Abgewählt: Christian Lindner, seit mehr als zehn Jahren Chef der FDP, zieht sich aus der Politik zurück. Die Ampel-Jahre hatten auch seinem persönlichen Ansehen massiv geschadet. Den Niedergang seiner Partei zeichnen wir nach im COMPACT-Sonderheft „Die Altparteien – Wie sie uns belügen und betrügen.“ Hier mehr erfahren.
6. November 2024: Nur wenige Stunden nach Donald Trumps fulminanten Wahlsieg in Amerika tritt in Berlin der Koalitionsausschuss zusammen. Bei der Ampel hängt der Haussegen schief. SPD-Kanzler Olaf Scholz besteht auf einem Überschreitungsbeschluss für den Haushalt 2025. Hinter dem Begriff steckt eine Außerkraftsetzung der grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse, die der Bundestag in Zeiten außergewöhnlicher Notlagen beschließen kann. Der Streit um diese Frage sollte wenig später ausufern.
Entscheidende Stunden
Scholz begründet seine Vorgehensweise mit Hilfen in Höhe von drei Milliarden Euro, die die Ukraine brauche, um über den Winter zu kommen. Der grüne Wirtschaftsminister Robert Habeck unterstützt Scholz, will neue Schulden machen und die Steuern erhöhen. FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner besteht hingegen auf der schwarzen Null. Er hat das Bundesverfassungsgericht auf seiner Seite, das 2023 solchen Tricksereien einen Riegel vorgeschoben hatte.
Gegen 19:15 Uhr schlägt Lindner Neuwahlen vor – bietet aber an, den anstehenden Haushalt noch gemeinsam zu verabschieden. So hätte eine sanfte Scheidung aussehen können, doch irgendjemand aus der Runde will es schmutzig und sticht das Lindner-Angebot an die Bild durch, die es um 20:03 Uhr hinausposaunt.
Das gibt dem Kanzler den Vorwand, Lindner umgehend zu feuern. Um 21:15 Uhr verkündet er schließlich das Koalitionsende vor laufenden Kameras. Dass es ein Ende mit Schrecken statt Schrecken ohne Ende gibt, ist unzweifelhaft das Verdienst des Liberalen. Doch ansonsten waren die Fußstapfen von Persönlichkeiten wie Theodor Heuss, Thomas Dehler oder Hans-Dietrich Genscher nicht nur eine, sondern zwei oder drei Nummern zu groß für ihn. Jetzt, nach der Wahlpleite am vergangenen Sonntag, ist für ihn Feierabend.
Frühe Jahre
Was bleibt von Christian Lindner, 1979 in Wuppertal? Aufgewachsen ist der Sohn eines Oberstudienrats in Wermelskirchen, einer Kleinstadt bei Köln. Seine Leidenschaft für Politik hatte er bereits in der Schulzeit entdeckt.
Mit 16 Jahren trat er der FDP bei, von 1996 bis 1998 war er Landesvorsitzender des Schülerverbands der Freien Demokraten in Nordrhein-Westfalen und Vorstandsmitglied der Jungen Liberalen NRW. Nach dem Abitur leistete Lindner Zivildienst als Hausmeister in der Theodor-Heuss-Akademie der Friedrich-Naumann-Stiftung in Gummersbach. Zur Bundeswehr wollte er nach eigener Aussage nicht, weil er sonst seine bereits als 18-Jähriger begonnene Tätigkeit als Unternehmensberater und Stromhändler nicht hätte fortsetzen können. Die Entscheidung widerrief er später, als er sich als Reserveoffizier bei der Luftwaffe bewarb. Er führt heute den Dienstgrad Major der Reserve.
1999 bis 2006 studierte Lindner Politikwissenschaft, Öffentliches Recht und Philosophie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Abschluss: Magister Artium. Zugleich diente er nicht nur beim Militär, sondern gründete im Mai 2000 mit drei weiteren Partnern die Internetfirma Moomax. Doch schon nach gut einem Jahr ging der Laden bankrott. Mit dem Misserfolg ging Lindner offen um. Bei einer Veranstaltung an der Universität Frankfurt 2016 sagte er: „Ich habe zwei Unternehmen gegründet. Das eine war erfolgreich – und das andere war lehrreich.“
Rein in den Bundestag – und wieder raus!
Im Jahr 2000 wurde er als jüngster Abgeordneter für die FDP in den nordrhein-westfälischen Landtag gewählt, 2005 hatte er es zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gebracht, ab 2007 gehörte er dem Parteivorstand der Freien Demokraten an, nach der Bundestagswahl 2009 war er Generalsekretär der Liberalen und bezog sein Büro im Berliner Thomas Dehler-Haus (heute Hans-Dietrich-Genscher-Haus), der FDP-Parteizentrale.
Doch schon Ende 2011 legte er das Amt nieder, 2012 ging er zunächst zurück nach NRW und wurde dort im selben Jahr zum Fraktionsvorsitzenden im Düsseldorfer Landtag gewählt. Nachdem die FDP bei der Bundestagswahl 2013 aus dem Parlament geflogen war, bewarb sich Lindner schließlich für den Parteivorsitz – erfolgreich.
Als Chef führte er die Liberalen dann 2017 zurück in den Bundestag. Nach vierwöchigen Sondierungsgesprächen für eine Jamaika-Koalition aus CDU, Grünen und FDP erklärte er die Verhandlungen im November 2017 für gescheitert. Die Entscheidung zum Ausstieg begründete er damals mit dem Satz, der ihm später noch um die Ohren fliegen sollte: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.“
Hatte die FDP tatsächlich wieder einen Vorsitzenden, der sich an liberale Prinzipien hält und diese nicht auf dem Altar der Macht opfert? Las man sein im selben Jahr veröffentlichtes Buch Schattenjahre, konnte man durchaus diesen Eindruck gewinnen. Lindner schreibt darin, dass ihm schon als Generalsekretär ein „Update der klassischen FDP“ vorgeschwebt habe, deren Spektrum einst „von Otto Graf Lambsdorff über Hans-Dietrich Genscher bis hin zu Gerhart Baum“ reichte.
In seinem Buch suggeriert Lindner, dass er aus den Fehlern gelernt habe, die die FDP in der schwarz-gelben Koalition von 2009 bis 2013, vor allem bei der sogenannten Euro-Rettungspolitik, begangen hat. Er schreibt: „Liberal ist es daher nicht, wenn Banken ihre Gewinne privatisieren, ihre Risiken aber gleichzeitig von Staaten absichern lassen. Es ist eher die Perversion davon.“
„Das passiert mir nie wieder“
Im Rückblick auf die Verhandlungen, die 2009 zur schwarz-gelben Koalition führten, betont Lindner immer wieder, wie wichtig es gewesen wäre, eine eigene liberale Duftmarke zu setzen. Diese Chance sei aber vertan worden. Es sei ein Fehler gewesen, vieles schweigend zuzulassen, was liberalen Grundsätzen diametral entgegengestanden habe.
„Ich habe mir geschworen: Das passiert mir nie wieder“, so der FDP-Politiker. Es gebe eine Grenze, ab der die politische Politik an der Spitze ihre Glaubwürdigkeit verliere. „Wenn sie über schritten ist, dann ist es besser, von Bord zu gehen.“ Genau das hat Lindner im November 2024 getan – allerdings viel zu spät.
Der Schaden, den die Ampelkoalition in den drei Jahren ihres Bestehens angerichtet hat, ist mindestens genauso groß wie der bei der Euro-Rettung. Wirklich auf die Bremse getreten sind die Liberalen nie – und eigene Akzente konnte man auch nicht setzen. Wenn man bedenkt, dass das bekannteste FDP-Projekt in der Ampel ein Gesetz ihres Justizministers Marco Buschmann war, das es jedem erlaubt, einmal im Jahr auf dem Papier sein Geschlecht zu wechseln, ist das eine peinliche Bilanz.
Wie die FDP in früheren Jahren tickte und wie sie sich dann immer weiter vom Volkswillen entfernte, zeigen wir auf im COMPACT-Spezial „Die Altparteien – Wie sie uns belügen und betrügen“. Hier bestellen.