Seit 467 Tagen dauert der jüngste Krieg zwischen Israel und den Palästinensern, insbesondere der im Gaza-Streifen regierenden Hamas, bereits an. Doch in wenigen Tagen könnten die Waffen endlich schweigen: Unter Vermittlung von Katar und Ägypten wurde ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt, das ab Sonntag für zunächst sechs Wochen gelten soll. Vorgesehen ist die schrittweise Herausgabe der israelischen Geiseln durch die Hamas, während Israel palästinensische Gefangene freilässt und sich aus dem besetzten Gaza-Streifen zurückzieht. Der Zeitpunkt der Waffenruhe, wenige Tage vor dem Amtsantritt von Donald Trump, ist kein Zufall. In unserer Dezember-Ausgabe mit dem Titelthema „Geheimplan für Deutschland“ zeigen wir, warum Joe Biden im Nahen Osten unter Druck stand und nicht warten wollte, bis der neue Präsident das Ruder in der Hand hat. Hier mehr erfahren.

    50.000 Palästinenser, ganz überwiegend Zivilisten, darunter zahllose Kinder, verloren seit dem israelischen Einmarsch in Gaza ihr Leben, weit über 100.000 Palästinenser sind (zum Teil schwer) verletzt. Auf der Gegenseite wurden etwa 1.200 israelische Zivilisten durch den Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 getötet, über 400 IDF-Soldaten verloren ihr Leben im Rahmen der israelischen Gaza-Offensive. Der Gaza-Streifen selber ist nur noch eine Trümmerwüste, fast kein Haus blieb von den israelischen Angriffen und Kampfhandlungen verschont, über die Hälfte der 2,1 Millionen Bewohner von Gaza sind auf der Flucht, haben sich größtenteils in den Süden, in Richtung des zu Ägypten führenden Grenzüberganges Rafah, begeben. All dieses unvorstellbare Leid und anhaltende Blutvergießen könnte in Kürze beendet sein, wenn ab Sonntag tatsächlich die Waffen schweigen und das Waffenstillstandsabkommen von beiden Seiten umgesetzt wird.

    Schrittweise Freilassung der Geiseln gegen Rückzug der israelischen Armee

    In einer ersten Welle sollen 33 der etwa 100 israelischen Geiseln, die sich noch in Gaza befinden, gegen mehrere hundert palästinensische Gefangenen, die teils seit vielen Jahren in israelischen Kerkern einsitzen, getauscht werden. Zudem, und das dürfte aus palästinensischer Sicht das zentrale Element des Übereinkommens sein, soll sich die israelische Armee schrittweise aus dem Gaza-Streifen zurückziehen, beginnend im Süden, aus dem sogenannten Philadelphi-Korridor im Grenzgebiet zu Ägypten. Nach Ablauf der Waffenruhe von sechs Wochen sind neue Verhandlungen zur Übergabe weiterer Geiseln im Tausch gegen eine dauerhafte Waffenruhe geplant, wobei in den ersten Schritten israelische Zivilisten freigelassen werden, während die Herausgabe von IDF-Soldaten, quasi als letztes Faustpfand der Hamas, zum Abschluss des Übereinkommens vorgesehen ist. Anschließend soll der Wiederaufbau des Gaza-Streifens mit internationaler Hilfe beginnen. Sofern die Umsetzung des Abkommens nicht bereits vorher torpediert wird.

    Jubel in Gaza, scharfe Kritik israelischer Nationalisten

    Als sich am Dienstagnachmittag die Nachricht des Waffenstillstandsabkommens verbreitete, war der Jubel in Gaza – und auch anderen Teilen der arabischen Welt – groß: Tausende strömten auf die Straßen (oder das, was noch von ihnen übrig geblieben ist) und feierten, lobten in Sprechchören die Hamas und mit ihr verbündete Organisationen. Trotz der Ankündigung des israelischen Präsidenten Benjamin Netanjahu, die Hamas im aktuellen Krieg vernichtend zu schlagen, besteht die Gruppe weiter und wird auch in Zukunft die politische Macht in Gaza ausüben. Zwar ist die Hamas geschwächt, hat prominente Mitglieder und Anführer verloren, allen voran Hamas-Chef Jihia al-Sinwar, doch der Krieg hat eine neue Generation von Palästinensern radikalisiert, welche die Reihen der Hamas bald wieder schließen werden. Genau deshalb hält sich die Begeisterung über die geplante Waffenruhe in Teilen der israelischen Öffentlichkeit, insbesondere unter den nationalistischen Parteien, in Grenzen: Während es breite Proteste gab, mit denen gefordert wurde, durch einen Geisel-Deal endlich Frieden zu schaffen und die Gefangenen zu befreien, wollen die nationalistischen Parteien nicht nur die Hamas ausschalten, sondern Gaza dauerhaft besetzen und besiedeln. Sie werten den Waffenstillstand als Niederlage und fordern eine Fortsetzung des Krieges, bis zum endgültigen Sieg über das palästinensische Volk, was wohl mit der Vertreibung desgleichen verbunden wäre.

    Netanjahu, der es Dank Kriegszustand und seiner Notstandsregierung geschafft hatte, alle Korruptionsskandale und gegen ihn gerichteten Ermittlungen auszusitzen, weiß, dass seine politische Karriere nach Kriegsende schnell beendet sein dürfte. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Waffenstillstandsvereinbarung auf den letzten Metern entweder noch aufgekündigt werden könnte oder in der Umsetzung faktisch scheitert, indem Israel seine Angriffe auf Gaza fortsetzt.

    Kein Zufall: Waffenruhe soll einen Tag vor Trumps Amtsantritt beginnen

    Der Zeitpunkt der Waffenruhe, die am Tag vor Trumps Amtsantritt beginnen soll, ist kein Zufall: Donald Trump hatte bereits im Präsidentschaftswahlkampf eine Herausgabe der Geiseln, sowie eine anschließende Waffenruhe gefordert und im üblichen Tonfall gepoltert, ansonsten würde im Nahen Osten „die Hölle losbrechen“, womit offenbar ein amerikanisches Eingreifen in den Konflikt gemeint war, was eine Kettenreaktion in der Region ausgelöst und die Auseinandersetzungen verschärft hätte. Offenbar hielt sich das Interesse an dieser weiteren Verschärfung sowohl bei der Hamas, als aber auch bei Israel, in Grenzen, so dass plötzlich ein Deal ausgehandelt werden konnte – auch für Israel wäre nicht absehbar, wie die Reaktion bei einem direkten Eingreifens der USA in den Konflikt aussehen könnte, gerade im Hinblick auf Israels iranischen Erzfeind, der diesen Schritt mutmaßlich nicht schulterzuckend hingenommen hätte.

    Schwere Zerstörungen in der Stadt Chan Yunis im Süden des Gaza-Streifens nach einem israelischen Luftangriff vom 10. Oktober 2023. Foto: Anas Mohammed I Shutterstock.com.

    Nach Ende des Krieges in Gaza droht neue Konfrontation mit dem Iran

    Sollte der Krieg in Gaza tatsächlich beendet werden, haben sich die politischen Realitäten im Nahen Osten seit Kriegsbeginn stark verändert: Die Hamas ist geschwächt, wird sich aber im Laufe der Zeit erholen können. Auch die Hisbollah im Libanon hat im Krieg mit Israel zahlreiche Rückschläge hinnehmen müssen, nicht nur den Tod ihres Anführers Hassan Nasrallah, sondern auch den Rückzug aus Syrien. Mit dem Putsch gegen Assad verloren der Libanon und Iran den direkten Zugriff auf einen israelischen Nachbarn, die „Achse des Widerstandes“ eines ihrer Kernmitglieder. Stattdessen stehen sich in Syrien nun verschiedenste Machtinteressen gegenüber, die in einer weiteren Zersplitterung des Landes und einer Fortführung des Bürgerkrieges (an dem mehr ausländische Mächte beteiligt sind, als syrische Bürger selber) enden dürften – aus israelischer Sicht ist das freilich sehr zu begrüßen, denn je mehr sich die israelischen Nachbarn zersplittern, desto besser die israelische Position. Ganz abgesehen davon, dass der Traum von „Groß-Israel“ neu auflebt und die israelische Armee selber Teile des syrischen Territoriums annektiert hat, sogar bis wenige Kilometer vor der Hauptstadt Damaskus. Israel ist somit zukünftig in der komfortablen Situation, keine handlungsfähigen Gegner in seiner Nachbarn fürchten zu müssen, alle Akteure sind militärisch stark geschwächt. Somit kann die gesamte Aufmerksamkeit auf den Hauptfeind Iran, sowie die mit ihm verbündeten Huthis im Jemen, gelenkt werden. Gut möglich, dass die nächste israelische Aggression bereits vorbereitet wird, vielleicht wieder durch einen direkten Angriff auf den Iran. Oder in Form von Terroranschlägen, wie im Juli 2024 durch den Sprengstoffanschlag auf den politischen Hamas-Anführer Ismail Hanija in Teheran. So oder so: Der Nahe Osten wird nicht zur Ruhe kommen und vor allem Israel wird keine Ruhe geben.

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