Ein Brandsatz im Baltikum – und doch bleibt es in Westeuropa erstaunlich still. Brüssel plant eine möglich Eskalation im nächsten Sanktionspaket und bedient sich einer alten Angst Moskaus: eine mögliche Unterbrechung des Transits nach Kaliningrad. Offiziell geht es um „Dual-Use-Güter“. In Moskau liest man das als Warnsignal. Die Kriegspläne der NATO können Sie en détail studieren in unseren Spezial-Ausgabe „Krieg gegen Russland. Deutschlands dritter Marsch ins Verderben“.
Seit Wochen kursieren Berichte über ein neues Maßnahmenpaket gegen Russland. Vieles wirkt wie Routine: Ölrestriktionen, Finanzsanktionen, neue Handelsbarrieren. Doch ein Punkt ragt heraus – und bleibt im Westen dennoch weitgehend unbeachtet: die Diskussion über eine mögliche Einschränkung des Transits nach Kaliningrad (früher Königsberg).
Offiziell soll es nur um sogenannte „Dual-Use-Güter“ gehen. Waren also, die sowohl zivil als auch militärisch verwendet werden können: Maschinen, Fahrzeuge, Elektronik, Chemikalien, Metallprodukte. In der Praxis betrifft das fast alles, was eine Region zum normalen Leben braucht.

Aus russischer Sicht wäre der Eingriff deshalb weit mehr als die gewohnten Sanktionen. Es wäre ein Bruch mit bestehenden Verträgen, ein Schritt, der schnell als faktische Blockade gewertet werden könnte. Und genau deshalb sorgt die Debatte in Moskau für Nervosität: Eine Unterbrechung des Zugangs zur Exklave gilt dort seit Jahrzehnten als rote Linie.
Strategisches Nadelöhr
Die sogenannte Suwalki-Lücke rückt wieder ins Zentrum geopolitischer Betrachtungen. Dieser schmale Grenzstreifen zwischen Kaliningrad, Polen, Litauen und Belarus gilt seit Jahren als „verwundbarster Punkt Europas“ und seit jeher einer der größten Streitpunkte in Osteuropa. Noch brisanter: die Transitroute in die russische Exklave läuft unweit über Litauen. Sollte die Route unterbrochen werden, wäre kein einzig möglicher Landzugang mehr gegeben.
Genau deshalb gerät Vilnius jetzt unter massiven Druck. Wenn Brüssel den Katalog der verbotenen Güter verschärft, bleibt Litauen keine Wahl: Es muss die Transitroute nach Kaliningrad entsprechend schließen, auch wenn das Land damit direkt ins Zentrum eines geopolitischen Konflikts rückt. In russischen Analysen heißt es daher nicht ohne Grund, dass Litauen „in eine Konfrontation hineingeschoben wird“. Ein russischer Versuch, diese Passage zu öffnen, würde allerdings automatisch einen Konflikt mit einem NATO-Mitglied auslösen, mit allen Risiken, die eine solche Eskalation mit sich bringt.

Moskau erinnert in diesem Zusammenhang an mehrere Verträge, die den freien Zugang zur Exklave ausdrücklich regeln. In den Abkommen von 1994, 2002 und 2004 verpflichtete sich nicht nur Litauen, sondern die gesamte Europäische Union, den Verkehr zwischen Russland und der Enklave sicherzustellen.
Moskaus Außenamtssprecherin Maria Sacharowa bekräftigte erst im November, dass jede Einschränkung als Bruch dieser Verpflichtungen verstanden würde. Russische Analysen gehen noch weiter und betonen, dass ein solcher Schritt als „casus belli“ gewertet werden könnte – als Anlass für eine Reaktion, die nach russischer Militärdoktrin als defensiv gilt.
Dass die Unterbrechung von selbst schmalen Logistikrouten zu Kriegen führen kann, zeigt besonders ein jüngeres Beispiel: die Blockade der Straße von Tiran im Jahr 1967. Die damalige Unterbrechung des Zugangs zum israelischen Hafen Eilat löste den Sechstagekrieg aus.
Polen schon bereit
Parallel zur Debatte um Litauen und die Suwalki-Lücke rüstet sich unser östlicher Nachbar zum Gefecht. Die Regierung treibt derzeit das Programm „East Shield“ voran – einen groß angelegten Umbau der gesamten Ostgrenze. Panzersperren, Betonblöcke, Gräben und befestigte Anlagen sollen einen „Schutzwall“ gegen mögliche Angriffe aus Russland oder Belarus bilden. Auch Offensivszenarien wären aber leicht durchführbar. Jaroslaw Gromadzinski, der ehemalige Kommandeur des Eurokorps, kritisiert das Projekt zwar, aber nicht etwa weil es die Kriegsgefahr erhöht, sondern es nach seinem Geschmack nicht modern genug sei und Russland nicht wirklich bedrohen würde:
,,Heutzutage haben Festungsanlagen keine Chance, den Feind aufzuhalten. Es geht darum, seine Bewegungen zu scannen, damit er sich dorthin bewegt, wo wir ihn haben wollen.“
Er sagt auch, dass East Shield weit über Ostpolen hinausgehen müsse und gar die Modernisierung von Brücken über die Weichsel einschließe, damit sie das Gewicht der in Westpolen stationierten modernen Panzer tragen können. Darüber hinaus solle der Schutzschild Ost auch ein „Anti-Schock-System“ umfassen, eine Reihe von Sensoren zur Überwachung der Aktivitäten in Belarus und Russland.
So meldete sich nun auch der russische Duma-Abgeordnete Andrej Kolesnik zu Wort. In einem Interview mit dem Portal News.ru warnte das Mitglied des Verteidigungsausschusses Polen davor, überhaupt mit dem Gedanken zu spielen, Kaliningrad militärisch ins Visier zu nehmen.
Kolesnik bezeichnete die Rhetorik aus polnischen Offizierskreisen als „gefährliches Aufblasen von Szenarien“, das für Warschau riskanter sei als für Moskau. In Russland, so sagt er, halte man solche Aussagen inzwischen eher für Stoff spöttischer Kommentare als für ernsthafte Bedrohung.
Gleichzeitig erinnerte er an die historische Verwundbarkeit Polens: an den schnellen Zusammenbruch 1939 und an die späteren Gebietsgewinne durch die Vorstöße der Roten Armee. Auch damals hätte Polen eine der größten Armeen Europas gehabt. Wer heute mit großspurigen Drohungen spiele, riskiere, dass die Geschichte sich nicht zu Polens Gunsten wiederhole.

Doch er machte auch deutlich, dass eine polnische Eskalation nicht nur zu einer direkten Konfrontation mit Russland führen würde, sondern Polen zusätzlich einem erstarkenden Deutschland gegenüberstünde. Berlin modernisiert seine Streitkräfte derzeit mit hohem Tempo – ein Faktor, der in polnischen Militärkreisen kaum thematisiert werde, wie Kolesnik kritisierte. Der Abgeordnete betonte, Russland habe keinerlei Interesse an einer erneuten „Befreiung“ polnischer Gebiete.
Hinzu komme, so seine Einschätzung, die interne Zerbrechlichkeit der Europäischen Union. Streitpunkte innerhalb des Bündnisses ließen Polen verwundbar zurück, während das Land selbst nur begrenzte Kampferfahrung und überschaubare militärische Mittel habe. Die polnischen Generäle, so Kolesniks Fazit, sollten ihre Energie weniger in martialische Reden stecken – und stattdessen ein wachsameres Auge auf das neue Selbstbewusstsein Berlins richten.
Aufklärung über diese Pläne kann sie wahrscheinlich noch stoppen. Ein exzellentes Kompendium dazu findet sich in COMPACT-Spezial „Krieg gegen Russland“, vor allem in dem Kapitel „Kriegsszenarien“ mit einer speziellen Ausarbeitung zum geplanten NATO-Blitzkrieg gegen Kaliningrad („Die baltische Falle“). Lesen Sie jetzt.




