Ist ein geforderter „Sturz des Regimes“ identisch mit der Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung? Das behauptete Nancy Faeser – doch genau das Gegenteil ist der Fall. Sichern Sie sich jetzt noch unsere aktuelle Juni-Ausgabe mit einem umfangreichen Dossiert zur Thematik „Gesichert unbequem“. Hier mehr erfahren.

    _von Manfred Kleine-Hartlage

    Was ist ein Regime? In meinem Buch Die Besichtigung des Schlachtfelds (2016) habe ich den Begriff definiert: „Sofern in diesen Texten das Wort ‚Regime‘ in Bezug auf die Machtverhältnisse in der Bundesrepublik verwendet wird, ist damit, wie sich auch aus dem jeweiligen Zusammenhang ergibt, nicht die verfassungsmäßige Rechtsordnung dieses Staates gemeint, sondern eine faktisch existierende, diese Rechtsordnung pervertierende und zerstörende, kartellartig verflochtene Machtstruktur, bestehend aus formellen und informellen Elementen, die einen Großteil der gesellschaftlichen Eliten insbesondere aus Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft umfasst.“

    Was ist ein Regime?

    Soweit ich erkennen kann, geht auch Jürgen Elsässer in etwa von dieser Definition aus. Dieser Hinweis ist wichtig, weil im Verbotsverfahren der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit mit Elsässers Gebrauch des Wortes „Regime“ begründet wird man diesem Ausdruck willkürlich eine Bedeutung unterschiebt, die er nicht hat.

    Auf jener willkürlichen Gleichsetzung des Wortes „Regime“ mit „verfassungsmäßige Rechtsordnung“ beruhen weite Teile des ursprünglichen Verbots. Willkürlich ist diese Gleichsetzung bereits deshalb, weil „Regime“ kein juristischer Begriff ist und deshalb bereits begriffslogisch keine Bezeichnung einer Rechtsordnung sein kann! In der politischen Sprache bezeichnet er faktische Machtstrukturen, nicht deren normative rechtliche Umschreibungen, Selbstbeschreibungen oder Legitimationen.

    Unter dem Stalin-Regime oder dem Regime der Jakobiner im revolutionären Frankreich waren Verfassungen in Kraft, die durchaus freiheitlich und demokratisch klangen. Nur hatten die faktischen Machtverhältnisse mit diesen rein theoretisch so vorbildlichen Verfassungen eben nichts zu tun. Diesen waren im Gegenteil geradezu Feigenblätter, die den in Wahrheit despotischen und totalitären Charakter der Machtverhältnisse in diesen Staaten verschleiern sollten. Der abwertende Beiklang des Wortes „Regime“ resultiert nicht zuletzt genau aus dieser Diskrepanz zwischen propagandistischem beziehungsweise juristischem Anspruch und politischer Wirklichkeit.

    Der Autor Manfred Kleine-Hartlage im Interview mit COMPACT-TV. Foto: Screenshot COMPACT-TV.

    Darüber hinaus bietet sich das Wort „Regime“ überall dort an, wo die Macht von einem Netzwerk von Akteuren ausgeübt wird, das sich nicht eindeutig einer Institution oder einem gesellschaftlichen Teilsystem zuordnen lässt.

    Es wäre in der heutigen Kräftekonstellation sinnlos und würde den entscheidenden Kritikpunkt verfehlen, wollte man nur „die Regierung“ kritisieren oder „die etablierten Parteien“ insgesamt (denn die haben sich in Wahrheit auch scheinbar neutrale und parteiunabhängige Instanzen gefügig gemacht) oder „den Staat“ (denn die ganze Machtstruktur steht und fällt mit der Kollaboration nichtstaatlicher Akteure, etwa der Medien).

    Das BMI fährt in seiner Verbotsverfügung fort: „Kern der Aktivitäten des Vereins (gemeint ist COMPACT) ist damit die Verbreitung von verfassungsfeindlichen Inhalten zur Beeinflussung und Indoktrination von Anhängern und Rezipienten der Veröffentlichungen, damit sich diese gegen die verfassungsmäßige Ordnung in Form des demokratischen Systems mit ihrer demokratisch gewählten Regierung (…) auflehnen.“

    So soll Kritik verboten werden

    Hier wird „die demokratisch gewählte Regierung“ in einer Art Kettenidentifikation mit „dem demokratischen System“ und „der verfassungsmäßigen Ordnung“ gleichgesetzt: als ob jede Regierung, nur weil sie demokratisch gewählt ist, deswegen bereits in der Sache recht haben müsse, und als ob sie deswegen bereits auch in ihren Handlungen automatisch demokratisch und verfassungskonform sein müsse. Mit diesem plumpen rhetorischen Mätzchen erklärt das BMI praktisch jede Kritik für illegitim und sogar verfassungsfeindlich.

    Weiter im Text der Verbotsverfügung: „Dabei wird (…) fortlaufend auf Begrifflichkeiten wie ‚Systemsturz‘, ‚Regimesturz‘, ‚Revolution‘ oder ‚Diktatur‘ rekurriert.“ Was die Verantwortlichen geflissentlich ignorieren: Das Wort „System“ wird im AfD-nahen Spektrum, einschließlich des COMPACT-Umfelds, in demselben Sinne gebraucht wie das Wort „Regime“, also nicht als Bezeichnung der demokratischen Rechtsordnung, sondern einer Machtstruktur, die diese Rechtsordnung pervertiert, biegt, bricht und für ihre Zwecke missbraucht.

    Der Sturz einer solchen Struktur ist, auch wenn man ihn „Revolutio“» nennt, gerade kein Akt, der sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet, sondern dient dort, wo das Kartell noch etwas von ihr übrig gelassen hat, ihrer Erhaltung; dort, wo es sie schon zerstört hat, ihrer Wiederherstellung.

    As Innenministerium stützt seinen Anschlag auf die Pressefreiheit mithin nicht einfach auf eine Fehlinterpretation, sondern auf eine Lüge. Sogar im Verfügungstext selbst dementiert man sich selbst. Die Verbotsverfügung zitiert etwa aus dem Magazin: „In dieser historischen Entscheidungssituation will COMPACT sein ganzes publizistisches Gewicht in die Waagschale werfen, damit das volksfeindliche Ampel-Regime gestürzt wird.“ Aus dieser Äußerung geht eindeutig der Wille der Betroffenen zum Sturz einer bestimmten Regierung hervor (was in einer Demokratie dazugehört und selbstverständlich legal ist).

    Es ist unerfindlich, wie Nancy Faeser aus solchen Statements, die ja nicht etwa von COMPACT in exkulpierender Absicht vorgetragen wurden, sondern die das BMI sich selbst herausgepickt hat, einen Willen zur Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ableiten wollte. Dass sie es dennoch tat, wirft ein Schlaglicht auf die Ideologie, von der sie sich leiten ließ.

    Diktatorische Maßnahmen gegen Diktatur-Vorwurf…

    Des Weiteren versucht das Ministerium, dem Magazin einen Strick daraus zu drehen, dass es für die Praktiken des herrschenden Kartells mitunter das Wort „Diktatur“ . Es wird wohl das Geheimnis dieses Kartells bleiben, wie es den Vorwurf, eine Diktatur auszuüben, ausgerechnet durch ein willkürliches Presseverbot, durch nicht minder willkürliche Hausdurchsuchungen im Morgengrauen samt Beschlagnahmung von Vermögensgegenständen bis hin zu Stühlen und Tischen widerlegen will, also durch Methoden, die weitaus besser zu einer südamerikanischen Junta passen als zu einem demokratischen Rechtsstaat – zumal sich dieses Verbot obendrein nicht etwa nur auf öffentliche Äußerungen des betroffenen Blatts, sondern auch auf Protokolle abgehörter privater Telefonate stützt.

    Dazu heißt es in der Verbotsverfügung: „Dr. Stephanie Elsässer äußerte sich in Telefonaten mit Dritten wie folgt: ‚Ja, wir wollen das System stürzen. (…) Es geht um alles oder nichts dann, ne.‘ ‚Sie wissen ja, wir wollen das System ja stürzen, wir arbeiten da hart dran.‘“ Hätte ich es nicht Schwarz auf Weiß, ich würde kaum glauben, mit welchem Maß an Inkompetenz hier agiert wird. Wenn man schon glaubt, im Stil totalitärer Regime Telefone abhören zu müssen, dann sollte man bei der Interpretation und Verwertung des so gewonnenen Materials wenigstens ein Minimum an Verstand walten lassen.

    Das hieße erstens, sich bewusst zu sein, dass jemand in einem privaten Telefonat beim Gesprächspartner ein bestimmtes Vorverständnis voraussetzt, das juristische oder politikwissenschaftliche Erläuterungen etwa des Wortes „System“ erübrigt. Allein durch den Umstand, dass das BMI auf seinem eigenen Vorverständnis beharrt, statt sich über dasjenige des jeweiligen Gesprächspartners Gedanken zu machen, reduziert sich der Beweiswert solcher „Erkenntnisse“ auf Null.

    Bemitleidenswerte Unbedarftheit

    Zweitens gibt das Ministerium mit solchen Zitaten implizit selbst zu, dass seine Abhöraktionen nicht mehr an einschlägigen Informationen erbracht haben, als auch öffentlich zugänglich war; dass – drittens – die Betroffenen intern nichts anderes sagen als in der Öffentlichkeit; was dann viertens die Frage nach der Verhältnismäßigkeit der ganzen Abhörerei und fünftens die nach der Intelligenz der Verantwortlichen aufwirft, die nicht nur ohne Not – weil ohne argumentativen Gewinn – ihre nachrichtendienstlichen Praktiken offenlegen, sondern töricht genug sind, deren Überflüssigkeit auch noch in einem amtlichen Schriftstück zu dokumentieren.

    Es ist beinahe schon tröstlich, dass ihre Skrupellosigkeit, die sie für Führungspositionen in einer Demokratie disqualifiziert, auf der anderen Seite mit solch bemitleidenswerter Unbedarftheit einhergeht. Zwar ist es äußerst beunruhigend, dass diese eklatante Inkompetenz vermutlich auch in wirklich sicherheitsrelevanten Zusammenhängen zum Tragen kommt – etwa bei der Terrorismusbekämpfung. Dennoch lässt sie einem die Hoffnung, dass die Verantwortlichen beim Versuch, ein totalitäres System zu errichten, an genau dieser Eigenschaft scheitern werden.

    Die Text stammt aus dem Buch von Manfred Kleine-Hartlage „Der kalte Staatsstreich“, der sich mit dem COMPACT-Verbot befasst (noch im Shop erhältlich). In unserer aktuellen COMPACT-Ausgabe befassen wir uns ausführlich in einem Dossier mit der Ausgrenzungs-Thematik „Gesichert unbequem“. Hier bestellen.

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