Vor einer Woche wurde der syrische Präsident Bashar al-Assad durch einen Putsch gestürzt. Seither nehmen die militärischen Konflikte jedoch noch weiter zu. Das Land droht zu einem zweiten Libyen zu werden. Alle Hintergründe bietet „Die USA, Israel und der Nahe Osten“ von Historiker Rolf Steininger. Hier mehr erfahren.

    Nach 54 Jahren endete die Herrschaft der Familie Assad in der Nacht auf den 8. Dezember 2024, kampflos wurde die syrische Hauptstadt Damaskus – wie zuvor schon die Millionenstadt Aleppo, sowie die weiteren Großstädte Hama und Homs – den aufständischen Islamisten der Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS) übergeben.

    Vorausgegangen war ein beispielloser Verrat der syrischen Armeeführung, die sich geweigert hatte, den Terroristen Widerstand entgegen zu setzen. Assad, von seinem Umfeld verraten und spätestens nach der kampflosen Übergabe von Homs mit dem Bewusstsein, keine militärische Chance mehr zu haben, blieb nach gescheiterten Gesprächsversuchen mit den Aufständischen nur noch die Flucht nach Russland.

    Während die westlichen Medien in Jubeltiraden verfielen, wahlweise vom Ende des „Despoten“ oder „Tyrannen“ sprachen und auch Verständnis dafür aufwies, dass in Deutschland lebende Syrer unter „Allahu Akhbar“ – Rufen für „Siegesfeiern“ unsere Weihnachtsmärkte stürmten, hat sich die Situation für die Menschen in Syrien weiter verschlechtert. Quasi nahtlos wurden – noch am Tag von Assads Sturz – neue Fronten eröffnet, die in einen großen Krieg münden könnten.

    Der Einfluss der USA und der Türkei

    Schon in der Vergangenheit hatte es immer wieder Kämpfe zwischen der Freien Syrischen Armee (FSA) – eine der Türkei nahestehende Miliz, die zum Islamisten-Bündnis der HTS gehört – und den kurdischen YPG-Volksverteidigungseinheiten (als Teil der sogenannten Demokratischen Streitkräfte Syriens, SDF) gegeben, die weite Gebiete im Nordosten von Syrien kontrollieren. Mittlerweile haben diese Auseinandersetzungen an Intensität gewonnen, die FSA hat die kurdischen Einheiten nach der Einnahme der wichtigen Städte Deir ez-Zor und Manbidsch aus dem Gebiet westlich des Flusses Euphrat vertrieben und versucht nun, Brückenköpfe auf der anderen Seite zu schlagen.

    Brennpunkt Syrien: Kämpfer der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) im Dezember 2024 am Flughafen von Aleppo. Foto: IMAGO / ABACAPRESS

    Gleichzeitig hat der türkische Außenminister Hakan Fidan die gänzliche Auflösung der YPG gefordert, ihre Führung müsse Syrien vollständig verlassen. Die YPG könne sich „entweder selbst auflösen oder sie wird aufgelöst“, so Fidan. Schon jetzt beteiligt sich die türkische Armee an Angriffen auf kurdische Gebiete in Grenznähe und die eindeutigen Drohungen dürften als Ankündigung einer neuen Militäroffensive verstanden werden. Mit der Türkei und den USA, die im Kurdengebiet zahlreiche Stützpunkte unterhalten und bisher als Lebensversicherung der YPG galten, stehen sich dabei zwei NATO-Mitgliedsstaaten mit gegensätzlichen Interessen in der Region gegenüber.

    Israels Vormarsch

    Doch nicht nur im Nordosten eskaliert die Situation: Aus dem Süden rückt die israelische Armee weiter vor, hat bisher etwa 20 Städte und Dörfer in Südsyrien besetzt. Noch am Tag von Assads Sturz erklärte die Netanyahu-Regierung, sich nicht mehr an das Waffenstillstandsabkommen von 1974 gebunden zu fühlen, kündigte die dauerhafte Einverleibung der Golanhöhen nach Israel ein und startete eine Offensive auf syrischem Gebiet, um eine „Pufferzone“ zu errichten.

    Dabei stößt sie kontinuierlich weiter vor und wird dabei von den im syrischen Grenzgebiet zu Israel lebenden Drusen, einer arabischen Religionsgemeinschaft, unterstützt, deren Stammesführer Israel um eine dauerhafte Militärpräsenz – oder gleich einen Anschluss an Israel – gebeten haben sollen.

    Wie völkerrechtlich grotesk die Einrichtung einer solchen „Pufferzone“ auf fremden Staatsgebiet ist, wird bei einem Vergleich deutlich: Eine Bundesregierung, die ankündigen würde, Elsass-Lothringen militärisch zu besetzen, um den Schutz vor möglichen Angriffen aus Frankreich zu erhöhen, würde augenblicklich mit dem Vorwurf versehen, einen Angriffskrieg zu führen. Nicht so beim neuen israelischen Vormarsch.

    Interessanterweise sehen auch die neuen Machthaber in Syrien diesem Treiben tatenlos zu: Während sich die Terroristen vom al-Qaida-Nachfolger bemühen, weniger terroristisch zu erscheinen, sich als gemäßigt darstellen (werden Köpfe demnächst nur noch bis zur Hälfte abgeschnitten?) und beste Verbindungen zur westlichen Presse zu pflegen scheinen, sehen die Islamisten-Milizen keine Veranlassung, sich dem israelischen Vormarsch, der kurz vor der Stadt Daraa steht, entgegen zu stellen.

    Lediglich mit einem Schreiben an den UN-Sicherheitsrat protestiert der neue, militärische Machthaber Syriens, Mohammad al-Dscholani, vor seine „Karriere“ bei HTS u.a. für den Islamischen Staat „IS“ tätig, gegen die syrische Aggression. Ein ziemlich harmloses Vorgehen für einen Hardcore-Islamisten, doch die israelische Schützenhilfe beim Sturz Assads ist wohl noch nicht vergessen.

    Russland räumt Stützpunkte

    In dem zunehmenden Chaos wurden jüngst zudem Racheaktionen von versprengten Einheiten der Syrisch Arabischen Armee (SAA) gemeldet, die weiter zu Assad halten und Angriffe auf die neuen Machthaber durchgeführt haben. In diesem Chaos – es gibt in verschiedensten Konstellationen regionale Auseinandersetzungen zwischen Gruppierungen – hat Russland damit begonnen, zahlreiche seiner Militärstützpunkte im Landesinneren zu räumen und Soldaten an die Mittelmeerküste zu verlegen – die Zukunft dieser Militärbasen ist noch unklar. Zumindest scheint es aktuell jedoch die Order zu geben, dass ausländische Militärstützpunkte nicht zum Ziel von Angriffen der neuen Islamisten-Regierung werden.

    Von der Türkei unterstützte dschihadistische Kämpfer in Nordsyrien. Foto: quetions 123 I Shutterstock.com.

    Parallel zur militärischen Entwicklung suchen die verschiedensten Regional- und Weltmächte, die im Nahen Osten ihre Interessen durchsetzen wollen, den Dialog mit der neuen Regierung, auch mehrere (westliche) Länder eröffneten ihre zuvor jahrelang geschlossenen Botschaften in Damakus neu. Auch die türkische Botschaft, 2012 nach Beginn des Aufstandes gegen Assad geschlossen, wurde jüngst neu bezogen.

    Das moralische Hindernis, nunmehr mit einer Terrororganisation, deren Anführer die USA als „globalen Terroristen“ einstufen und ein Kopfgeld von 10 Millionen Euro auf dessen Ergreifung ausgesetzt haben, kooperieren zu müssen, löst der Wertewesten dagegen auf seine Art: In den USA und Großbritannien wird darüber diskutiert, den Status der HTS abzuändern und zukünftig nicht mehr von einer „Terrororganisation“ zu sprechen. Die Noch-Terroristen werden wohl demnächst als offizielle Bündnispartner gebraucht.

    Über das aktuelle Geschehen hinaus: Im globalen Spiel der Mächte ist der Nahe Osten eines der Hauptfelder der amerikanischen Politik. Die USA sind die entscheidende Macht in der Region, die von strategischer Bedeutung ist. Der renommierte Historiker Rolf Steininger hat mit „Die USA, Israel und der Nahe Osten“ auf der Basis umfangreicher Akten die erste deutschsprachige Gesamtdarstellung dazu vorgelegt. Ein Werk, das umfassend informiert. Hier bestellen.

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