Der heutige Freitag stellt einen Wendepunkt im Jahrzehnte andauernden Konflikt zwischen der Türkei und der kurdischen PKK dar: Nach dem Friedensaufruf von Kurden-Führer Abdullah Öcalan legen die ersten Kämpfer die Waffen nieder. Eine Entwicklung, die den gesamten Nahen Osten beeinflussen könnte. In unserer Juli-Ausgabe mit dem Titelthema „Der Brandstifter – Wie Netanjahu die Welt anzündet“ schauen wir uns die Situation in der Dauer-Krisen-Region genau an. Hier mehr erfahren.

    Im Februar hatte Öcalan, seit dem Jahr 1999 auf der Gefängnisinsel im Mittelmeer inhaftiert, aus der Haft heraus das Ende des politischen Kampfes der PKK erklärt. 40 Jahre lang versuchte die (anfangs stark marxistisch geprägte) Arbeiterpartei Kurdistans, wie die – in den meisten europäischen Ländern als Terrororganisation eingestufte – PKK formal heißt, durch bewaffneten Kampf einen eigenen Kurdenstaat im Nahen Osten zu realisieren – auf dem Territorium der Türkei, Syriens, des Nordiraks und des Irans.

    Der Kurden-Konflikt wird immer wieder auch auf deutsche Straßen getragen. Fotograph: Shutterstock.com, von Gerard Bottino.

    Während die Organisation anfangs unter der kurdischen Bevölkerung noch größeren Rückhalt besaß, erkannten im Laufe der Zeit immer mehr Menschen, dass der Weg Öcalans in eine Sackgasse führt und / oder arrangierten sich mit den bestehenden kurdischen Autonomierechten, etwa im Nordirak. Der Rückhalt bröckelte und selbst die kurdische Regionalregierung im Nordirak unterstütze in den letzten Jahren türkische Offensiven gegen die PKK-Kernregion im Kandil-Gebirge, wo sich die Gruppe über Jahrzehnte in dem schwer zugänglichen Gebirgsmassiv verschanzt hatte. Der Aufruf Öcalans, den bewaffneten Kampf aufzugeben, dürfte deshalb für viele PKK-Kämpfer eine Erlösung dargestellt haben und ihnen die Perspektive eines normalen Lebens ermöglichen.

    Übergabe der Waffen im nordirakischen Sulaimaniyya

    Zum ersten Mal wurde am gestrigen Donnerstag eine Videobotschaft von Abdullah Öcalan veröffentlicht, in welcher er seine Forderung nach einem Ende des bewaffneten Kampfes erneuerte und seine Kämpfer zur Abgabe ihrer Waffen aufrief.

    Nur einen Tag später ist es soweit: In der nordirakischen Millionen-Metropole Sulaimaniyya, neben der Hauptstadt Erbil (im Herrschaftsgebiet der Barzani-Familie) das zweite, von der Talabani-Familie kontrollierte Zentrum der Region, werden Angaben unabhängiger Journalisten zufolge die ersten 30 bis 40 Kämpfer der PKK ihre Waffen in einer feierlichen Zeremonie, die im prestigeträchtigen Hotel Ashur stattfindet, abgeben. Erwartet werden neben Regierungsvertretern der Autonomieregion und der irakischen Behörden auch türkische Vertreter, die überprüfen wollen, ob das Entwaffnungsversprechen der PKK eingehalten wird. Es würde, nach jahrelanger Eskalation, endlich einen Friedensprozess zwischen Türken und Kurden ermöglichen.

    2.000 PKK-Veteranen verschanzen sich

    Insgesamt sollen noch etwa 2000 PKK-Kämpfer, die meisten davon seit vielen Jahren oder teils Jahrzehnten im bewaffneten Kampf, in den Kandil-Bergen ausharren. Seit etwa zwei Jahren versucht die türkische Armee, in das schwer zugängliche Gebirgsmassiv einzudringen, konnte aber nur begrenzte Erfolge erzielen – zu stark befestigt waren sie sogenannten „Medya-Verteidigungsgebiete“, die letzte Festung der immer weiter zurückgedrängten PKK. Der bevorstehende Frieden zwischen der türkischen Regierung und der PKK bietet diesen Kämpfern, die ihren Mut und ihre Tapferkeit in einem völlig aussichtslosen Kampf, der selbst im Nordirak von einem Großteil der Kurden abgelehnt wurde, über lange Zeit bewiesen haben, endlich eine Perspektive: Die Rückkehr in die Gesellschaft durch eine zu erwartende Generalamnestie für PKK-Kämpfer.

    Kommt Öcalan frei? Historische Erdogan-Rede angekündigt!

    Doch nicht nur für die ehemaligen PKK-Veteranen gibt es eine Perspektive, auch Kurden-Chef Abdullah Öcalan könnte, wenn der Entwaffnungsprozess anhält, freikommen, der Rest seiner lebenslangen Haftstrafe erlassen werden. Größter politischer Sieger könnte jedoch ausgerechnet der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan werden, der bisher durchaus mit harter Hand gegen kurdische Organisationen, nicht nur die PKK, sondern auch eher gemäßigtere Gruppierungen, vorgegangen ist.

    Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan könnte den größten politischen Gewinn aus der Lösung des PKK-Problems einfahren. Foto: Sasa Dzambic Photography I Shutterstock.com.

    Gelingt es Erdoğan, den Konflikt mit der PKK offiziell zu beenden und Perspektiven zur Lösung des türkischen Kurden-Problems zu vermitteln, erschließen sich ganz neue Wählerschichten, von denen die Lösung des Dauerkonfliktes honoriert wird. Nicht zuletzt unter den Kurden selber. Ein Vorbild könnte dabei das Verhältnis der Türkei zur kurdischen Autonomieregion im Nordirak sein: Beide Seiten arbeiten wirtschaftlich eng zusammen und tauschen sich auch in Sicherheitsaspekten aus, die Situation ist seit vielen politisch Jahren (insgesamt) stabil.

    Ganz anders, als zwischen der Türkei und den autonomen Kurdenregionen in Syrien, in denen der Einfluss der PKK und ihrer syrischen Schwesternorganisation, der YPG, noch deutlich größer sein soll. In welche Richtung die Entwicklung gehen wird, dürfte der für Samstag angekündigten Erdoğan-Rede zu entnehmen sein, die als „historisch“ angekündigt wird.

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