Im Sechstagekrieg 1967 zerstörten Israelis das US-Kriegsschiff USS Liberty. Der Angriff sollte Ägypten in die Schuhe geschoben und mit Nuklearwaffen beantwortet werden. Das Vorkommnis gewinnt an Brisanz angesichts der aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten, mit denen sich unsere Juli-Ausgabe mit dem Titelthema «Der Brandstifter – Wie Netanjahu die Welt anzündet» eingehend befasst. Hier mehr erfahren.
_ von Dirk Pohlmann

Der Angriff kam um 13:57 Uhr aus heiterem Himmel. Die Besatzung des amerikanischen Spionageschiffs USS Liberty wusste zwar, dass sie nur 25 Kilometer vor der Küste eines Kriegsgebietes unterwegs war, aber sie rechnete nicht damit, als «Collateral Damage» in die Geschichte einzugehen. Die Freiwache auf dem Deck nahm gerade ein Sonnenbad. An diesem 8. Juni 1967 war der Sechstagekrieg zwischen Israel und den arabischen Staaten Ägypten, Jordanien und Syriendrei Tage alt, die Israelis nach ihrem Überraschungsangriff auf einem unvergleichlichen Siegeszug.
Für die US-Soldaten waren die acht israelischen Flugzeuge, die das Spionageschiff seit Sonnenaufgang aus nächster Nähe begutachtet hatten, ein beruhigender Anblick – die Israelis waren ihre Freunde. Aber plötzlich stürzten sich diese Freunde in immer neuen Angriffen mit Mirage- und Super-Mystère-Jagdbombern auf die Liberty, trotz der US-Flagge, die gut sichtbar an Heck wehte, zersiebten sie mit 3-cm-Kanonen, feuerten Raketen und warfen Napalmbomben auf das Schiff.
Die Angreifer waren merkwürdig gut informiert: Sie zerstörten zuerst die auffälligen Antennen und Kommunikationseinrichtungen des Schiffes. Die Liberty sollte stumm und taub werden. Die Israelis feuerten hitzesuchende Luft-Luft-Raketen ab, die automatisch die Energieabstrahlung der Antennen anvisierten. Jede wurde von einer Rakete getroffen – das hätte bei keinem anderen Schiff so funktioniert. Die Besatzung bemerkte, dass ihre Funkverbindungen zu anderen US-Navy- Einheiten durch «jamming» frequenzgenau gestört wurden. Wann immer sich ein US-Soldat an Deck zeigte, wurde er von den israelischen Flugzeugen unter Feuer genommen. Trotzdem gelang es einigen tollkühnen Seeleuten, eine Notantenne zu installieren.
Sie wurden gehört! Von der Saratoga und der USS America, US-Flugzeugträgern im Mittelmeer, stiegen Jagdbomber auf, um den Kameraden auf dem nur mit 4 MGs bewaffneten Schiff zur Hilfe zu kommen. Doch dann wurden sie aus dem Weißen Haus zurückbeordert, von Verteidigungsminister Robert McNamara höchstpersönlich. Warum nur?
Blutbad unter Deck
Mittlerweile waren die Flugzeuge der Israelis abgedreht. Aber das Massaker war noch nicht zu Ende. Jetzt rasten israelische Torpedoboote heran, um das Vernichtungswerk zu vollenden. Die leitenden Offiziere in Israel wurden nervös, weil die Liberty immer noch schwamm. Die Boote feuerten fünf Torpedos ab, richteten ein Blutbad unterdecks an. Dann fuhren sie neben dem Schiff her, zerschossen die Aufbauten, schossen auf die Seeleute und zerstörten die Rettungsflöße, die zu Wasser gelassen wurden.
Die Besatzungsmitglieder glauben bis heute, dass die Israelis dafür sorgen wollten, dass es keine Überlebenden gab. Israelische Hubschrauber voller schwer bewaffneter Soldaten umflogen das Schiff. Aber wie durch ein Wunder sank die Liberty nicht. Sie schwamm immer noch – mit 34 toten und 172 verletzten Offizieren und Matrosen …
Kurze Zeit später gab Israel zu, die Liberty angegriffen zu haben. Man habe das Schiff zwar am Morgen identifiziert, aber mittags, zum Zeitpunkt des Angriffs war diese Information angeblich wieder verloren gegangen. Man habe die Liberty mit dem etwa 2,5 Mal kleineren kleineren ägyptischen Pferdefrachter El Quseir verwechselt. Und weil es keine Absicht war und keine Fehler begangen worden seien, wurde kein israelischer Soldat bestraft.
Der Liberty-Zwischenfall ist und bleibt ein Rätsel. In den letzten Jahren sind neue Dokumente veröffentlicht worden, und Zeugen haben ihr Schweigen gebrochen. Immer mehr Indizien sprechen für die Variante der Besatzungsmitglieder, dass es sich um einen absichtlichen Angriff gehandelt hat. Aber was hat die Israelis nur dazu bewogen, ein US-Schiff anzugreifen?
Reingelegt, entführt, eingeknastet
Der britische Journalist Peter Hounam, ehemals Chefreporter der Sunday Times und BBC-Autor, heute im Ruhestand, hat in seinem Buch «Operation Cyanide» eine Erklärung gefunden. Seine Recherche ist so dicht, dass der Chefkorrespondent der BBC, Christopher Simpson, im Vorwort zu der Einschätzung kommt, dass Hounam auf eine der außergewöhnlichsten Geschichten des 20. Jahrhunderts gestoßen sei.
«Operation Cyanide» Operation kam schon 2003 auf den Markt, allerdings nur in Großbritannien, weshalb sein brisanter Inhalt kaum international bekannt wurde. Hounam ist ein renommierter Investigativjournalist. Er hatte 1986 in der Sunday Times die Enthüllungen des israelischen Nuklaertechnikers Mordechai Vanunu veröffentlicht, die weltweit Schlagzeilen machte, aber seinem Informanten 18 Jahre Haft und lebenslanges Sprechverbot über seine Erkenntnisse einbrachten.

Vanunu hatte es gewagt, Fotos, jedoch keine militärischen Geheimnisse, der israelischen Atomwaffenproduktion in Dimona vorzulegen. Dadurch wurde publik, dass Israel hunderte Atomwaffen aller Bauarten besitzt. Der Wissenschaftler wurde deswegen im selben Jahr vom Mossad mit der «Honigfalle» Cheryl Bentov nach Rom gelockt, zusammengeschlagen, unter Drogen gesetzt und nach Israel entführt, wo ihm der Prozess gemacht wurde. Zeitweise drohte ihm die Todesstrafe.
Auch das hat Hounam bis in die Einzelheiten recherchiert und veröffentlicht. Er war der Journalist, der Cheryl Bentov aufspürte und sie als Ehefrau eines Geheimdienstoffiziers enttarnte. 2004 wurde er in Israel vom Mossad festgenommen und in ein «mittelalterliches» Verließ gesperrt, wie Hounam es beschreibt – mit Graffiti an den Wänden, die Insassen mit Kot und Blut auf arabisch geschrieben hatten. Man sagte ihm, dass er nicht mehr freikommen würde. Aber zum Glück war seine Festnahme, für die es in Israel eine gerichtliche Stillschweige-Verordnung gab, von Amnesty-International-Aktivisten beobachtet worden.
Das Motiv der Drahtzieher
Hounam hat Indizien und Beweise für seine Variante der Liberty- Geschichte vorgelegt und erstmals 2002 in der BBC-Dokumetation «Dead in the Water» sowie ein Jahr später in seinem oben erwähnten Buch veröffentlicht, die ebenso unglaublich wie stichhaltig sind. Offenbar wollte eine Machtelite in den USA und Israel, dass die Liberty sinkt. Durch dieses neue Pearl Harbour, das möglichst grausam und perfide ausfallen sollte, sollte demnach der Vorwand geschaffen werden, Ägypten mit seinem Präsidenten Gamal Abdel Nasser anzugreifen und ein für allemal auszuschalten.
Der Angriff auf die Liberty sollte den Ägyptern in die Schuhe geschoben werden. Wenn die im Gegenzug darauf hingewiesen hätten, ausgerechnet die Israelis hätten das Schiff ihrer Freunde angegriffen und keine Überlebenden hinterlassen, wäre dies völlig unglaubwürdig gewesen.
Das Motiv der US-Eliten: 1967 wateten die GIs tief im indochinesischen Morast. Die weltweite Parole der prosowjetischen Befreiungsbewegungen hieß: «Schafft ein, zwei, viele Vietnam» – sie hofften auf einen Domino-Effekt. Es sah nicht gut aus für die USA. Andererseits stand Israel kurz davor, Nuklearmacht zu werden. Die Hardliner in Washington dachten, der jüdische Staat könnte in dieser Situation ein wertvoller Verbündeter sein. Tatsächlich wurde die erste israelische Atombombe einen Tag vor dem Sechstagekrieg (5. bis zum 10. Juni 1967) fertig.

Umgekehrt war General Nasser der Hoffnungsträger der arabischen Welt – und der Sowjets. Tausende russische «Berater» tummelten sich in Ägypten, viele davon Militärs. Nasser wollte nicht tatenlos zusehen, wie die Israelis entgegen anderslautenden Beteuerungen zur Atommacht wurden, und deren Nuklearanlage durch einen Präventivschlag zerstören. Die Sowjets hatten den Arabern für diesen Fall nukleare Deckung angeboten – und direkte Militärhilfe. Sie wollten eigene TU 16-Bomber (in arabischer Bemalung) schicken, um der ägyptischen Luftwaffe bei der Pulverisierung von Dimona zu helfen. Aber die Zerstörung der arabischen Luftwaffen und Flughäfen bereits in den ersten Stunden des Sechstagekrieges machte diese Pläne zunichte.
So berichten das zwei israelische Journalisten und Historiker, Isabella Ginor und Gideon Remez. Wie Hounam herausfand, verfolgten aber die US-Amerikaner ein nicht weniger aggressiver Kalkül als die Sowjets. Sie wollten das Sinken der Liberty nutzen, um einen Nuklearschlag gegen Kairo zu führen – mit drei A-4 Skyhawk Bombern, die von der USS America starteten. Diese waren mit scharfen Nuklearwaffen bestückt worden – dafür gibt es nach Angaben von Peter Hounam eine wasserdichte Kette von Zeugenaussagen.
Als die Liberty aber trotz aller Bemühungen nicht sank, wurden die Kampfjets zurückbeordert – zwei Minuten vor dem Abwurf der Bomben auf die ägyptische Hauptstadt. Die Jets durften wegen der scharfen Atomwaffen nicht mehr auf dem Flugzeugträger landen und flogen nach Griechenland. Das genaue Ziel der Bomber in Kairo ist unklar, wahrscheinlich war es eine Einrichtung, die den Sowjets und Ägyptern gezeigt hätte, dass ihre Kollaboration kein Geheimnis mehr war. Dies hätte zu einer direkten Konfrontation der Supermächte, möglicherweise einer nuklearen, geführt.
Für diese allerdings hatten die verantwortlichen US-Militärs Vorsorge getroffen. Langstreckenbomber vom Typ B-52 standen zur selben Zeit mit eingegebenen Zielkoordinaten und laufenden Triebwerken rund um die Welt bereit, um mit scharfen Atomwaffen zu starten. Der schlagendste Beweis Hounams, dass der Liberty-Zwischenfall geplant war: Die «Fliegenden Festungen» waren vor dem Angriff der Israelis in Bereitschaft versetzt worden. Die US-Militärs waren also entweder hellsichtig – oder sie hatten Vorwissen.
In diesem Zusammenhang erscheint auch erstmals die Aussage McNamaras sinnvoll, dass der Sechstagekrieg einer der drei gefährlichsten Momente seiner Amtszeit gewesen sei. Offiziell waren die USA ja überhaupt nicht involviert. Dies alles gehörte zur Operation Cyanide (Operation Blausäure). Auch die USS Liberty hatte im Tresor des Kapitäns einen Umschlag mit dieser Beschriftung. Die Israelis waren eingeweiht, wie der hochrangige Mossad-Agent Rafi Eitan im «Dead in the Water»-Interview bestätigt (nach dieser Aussage brach er das Gespräch ab). Geplant war auch ein Treffen der Liberty mit einem amerikanischen U-Boot. Der Treffpunkt war in einer Karte eingezeichnet, die an Bord der Liberty gefunden wurde.
Schlüsselagent Angleton
Wozu sollte dieses Treffen dienen? Welches U-Boot folgte der USS Liberty? Was hat es während des Angriffs getan? Es gibt Zeugenaussagen, wonach dieses U-Boot über seine Periskop-Kamera den Angriff auf die Liberty filmte und diese Aufnahmen später unter US-Militärs gezeigt wurde.
Hounam fand weitere Indizien und Zeugen für eine direkte militärische Intervention zugunsten der Israelis, so sollen zum Beispiel US-Phantoms mit falschen Kennzeichen Aufklärungseinsätze geflogen haben. Er traf außer dem einen Zeugen aus mobilen Fotolabors der Amerikaner, die versteckt in der Wüste arbeiteten. Aus neutraler Freundschaft war also eine damals noch geheime militärische Allianz geworden.
Es gibt diverse Kandidaten, die an der Planung der Operation Cyanide beteiligt gewesen sein könnten. Der vermutlich wichtigste ist James Jesus Angleton, der paranoide Gegenspionageschef der CIA, der einst vom KGB-Maulwurf Kim Philby getäuscht worden war und stets an eine gigantische sowjetische Verschwörung glaubte (mehr zu Angleton und seine Verstrickung in den Kennedy-Mord lesen Sie in COMPACT-Geschichte «Geheime Geschichte».
Zu dieser vermeintlichen Verschwörung gehörten nach Angletons Meinung neben einem Maulwurf in der CIA-Führung unter anderem Willy Brandt, Olof Palme und Henry Kissinger. Angleton war ab 1951 auch CIA Verbindungsmann zum Mossad. Es gibt ein Denkmal für ihn in Tel Aviv mit der Aufschrift: «Unserem Freund». Für welche Verdienste soll er damit gewürdigt werden?
Unser Autor Dirk Pohlmann (*1959) arbeitete als Dokumentarfilmer für ARTE und ZDF mit dem Schwerpunkt Geheimoperationen im Kalten Krieg. Seit 2016 erscheinen Beiträge von ihm regelmäßig in deutschen Alternativmedien, so auch in COMPACT.
Von der USS Liberty und der Operation Cynide bis zum Gaza- und dem Iran-Krieg: Die Rücksichtslosigkeit des israelischen Militärs bei der Durchsetzung seiner Ziele, auch unter der aktuellen politischen Führung, verdeutlichen wir in unserer Juli-Ausgabe mit dem Titelthema «Der Brandstifter – Wie Netanjahu die Welt anzündet». Das lesen Sie im Mainstream nicht! Hier bestellen.