Der Spiegel ist in heller Aufregung: „Unter jungen Menschen ist die AfD zu wählen zunehmend normal.“ Die Polit-Illustrierte kommt mit einer großen Titelgeschichte daher. COMPACT hat diese Thematik schon Ende 2019 aufgegriffen. Unsere Ausgabe „Ich bin rechts. Jungwähler schocken Altparteien“ ist noch erhältlich. Hier mehr erfahren.
Altparteien und Medien leiden. Die AfD wird immer stärker und gewinnt vor allen Dingen unter Jugendlichen an Zuspruch. Besorgt fragt der Spiegel: „Ist der Zeitgeist junger Menschen jetzt rechts?“ – Was das behäbige Blatt hier analysieren möchte, hat COMPACT schon vor Jahren hinterfragt. In der Ausgabe „Ich bin rechts“ schrieb Jürgen Elsässer beispielsweise:
„Mit Nationalismus hat das für die Teenager gar nichts zu tun – es ist ein Lebensgefühl, und wenn Linke und Grüne nicht so hysterisch volksfeindlich und antinational wären, könnten sie diese Jugend vielleicht sogar erreichen. So bleibt denen nur die Wahl der AfD – die einzige Kraft, die noch als Opposition wahrgenommen wird und den Menschen, vor allem im Osten, Stolz vermittelt. Pointiert könnte man sagen: Die Politisierung dieser Heranwachsenden verläuft nicht via Partei, sondern via Party. Seriöser ausgedrückt: Nicht die Theorie, sondern die Gemeinschaft verbindet. Auch der Sport, vor allem der Kampfsport, spielt eine größere Rolle als jede Programmatik.“
Und weiter: „Das Leben selbst hat in der Jugend im Osten eine rebellische Haltung herausgebildet: Man tendiert nicht vom Kopf her, sondern aus dem Bauch heraus nach rechts – weil man fühlt, dass die eigene Kultur und der eigene Lebensstil von Linken und Fremden bedroht werden.“
In eben dieser Ausgabe analysiert der heutige COMPACT-TV-Chef Paul Klemm darüber hinaus: „Die AfD-Vertreter des alten weißen Griesgrams? Allzu oft wurde ihr dieser Stempel von den Etablierten aufgedrückt. Man wollte die Opposition verbittert und ewiggestrig aussehen lassen. Doch: Es waren zuletzt vor allem die Jungen, die rechts wählten. Überhaupt gab es nur eine einzige Alterskohorte, bei der die blaue Alternative nicht zum Spitzenreiter aufsteigen konnte: Wähler jenseits der 60.
Die Tonangeber der öffentlichen Meinung hatten im Nachhinein alle Hände voll zu tun, dieses überraschend jugendliche AfD-Ergebnis politisch einzuordnen – passte es doch so gar nicht zu jenem klischeehaften Bild eines Gesellschaftskonfliktes, das sie in ihren Analysen und Feuilletons immer wieder gezeichnet hatten.
In den Denkschablonen vieler Journalisten sieht dieser Antagonismus so aus: der alte, wütende Wendeverlierer und Pegida-Gänger mit Gartenzwergsammlung und Dackelzüchtermentalität versus die junge, hochgebildete Klimaaktivistin, die fünf Sprachen fließend spricht und Flüchtlingen die moralischen Werte der offenen Gesellschaft näherbringt.
Der AfD-Erfolg ist aber nicht bildungs- sondern auch milieuabhängig. An den bundesdeutschen Unis floriert eine Kultur, in der FCK AFD-Sticker genauso zum guten Ton gehören wie das Tragen von Jutebeuteln, Haremshosen und Filzlocken oder die Angewohnheit, seinen Hund mit in die Vorlesung zu schleppen. Im ländlichen und halburbanen Raum dagegen herrschen vielerorts noch konservative Wertmaßstäbe. Örtliche Vereine, ob Faschings- oder Fußballklubs, lehren Kameradschaft, auf Kirchweih- oder Erntefesten wird Tradition gelebt.
Es ist jener Gegensatz, den der französische Philosoph Christophe Guilluy als ‚Zentrum gegen Peripherie‘ beschrieben hat. Der Konflikt verläuft entlang von Werten und Milieus, kurz: Fragen der Identität. Für viele Wähler über 60 ist das Fernsehen noch immer der alleinige Zugang zum Weltgeschehen, Wahlen sind eine Gewohnheitssache, der man so parteitreu wie gewissenhaft nachkommt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk legt komplexe Probleme leicht verständlich dar und deutet sie im Sinne des Systems. Er gaukelt Menschen, die altersbedingt im engsten Umfeld bleiben und kaum noch wissen, wie sich etwa deutsche Großstädte verändert haben, mit rührigen Telenovelas eine heile Welt vor.
Die jüngeren Generationen bekommen über das Internet sehr viel eher eine Ahnung davon, wie schnell und wie radikal sich unsere Lebenswirklichkeit in den nächsten Jahren wandeln wird – und wie gefährdet die Gemeinschaften sind, die sie jetzt noch als Orte des Glücks und der Geborgenheit erleben.
Den eigentlichen Grenzverlauf könnte man mit dem englischen Publizisten David Goodhart entlang der Kategorien ‚Somewheres‘ (regional Verortete) und ‚Anywheres‘ (Kosmopoliten) vermessen. Es geht also um Werte, Lebensgefühle und Milieus, um die Frage, in was für einem Land wir in Zukunft leben möchten: in einem Deutschland, dass das Land der Deutschen geblieben ist, oder in einem multikulturellen Vielvölkerstaat. Kurz, es geht um die Frage der Identität.
Mit der AfD und dem patriotischen Widerstandsmilieu hat sich die historisch möglicherweise letzte Chance auf echte Veränderung ergeben. Es ist deswegen auch eine Fehlannahme, dass junge Wähler lediglich aus Unzufriedenheit und Protest rechts wählen. Vor allem Thüringens AfD-Vorsitzender Höcke ließ nie einen Zweifel daran, dass er mehr will als ein bloßes Zurück zur alten Bundesrepublik der Adenauer-Ära.“
Paul Klemms Fazit im damaligen Beitrag: „Junge Menschen wählen nicht trotz, sondern wegen deren rechter Positionen die AfD. Das gute AfD-Ergebnis bei den unter 30-Jährigen ist somit Geschenk und Auftrag zugleich. Jetzt muss die selbst ernannte Alternative aufpassen, dass sie dieses jugendliche, widerständige Potenzial nicht durch allzu routiniertes Polit-Gehabe leichtsinnig verspielt.“
Die denkwürdige COMPACT-Ausgabe „Ich bin rechts. Jungwähler schocken Altparteien“ demonstriert dem Spiegel, wie eine tiefgründe Analyse funktioniert. Sichern Sie sich dieses Heft am besten heute noch. Hier bestellen.