für alles mögliche, man müsse lediglich die Steuern und Abgaben noch weiter erhöhen, dann würde alles gut.
An dieser Stelle müsste die Bürgerschaft der Politik Grenzen setzen. Man müsste sagen, dass unsere Steuersätze, unsere Abgabensätze viel, viel, viel zu hoch sind im Vergleich zu dem, was wir an Quantität und vor allem an Qualität staatlicher Dienstleistungen zurückbekommen. Und weil an dieser Stelle die Bürgerschaft – und zwar aus systematischen und ab und zu auch wirklich guten Gründen – Grenzen nicht setzt oder nicht zu setzen vermag und nicht einsieht, dass sie das könnte, deswegen tun dann Politiker was sie wollen und dekretieren.
Die Folgen der Merkel-Politik
Unsere Gesellschaft muss jetzt eine multiethnische, multinationale, multikulturelle werden, ohne dass die Leute, die das Ganze auszubaden haben, je danach gefragt worden sind, ob sie das auch wollen. Angela Merkel hat ja durchgehend geschwiegen und irgendwo das Land sediert beziehungsweise beruhigt. Olaf Scholz wollte ja diesen Stil irgendwo imitieren, ist damit voll gegen die Wand gefahren. Wenn man sich jetzt Friedrich Merz anguckt: der produziert ja wirklich Schlagzeilen am Fließband. Sind diese sogenannten Fauxpas wirklich Fehler oder ist es eher eine bewusste Technik, um halt irgendwie sichtbar zu bleiben? Das erinnert mich so ein bisschen an die AfD in den Anfangstagen.
Ich glaube, weder noch. Politiker wollen zwar ab und zu Schlagzeilen machen, aber insbesondere dann, wenn sie ein bestimmtes Politikprojekt durchziehen wollen und dafür die öffentliche Meinung brauchen. Aber das, was Friedrich Merz immer wieder herbeigeführt hat durch seine Aussagen, das war ganz offenkundig nicht der Beginn der Arbeit an einem neuen Politikprojekt, es waren nebenbei unterlaufene politische Schnitzer.
Aber damit wird man der Sache nicht gerecht. Der Punkt ist einfach der, dass Angela Merkel in wesentlich bequemeren Zeiten regierte, als sie es heute sind. Zu Angela Merkels Zeit wirkten sich die Schröder’schen Wirtschafts- und Sozialreformen aus. Angela Merkel schwamm sozusagen während ihrer ganzen Regentschaft im Geld und konnte es freihändig verteilen in die ganze Welt und auch für soziale Projekte und so weiter. Und das machte sie zur Mutter Theresa unter den westlichen Staatschefs. Und das gab ihr natürlich einen gewaltigen Puffer an Sympathievorschuss, an Vertrauenswürdigkeit und so weiter. Außerdem sind die ganzen Folgen der von Angela Merkel opportunistisch oder bequem durchgeführten Politik noch nicht sichtbar geworden.

Die Folgen ihrer Migrationspolitik, naja, von denen konnte man 2015 sagen, die werden nicht gravierend sein, wir sind ein reiches Land, wir schaffen das. Die Folgen ihrer Energiepolitik, ja, von der konnte man weiterhin behaupten, mehr als ein oder zwei Kugeln Eis kostet das den Einzelnen nicht. Und für die Wirtschaft wird es sogar segensreich sein, wenn wir die ständig in Deutschland explodierenden Atomkraftwerke loswerden.
Aber inzwischen sind die nicht so segensreichen Folgen der von Angela Merkel bevorzugten Politikprojekte sichtbar geworden. Nehmen wir ihre Aussage, für den Verbrenner, den Verbrennungsmotor, gebe es keine Zukunft mehr. Naja, auf diese Weise haben wir angefangen, das Herzstück unserer Industrie, nämlich die Automobilfertigung, allmählich zum unregelmäßigen Schlagen beziehungsweise eines Tages zum Stillstand zu bringen.
Also Angela Merkel schwamm im Geld und die fatalen Folgen ihrer höchsteigenen, in Übereinstimmung mit Sozialdemokraten und Grünen geführten Politik, wurden noch nicht sichtbar. Friedrich Merz erbt das ganze Schlamassel und hat außerdem einige taktische Fehler begangen, indem er sich an die Seite der SPD kettete und folglich jene Politik nicht machen kann, welche tatsächlich das ein oder andere Problem in diesem Lande lösen könnte.
So, meine ich, muss man den großen Rahmen sehen, in dem er sich dann freilich – und das sei die Schlussbemerkung dazu – mehr Mühe geben müsste, mit seinen Kommunikationsberatern für alle Politikfelder solche Formulierungen zu finden, die zum einen das Gemeinte klar benennen und zum anderen zu so wenig Widerstand wie möglich führen. Und in dieser Disziplin ist er nicht gerade ein Spitzenmanager.
„Gute Gründe für den Erfolg der AfD“
Jetzt haben wir ja in der deutschen Nachkriegsgeschichte zum ersten Mal eine Oppositionspartei, die den Namen auch wirklich verdient und sicherlich in einigen Jahren zu einer absoluten Volkspartei mutieren wird, Richtung 30, 40 Prozent in wenigen Jahren. Sollten wir nicht alle versuchen, die AfD zu unterstützen, um erstmal diese Systemparteien, die das Ding voll gegen die Wand gefahren haben, irgendwie abzulösen? Denn wir haben uns ja in Deutschland mehr oder weniger 20 Jahre lang so ein bisschen moralisch selbst zerstört. Finden Sie nicht, dass wir so ein politisches Erdbeben brauchen, damit die Menschen beziehungsweise die Politiker endlich mal Reformen anstoßen, die das Land nach vorne bringen?
Wenn ich mir Erdbeben ansehe, ob in San Francisco, in Kobe oder sonst wo, dann meine ich, dass das nicht der beste Weg ist, um Infrastruktur zu modernisieren, obwohl San Francisco nach dem großen Erdbeben zu Beginn des 20. Jahrhunderts ziemlich neu aufgebaut worden ist. Nein, die Begleitschäden von Erdbeben sind zu groß, als dass man sich Erdbeben wünschen sollte. Und auch ein politisches Erdbeben hat gewaltige, gewaltige Nebenwirkungen. Schauen Sie, das Erdbeben der Machtübernahme der Nazis hat zur Folge eine sehr zivil auftretende deutsche Gesellschaft.
Aber um wie viel besser wäre es gewesen, sich entsprechend zu zivilisieren ohne die Terrorherrschaft der Nazis und ihre Überziehung Europas durch einen Krieg. Nein, wir sollten nicht auf politische Erdbeben hoffen. Wir sollten das begreifen, wovon ich seit über zehn Jahren predige, dass man es begreift.
Wenn eine neue Protestpartei auftaucht und wenn sie in kurzer Zeit große Wahlgewinne erzielt, dann stimmt irgendetwas nicht mit der Politik oder mit dem Politikangebot der etablierten Parteien. Da muss man in Sicht gehen und muss sich fragen: Welche Probleme schwelen dahin oder werden größer, ohne dass wir sie anpacken. Und da hätte man schon vor über zehn Jahren begreifen können, dass die Migration ein solches Problem ist. Aber man hätte auch schon begreifen können, dass die Energiepolitik uns in eine Sackgasse führt. Man hätte auch vor zehn Jahren schon begreifen können, dass ein Verzehren der Friedensdividende den Frieden in Europa nicht sichert, sondern brüchig macht, weil er eine Prämie auf Angriff ausstellt. Das heißt, man muss diese Probleme erkennen, die dann dem Anschwellen einer Protestpartei zugrunde liegen. Das wäre das Notwendige gewesen und ist es heute noch. Es wird immer noch an den Symptomen herumkuriert.
Und um noch einmal zurückkommen auf das von vielen Leuten erwünschte Verbotsverfahren gegen die AfD: Die AfD zu verbieten, wäre dasselbe, wie ein blinkendes Warnsignal einfach abzustellen. So manche Flugzeugführer haben blinkende Warnsignale abgestellt, weil sie glaubten, in Wirklichkeit gäbe es kein Problem. In der Regel sind dann die Flugzeuge abgestürzt, und mit ihnen sind viele Leute vom Leben zum Tod gekommen.
Nein, man muss begreifen, dass es gute Gründe dafür gibt, dass die AfD so stark geworden ist, und man muss die Gründe beseitigen. Und sollte die AfD sich ernsthaft auf den Weg machen, eine ganz normale Partei in unserem politischen Spiel zu sein, eben eine Partei rechts von der CDU und nicht eine weitere Partei links von der CDU, also eine normale Partei, mit der man Koalitionen bilden kann, dann sollten etablierte Parteien wie die Union ernsthaft erwägen, mit der AfD auch ein Regierungsbündnis einzugehen, sobald man Vertrauen gefasst hat in diese Partei.
Denn eines ist doch klar: In Deutschland gibt es eine inzwischen nachweisliche Bevölkerungsmehrheit, die eine Mitte-Rechts-Politik wünscht. Sie bekommt aber ständig nur Mitte-Links-Politik in der Fortsetzung von Angela Merkel geliefert und wehrt sich dagegen durch immer größere Stimmenanteile für die AfD. Und wenn man so weitermacht wie bisher, erzeugen wir quasi ein Zwei-Parteien-System, bestehend aus der AfD und den Anti-AfD-Kräften. Und wenn dann die AfD sich durchsetzt, dann wird das Heulen und Zähneklappern und Zähneknirschen seitens der Anti-AfD-Partei gewaltig sein. Aber es wird dann keine Widerlage zur AfD-Mehrheit geben, wenn man es versäumt hat, rechtzeitig Koalitionsmöglichkeiten zu erkunden.
CDU: „Gaga, dumm, vernagelt, verbohrt“
Sie haben gerade die Anti-AfD-Allianz angesprochen. Ich habe vor kurzem mit Sahra Wagenknecht gesprochen, und sie meinte durch die Blume, die Weichen wären bereits gestellt zwischen der AfD und der CDU im Hintergrund und 2029 ist längst vorbereitet. Sehen Sie das ähnlich oder glauben Sie tatsächlich, dass eher 2029 nochmal so eine Anti-AfD-Allianz kommen wird, um halt bloß irgendwie eine AfD-Mitherrschaft zu verhindern Oder wird das unvermeidlich – oder wird eine AfD-Regierung eher bis zur übernächsten Bundestagswahl verzögert, dann aber mit einer absoluten Mehrheit?
Ich bin weder in den Innereien der CDU noch in den Innereien der AfD so weit unterwegs, dass ich wissen würde, ob es da schon belastbare Pizza-Connections gibt, wie einst in Nordrhein-Westfalen zwischen Union und Grünen. Wenn es so wäre, wie Frau Wagenknecht das beschreibt, dann wäre es gut so. Denn es ist wesentlich besser, mit einem Plan in schwierige politische Debatten hineinzugehen, als planlos dann einfach improvisieren zu müssen, wenn die Situation da ist.
Ich werfe der CDU seit über zehn Jahren vor, dass sie sich gedanklich gar nicht auf den Fall einstellen will, dass ein Bündnis mit der AfD für sie und für das Land politisch günstiger wäre, als der Versuch, an der Seite von SPD und Grünen die bisherige Merkel-Politik nach Möglichkeit fortzusetzen. Was die absolute Mehrheit für die AfD betrifft, scheint sie im nächsten Jahr in Sachsen-Anhalt und in Mecklenburg-Vorpommern nicht unerreichbar zu sein. Auf Bundesebene halte ich sie für alle vorhersehbare Zukunft – und das sind in der Politik meistens zehn Jahre und mehr – für schwer vorstellbar. Die ostdeutsche Wählerschaft ist ein Viertel der gesamtdeutschen Wählerschaft für die AfD. Es gibt im Westen nicht jenes systemische Protestpotenzial, das im Osten seit der Wiedervereinigung besteht und lange Zeit von der PDS, später Linkspartei, aufgefangen worden ist.
Also wenn die AfD auf Bundesebene Macht ausüben will, dann wird das auf politisch absehbare Zeit nur im Bündnis mit der Union gelingen können. Auf Landesebene freilich wird sich die Frage insbesondere für die Union stellen, was man denn macht, wenn die AfD mit Abstand stärkste Partei geworden ist. Macht man dann noch einmal eine Allparteien-Koalition gegen die AfD und stößt folglich die Wählerschaft mit der Nase darauf, wenn ihr Mitte-Links-Politik nicht mehr wollt, müsst ihr nun wirklich mit absoluten Mehrheiten die AfD wählen? Oder sagt die CDU voller Reue über eigene Fehler in der Vergangenheit, ja dann ist – damit wir nicht an der Seite von SPD und Grünen und Linken weiter politisch verhungern und verzwergen – es für uns nicht besser, leider Gottes nun als Juniorpartner, in ein Bündnis mit der AfD zu gehen?
Das wird die strategische Entscheidung des nächsten Jahres sein. Und von der hängt dann freilich auch die Mehrheitsbindung auf Bundesebene ab – sobald in Ostdeutschland erst recht zelebriert wird, dass die AfD auch dann, wenn sie vom Wähler in demokratischen Wahlen mit Abstand zur stärksten Partei gemacht worden ist, nicht damit rechnen kann, dass sie an der Regierung beteiligt wird.
Da wird bei der Bundestagswahl auch für viele Wähler im Westen klar werden: Will ich Mitte-Links-Politik loswerden, gibt es keine Alternative zur Alternative für Deutschland. Und das ist genau das Gegenteil dessen, was ja durch diese Anti-AfD-Koalitionsbildung bewirkt werden soll. Und wenn jemand bewusst oder gewarnt das Gegenteil dessen tut, was seinen eigenen politischen Interessen förderlich ist, da kann man das doch eigentlich nur als gaga bezeichnen – als dumm, als vernagelt, als verbohrt.
AfD und rechtes Vorfeld: „Vernünftig“
Glauben Sie, es wäre so ein absolutes Schreckensszenario für die Altparteien, wenn zum Beispiel in Sachsen-Anhalt die AfD die absolute Mehrheit erringt, weil man dann halt auch feststellt, dass dann nicht irgendwelche Nazis aufmarschieren, sondern dass eine Politik gemacht wird mit mehr Pragmatismus, weniger Ideologie, die nach vorne gerichtet ist, die das Land vielleicht sicherheitspolitisch und wirtschaftspolitisch nach vorne bringt, und die Menschen dann realisieren, dass die AfD nicht das Land von jetzt auf gleich auf den Kopf stellen wird, sondern durchaus eine Alternative für Deutschland ist?
Schicken wir voraus, dass eine AfD-Alleinregierung in einem deutschen Bundesland nur das machen kann, was im Rahmen der Landeskompetenzen möglich ist. Und das ist zum Großteil nicht das, was die AfD bundespolitisch auf dem Programm hat. Ein Landesparlament, eine Landesregierung kann nicht die deutsche Migrationspolitik verändern, kann auch nicht den Marsch in den Rundumsozialversorgungsstaat stoppen und so weiter und so fort.
Was eine Landesregierung machen kann, das ist Kulturkämpfe zu entfalten. Denn das Erziehungssystem, das Universitätssystem, das liegt genauso wie das Mediensystem im Kompetenzbereich von Landesregierungen. Und hier hängt dann wirklich alles davon ab, wie die erste AfD-Landesregierung sich im Amt verhält. Wenn sie – sozusagen nach dem Motto, koste es, was es wolle – einen Kulturkampf beginnt, um in einem deutschen Bundesland mitzuteilen, wie sie ganz Deutschland umgestalten wolle, dann wird sie unglaublich viele Gegenkräfte erwecken und unglaublich viele Radikale zur Unterstützung der dann unter bundesweiten Beschuss gekommenen Landesregierung mobilisieren.
Das wird ihr bundespolitisch nicht nutzen und wird ihr sogar eher schaden, weil sie dann unter der Beobachtung der Ämter für Verfassungsschutz, zumindest des Bundesamtes für Verfassungsschutz, bleibt. Vernünftig und sozusagen der Todeskuss für die etablierten Parteien, insbesondere für die CDU, wäre es, wenn eine AfD-Landesregierung eine vernünftige Mitte-Rechts-Politik machte, welche linke Auswüchse zwar politisch aufspießt und damit auch die notwendigen Debatten herbeiführt, aber in keiner Weise als rechtsextrem, als rechtsradikal anfechtbar ist. Denn dann würde sie sich sozusagen als die gute, alte und endlich wieder an die Macht zurückgekehrte vernünftige CDU aufführen. Ja, dann wäre für die Original-CDU nur noch wenig an Blumentöpfen zu gewinnen. Aber der Trost für die CDU, um es etwas süffisant zu formulieren, ist der, dass in der AfD sehr viele die Sache ganz anders sehen.
Das, was AfDler am wenigsten wollen, ist sozusagen zu einer zweiten, vernünftigeren Union zu werden. Sie wollen zeigen, dass sie die wirkliche Alternative sind. Man muss auch sozusagen die Rechtsradikalen an sich ziehen, denn nur mit so einer Bündnispolitik bleibt man stark, was im Übrigen vernünftig ist. Die Linken machen immer diese Bündnispolitik.
Die Omas gegen Rechts haben gar kein Problem, wenn Linksextremisten bei ihren eigenen Veranstaltungen dabei sind und sagen, ja, dann haben wir die jugendliche Power dabei. Infolgedessen kann ich der AfD das ja auch nicht vorwerfen, wenn sie sozusagen das linke Bündnismuster kopiert. Aber die AfD muss sich fragen: Was will sie strategisch erreichen? Nochmal eine große Mobilisierung im rechten Bereich? Oder will sie so vernünftig regieren, dass sie zwar mit ihren Rechten Probleme bekommt – so wie die SPD, wenn sie regiert, immer Probleme mit den Linken bekommt –, aber gemeinsam mit der Union als verbleibender starker Partei das Land auf einen Kurs bringt, von dem es idealerweise niemals abgewichen wäre?
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