Sacha Korn war über viele Jahre im etablierten Musik-Business unterwegs. Am Vorabend des COMPACT-Sommerfests (hier anmelden) spielt er ein exklusives Konzert für die Besucher. Nachfolgend erklärt er, warum er erst ins Ausland reisen musste, um den wahren Wert der deutschen Kultur zu erkennen.  Seine CDs können Sie hier erwerben – Shirts und Aufnäher gibt es hier.

    _ von Sacha Korn

    Im Jahr 2000, gerade vom Gitarrenstudium aus den USA wieder nach Deutschland zurückgekehrt, bewarb ich mich mit meiner damaligen Band für ein Festival in Riga, Lettland. Dieses Event sollte eine Art Popkomm für Osteuropa werden, um die dortigen Standorte international zu bewerben. Die Veranstalter nannten das Festival Forte Riga.

    Aus der ganzen Welt kamen Künstler und Bands dorthin, um die Musikszene des Landes zu promoten und Kontakte zu knüpfen. Die Auswahl für den musikalischen Beitrag aus Deutschland traf der Berliner Budde-Verlag. Budde Music ist einer der großen deutschen Indie-Musikverlage. Er produzierte Stars wie Alphaville, die mit Stücken wie „Forever Young“, oder „Big in Japan“ national wie international sehr erfolgreich waren. An den Budde-Verlag schicken wir also auch unsere Songs.

    Lässig: Sacha Korn (M.) und seine Kommilitonen in Los Angeles. | Foto: Privat

    Wir bekamen allerdings eine Absage – mit der Begründung, dass wir nicht in die deutsche Delegation passen würden sowie dem Verweis auf die Künstler, die man hinschicken wollte. Ich kannte keinen davon. Wahrscheinlich war unsere Musik nicht kommerziell genug, dachte ich mir.

    African Vibrations

    Da ich zu viel Zeit in den USA verbracht hatte, um mir wirklich eine Meinung über die aktuelle, heimatliche Musikszene und die neuesten Trends zu machen, hörte ich mir die Künstler von Budde Music an. Ich war sehr gespannt darauf, was wir besser machen könnten, um beim nächsten Mal mit von der Partie zu sein.

    Mir verschlug es fast die Sprache: Es war alles Reggae- und Weltmusik-Gedudel. Keine Ahnung, ob es musikalisch besonders schlecht war, aber es hätte einwandfrei zu Afrika gepasst. Das war also die deutsche Delegation! Hut ab! Ich konnte mich vor Lachen kaum halten und dachte, die müssen betrunken und bekifft zugleich gewesen sein, um das als „deutschen Beitrag“ zu verkaufen.

    Sacha Korn: „Ich rocke das COMPACT-Sommerfest!“

    Ich hätte eher Bands wie Rammstein, die auch in den USA erfolgreich waren, erwartet. Deren Songs musste ich an der Musik-Akademie, die ich in Amerika besuchte, sogar meinen Dozenten übersetzen. Gut, Musik und Kunst im Allgemeinen sind Geschmackssache. In der Schule hätte es aber bei der Auswahl von Budde definitiv geheißen: „Sechs, setzen! Thema verfehlt!“ Was daran Deutschland repräsentieren sollte, blieb mir schleierhaft.

    Mütterchen Russland

    Nachdem der Veranstalter von Forte Riga über einige Umwege doch an unsere Musik kam, lud er uns ein, und wir durften schließlich auf dem Festival spielen. Gleich nach dem Auftritt stellte sich mir ein Artemi Troitski vor. Er meinte, er würde mich gern in Russland promoten und brachte mich mit dem Label Soyuz Music in Kontakt, der Top-Acts wie Marilyn Manson, Motörhead, Alice Cooper oder Deep Purple in Russland vermarktet. Mit den Leuten der Firma bin ich auch heute noch gut befreundet.

    Soyuz Music war damals unter anderem Lizenznehmer des Katalogs von Warner Music (die beispielsweise Madonna unter Vertrag hatten) und hatte mehrere eigene Musikgeschäfte über das ganze Land verteilt, ähnlich dem Prinzip von WOM seinerzeit in Deutschland. Troitski war der Musik-Journalist in Russland schlechthin und verfügte über beste internationale Kontakte.

    Er organsierte unter anderem das erste Benefiz-Konzert in der Sowjetunion 1986, um Geld für die Opfer der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu sammeln. Sogar die New York Times berichtete über ihn. Mir war er damals aber überhaupt nicht bekannt. Bei Soyuz erhielten wir schließlich auch unseren ersten Plattenvertrag, nachdem wir von Budde Music quasi vor die Tür gesetzt worden waren, weil wir offenbar nicht genug nach Jamaica klangen. Wie absurd, dachte ich mir!

    Alles, was wir am ersten Abend mit den Russen besprachen, kam mir ganz normal vor. Nichts gekünstelt, kein Um-die-Ecke-denken, keine kopierten Identitäten. Im Gegenteil: In Moskau war man begeistert von der Neuen Deutsche Welle der 1980er Jahre, und wir tauschten uns großartig über die gemeinsamen musikalischen Eindrücke und Einflüsse aus. Abends im Restaurant gab es sowjetische Lieder. Einige kannte ich noch aus der DDR, in der ich aufgewachsen war.

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    „Unsre Heimat, das sind nicht nur die Städte und Dörfer…“

    In dem Augenblick wurde mir warm ums Herz, ich bekam heimatliche Gefühle. Welche Lieder man wohl in Deutschland singen würde? Die DDR und mit ihr all die Pionierlieder, die ich kannte, gab es nicht mehr. Sie waren einfach verschwunden aus der öffentlichen Wahrnehmung. Und im Westen waren sie schon gar nicht bekannt.

    Aber was trat an deren Stelle? Welche Lieder oder Volkslieder würden wir singen können, alle zusammen? Gibt es eigentlich einen TV-Sender oder eine überregionale Zeitung, die neue Lieder für die Gesamtdeutschen promoten würden? Wie deutlich anders die Situation in Deutschland war, sollte ich noch am eigenen Leib erfahren.

    Immer noch verwirrt von meiner Begegnung mit einem großen, deutschen Musikverlag, redete ich mir ein, dass es wohl eine Ausnahme mit dessen Auswahl gewesen sein musste. Unser Album kam in Russland gut an. Ein halbes Jahr später flog ich wieder nach Moskau, um mein Geld abholen – und um mich eine Woche durch sämtliche legalen und illegalen Clubs der russischen Hauptstadt zu saufen, Mädels kennenzulernen und noch mehr russische Volkslieder hören. An die anderen deutschen Bands von Budde Music verschwendete ich keinen Gedanken mehr.

    Es blieb bei mir nur der Eindruck hängen, dass sie und ihr Verlag versuchten, irgendetwas darzustellen, um „weltoffen“ rüber zu kommen. So drückten sie es mir gegenüber auch aus. Mich ließ das derart irritiert zurück, dass ich, wohl unbewusst, anfing, immer intensiver über meine eigene Identität nachzudenken. Vielleicht verstand ich meine Heimat nur noch nicht richtig. Vielleicht musste ich nur erstmal richtig ankommen.

    Gitarrenunterricht bei Mike Stern, der zum Ensemble von Jazz-Legende Miles Davis gehörte. | Foto: Autor

    Proud Americans

    Schon zuvor hatte ich mit den USA ein Land kennengelernt, das unterschiedliche Kulturen beheimatet, aber doch irgendwo immer noch einen gemeinsamen Nenner fand, unter dem sich alle einreihten. Das hat mir imponiert. Und jeder Einzelne, den ich dort traf, arbeitete hart daran, sein Geld zu verdienen und sein Leben selbst zu meistern.

    Auch in Russland schien der Untergang der Sowjetunion nicht dazu geführt zu haben, dass die Menschen dort ihre eigene Identität verloren – man sang weiterhin gemeinsam russische Lieder.

    Das Land schüttelte seine kommunistische Vergangenheit ab und nahm Kurs auf eine neue Zeit. Bei allen Verwerfungen, blieb ein russisches Herz erhalten – ein russisches Herz mit all seinen Liedern, Gedichten und Menschen.

    Nur in Deutschland schien sich für mich irgendwie alles geändert zu haben, ja, aus den Fugen geraten zu sein. Mir fiel immer noch kein einziges Lied ein, das kein Kinderlied war und das alle Deutschen kannten, das alle Erwachsenen zusammen abends in der Kneipe singen konnten. Unsere Nationalhymne…

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    Ja, aber es gab ja eigentlich sogar zwei! Und die eine war ja auch „verboten“. Aber war sie überhaupt verboten? Die DDR-Hymne fand ich schöner, jeder im Osten kannte sie, auch wenn die SED deren Text aus der Öffentlichkeit verbannt hatte – wegen der Textzeile „Deutschland einig Vaterland“.

    Also lernten wir den Text natürlich extra auswendig und sangen ihn manchmal beim Fahnenappell mit. Sehr zum Ärger der Parteibonzen an der Schule. Gerade in der Wendezeit bekam unsere alte Hymne mit ihrem Text eine große Bedeutung im Widerstand. Und der Ausspruch „Wir sind das Volk“ leitet sich auch daher ab.

    Der Aufenthalt in den USA und die Begegnung mit den Russen öffneten dieses Fenster der Erinnerung an meine Erlebnisse Ende der 1980er Jahre. Ich grübelte und spürte, dass etwas nicht stimmte im neuen Deutschland. Ich konnte einfach nicht erkennen, welche Identität unsere gesamtdeutsche Kultur eigentlich hatte. Zu der Zeit war ich aber davon überzeugt, dass sich das noch entwickeln würde. Vielleicht waren sie einfach noch alle durcheinander, so kurz nach der Wiedervereinigung.

    Billige Kopien

    Die kommenden Wochen und Monate verbrachte ich damit, Texte über meine Suche zu schreiben. Was mir immer wieder übel aufstieß, war das Eins-zu-Eins-Kopieren von fremden Identitäten, wie ich es bei den Budde-Künstlern erlebt hatte. So etwas war mir vorher noch nie untergekommen. Ich war regelrecht angewidert und geschockt von dem Verhalten, angesichts der stolzen Vergangenheit dieses großen deutschen Musikverlags. Mir kam das wie eine Beleidigung aller authentischen Künstler in Deutschland vor.

    In den USA gab es die schwarzen Hip-Hopper, die in ihrem Jargon sprachen und auch sangen, rappten. Am Ende des Tages waren sie aber alle Amerikaner und stolz auf ihre Fahne und die Nation. Jeder baute das in seine Kunst mit ein, egal in welchem Genre er unterwegs war, und somit hatten alle ihre eigene, aber amerikanische Identität.

    Bei den Künstlern des Berliner Verlags war aber alles anders: Angefangen beim Aussehen über die vielen Anglizismen (dabei war ihr English grottenschlecht! Wir unterhielten uns mit Musikjournalisten usw. während des Festivals in Riga auf Englisch), bis hin zum Habitus. Es waren alles billige Kopien.

    Ich fand es absolut lächerlich, deutsche, weiße Menschen zu sehen, die offensichtlich gern jemand anders sein wollten und sich dabei auch noch verdammt cool vorkamen. Noch viel erschreckender war, dass es Produzenten, Labels und Verlage gab, die diesen Quatsch auch noch promoteten. Daran hat sich bis heute nicht viel geändert. Doch: Wer kauft das denen denn noch ab?!

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