500 Jahre Bauernkrieg: Schon ab Mitte des 15. Jahrhunderts wurde Deutschland von Unruhen erschüttert. Hirtenpropheten verkündeten ein neues Reich Gottes, Verschwörer und Bauern entwickelten Visionen einer neuen Welt. Hundert Jahre später wurde aus den Aufständen ein Flächenbrand, der sich auch gegen den Klerus richtete. In unserer Juni-Ausgabe mit dem Titelthema «Der letzte Papst» beleuchten wir die Schattenseiten der Kirche. Hier mehr erfahren.

    _ von Alain Felkel

    Am 24. März 1476 geschah im Ort Niklashausen im Taubertal (etwa auf halber Strecke zwischen Nürnberg und Heilbronn) etwas Ungewöhnliches. Vor der Kapelle des kleinen Ortes sammelte sich eine Menschenmenge um einen Jüngling auf einem riesigen, umgestürzten Fass.

    Der Halbstarke gebärdete sich wie toll. Er redete sich in Rage und predigte mit Inbrunst das Wort Gottes. Jeder kannte ihn. Er war kein Priester, sondern Viehhirte und hieß Hans Böhm. Bisher hatte er nur auf sich aufmerksam gemacht, indem er bei Kirchweihen gleichzeitig Einhandpauke und Flöte spielte.

    Der Pauker von Niklashausen

    Was war in ihn gefahren, plötzlich das Wort Gottes zu verkünden? Die Antwort, die Hans Böhm den Verwunderten gab, war verblüffend einfach: eine Vision. Im Traum war ihm die Heilige Jungfrau Maria erschienen. Sie hatte ihn ermahnt, von seinem sündigen Treiben zu lassen, die gesellschaftlichen Missstände anzuprangern und in bester chiliastischer Tradition die Ankunft eines neuen Gottesreiches zu verkünden. Die Antwort überzeugte die Menge, zumal der Pauker das Gesagte in die Tat umsetzte und als Symbol seiner inneren Wandlung sein Schlaginstrument verbrannte.

    Hirtenprediger: Hans Böhm, der „Pauker von Niklashausen“, auf einer Darstellung von 1493. Foto: Hartmann Schedel, CC0, Wikimedia Commons

    Dann predigte er vom Zorn Gottes gegen die sittlich verkommene Priesterschaft. Unverblümt rief er zum rücksichtslosen Kampf gegen den Klerus auf. Tollkühn verneinte er den Machtanspruch des Papstes, Gottes Stellvertreter auf Erden zu sein. Scharf griff er die weltlichen Autoritäten wie Fürsten und Adelige an. Er forderte seine Zuhörer dazu auf, die Obrigkeit abzuschaffen und sämtliche Steuerabgaben an kirchliche und weltliche Grundherren zu verweigern.

    Der rasende Rundumschlag des Paukers traf mitten in die Seele der Unterdrückten und erreichte die Herzen der Massen. Das Programm des Paukers wurde immer kühner, seine Predigten radikaler:

    «Die Geistlichen haben viele Pfründen, das soll nicht sein. Sie sollen nicht mehr haben als von Mal zu Mal. Sie werden erschlagen, und in Kürze wird es dazu kommen, dass der Priester sein kahles Haupt mit der Hand bedecken möchte, damit man ihn nicht erkennt. (…) Es kommt noch dazu, dass die Fürsten und Herren um einen Taglohn arbeiten müssen (…).»

    Reden wie diese verbreiteten sich wie ein Lauffeuer. Binnen weniger Tage liefen dem Pauker Tausende Bauern aus allen Teilen Deutschlands zu, bis ungefähr 40.000 in Niklashausen versammelt waren. Hans Böhm wurde zum Idol der Massen, zum Messias der Armen. Seine Vision einer nahenden Endzeit versprach der Mehrheit der Bevölkerung nicht nur Erlösung im Jenseits, sondern auch auf Erden. Seine Worte begeisterten Handwerker, Bergknappen, Bauern und Leibeigene, aber auch Ritter und kleine Kaufleute. Die verzückte Volksmasse solidarisierte sich. Alle begrüßten sich nur noch mit «Bruder» oder «Schwester».

    Jeden Tag vollbrachte der Hirtenprophet Wunder an Körper und Seele. Doch der Pauker von Niklashausen sah sich nicht als Wunderheiler, sondern als Revolutionär. Immer dringlicher forderte er, das Unrechtsregime von Fürsten und Klerus ein für allemal zu beenden.

    Ein derartiges Treiben konnte die Obrigkeit nicht länger tolerieren. Als die Predigten immer aufrührerischer wurden, ließ der Fürstbischof von Würzburg den Hirtenpropheten in einer Nacht- und Nebelaktion verhaften. Die Häscher verbrachten den Pauker in einen Kerker nach Würzburg, wo er nach sieben Tagen schwerster Folter öffentlich auf dem Schottenanger hingerichtet wurde.

    Damit hatte der Aufstand seine Seele verloren, was jedoch das Volk nicht daran hinderte, aus Niklashausen eine Wallfahrtsstätte und aus dem Pauker einen Heiligen zu machen. Die Obrigkeit unterband dies schnell. Erst durch Verbot der Wallfahrt, dann durch Einebnung der Kapelle und schließlich mithilfe einer Schrecklegende, die aus Hans Böhm einen trivialen Verführer der Massen machte. Mit dem Tod des Paukers von Niklashausen waren jedoch nicht seine revolutionären Ideen gestorben.

    Die Bundschuh-Bewegung

    Die Prophezeiung des Paukers von Niklashausen sollte bald wahr werden. 1493 versammelten sich in Schlettstadt im Elsass 110 Verschwörer, um gegen das ungerechte und undurchsichtige Rechtssystem, die hohen Steuern und die dadurch entstandene Verschuldung aufzubegehren. Ihre wichtigsten Programmpunkte waren die Vertreibung der Wucherer, ein vollkommener Schuldenerlass, die Aufhebung von Zoll, Ungeld und anderer Lasten.

    Der Plan der Verschwörer sah mehrere Etappen vor. Zum Fanal der Erhebung hatten sie die Einnahme Schlettstadts vorgesehen, dann wollten sie die Klöster- und Stadtkassen beschlagnahmen. Anschließend sollte sich der Aufstand ins ganze Elsass ausbreiten. Doch dazu kam es nicht. Noch bevor der Aufstand ausbrechen konnte, wurde er verraten.

    Die Anführer Ullmann und Hanser wurden hingerichtet, doch die Untergrundbewegung lebte weiter, denn: ein einst leibeigener Bauer namens Joß Fritz griff das Verschwörungsprinzip auf. Mittels geheimer Treffen spann er das konspirative Netz weiter, dessen Symbol landesweit die Bundschuhfahne wurde. Inhaltlich griff Joß Fritz auf die chiliastische Prophezeiung des Paukers zurück. Unablässig verkündete er während der Geheimtreffen seinen Anhängern die Ankunft eines gerechteren Reiches Gottes, das mit den Unrechtsverhältnissen ein für allemal aufräumen werde.

    Unter seiner Führung fanden am Oberrhein in den folgenden Jahren allein drei Bundschuh-Verschwörungen statt: 1502 in Speyer, 1503 in Lehen und 1517 am Oberrhein. Aber die Aufständischen begingen Fehler. Leichtsinn und Verrat machten es dem Adel leicht, die aufflackernden Revolten im Keim zu ersticken. Dutzende der Verschwörer wurden gefoltert und fielen dem Richtschwert zum Opfer. Nur einer wurde nie gefasst: Joß Fritz, der König des Untergrunds.

    Jedes Mal sah sich der Bauernführer genötigt zu fliehen, jedes Mal erschien er mehrere Jahre später wieder, um neuen Aufruhr anzuzetteln. Als Untergrundkämpfer war Joß Fritz hartnäckig, zäh und listenreich. So schuf er während der Vorbereitung seines dritten Aufstandes 1517 durch gezielten Einsatz des fahrenden Volkes ein überregionales Verschwörungsnetz, auf welches die aufständischen Bauern noch im Großen Deutschen Bauernkrieg 1525 zurückgriffen. Dank kursierender Flugschriften wurde er schon zu Lebzeiten zur Legende. Ihm war es vergönnt, seine Saat aufgehen zu sehen. 1525 erlebte er noch den Ausbruch des Bauernkriegs mit, dann starb er.

    Der Arme Konrad

    Der Bundschuh von Joß Fritz war nicht die einzige Bauernbewegung, die den Herrschenden Anfang des 16. Jahrhunderts gefährlich wurde. Verschwenderische Hofhaltung und Misswirtschaft führten in Württemberg während der Herrschaft Herzog Ulrichs dazu, dass das Land schwer verschuldet war.

    Da die Städte die Einführung einer neuen Vermögenssteuer verhinderten, verfiel die Finanzverwaltung auf einen verhängnisvollen Trick. Statt wie üblich die Steuern zu erhöhen, griff sie zu einer Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel. Diese wurde nicht durch eine direkte Preis- oder Steuererhöhung umgesetzt, sondern mittels der Einführung falscher Gewichte und Maße, die um den geforderten Steuerbetrag vermindert wurden. Der Schwindel flog auf und sorgte im Land für große Empörung.

    Es war ein bettelarmer Bursche aus Beutelsbach (bei Stuttgart) − der Gaispeter −, der den Aufstand entfachte. Vor einer aufgebrachten Menschenmenge unterzog er die falschen Gewichtssteine einfach einem Gottesurteil:

    «Wann der Herrschaft Fürnehmen recht und billig, so werden die Stain emporschwimmen; sei dann ihr, der Bauern Vorhaben recht, so werden sie zu Boden fallen und sich nicht mehr sehen lassen!»

    Den Ausgang dieses vermeintlichen Gottesurteils kann man sich denken. Das Beispiel des Gaispeters machte innerhalb Württembergs Schule. Bald befand sich das ganze Remstal nahe Stuttgart im Aufstand, war kein Herr mehr vor den aufgebrachten Bauern und Ackerbürgern sicher. Die Aufständischen nannten sich selbst «Armer Konrad» oder «Armer Kunz» − also «Jedermann», und übten so viel Druck auf Herzog Ulrich aus, dass dieser einlenkte.

    Die Zusage des Herzogs, die Gewichts- und Maßverminderung aufzuheben, kam genauso zu spät wie das Versprechen, eine Untersuchung der Beschwerden durchzuführen und den Landtag einzuberufen. Es war eine verzweifelte Maßnahme.

    Als Herzog Ulrich ins Remstal kam, konnte er sich nur mit Mühe vor der aufgebrachten Menge retten. Jetzt fuhr der Landesherr schwere Geschütze auf. Nur dank auswärtiger Soldtruppen gelang es ihm, nach kurzen Kämpfen den Aufstand des «Armen Konrads» niederzuschlagen. Das aufständische Schorndorf streckte die Waffen. Fast 1.800 Rebellen wurden gefangen genommen und wenig später wieder laufen gelassen. Wer von den Anführern nicht entkommen war, starb durch das Richtschwert.

    Trotzdem hatte der Aufstand von 1514 eines gezeigt: Eine Erhebung hatte gute Chancen, wenn sich Bauern und Stadtbürger überregional zusammenschlossen und ein gemeinsames Programm entwickelten. Elf Jahre sollten vergehen, bevor sich ein neuer Rebellenführer bereit fand, an die Spitze einer sowohl städtischen als auch bäuerlichen Aufstandsbewegung zu treten. Dieser Mann war Thomas Müntzer, sein revolutionäres Programm war überständisch und überregional: die Reformation.

    Die Schattenseiten der Kirche: In unserer druckfrischen Juni-Ausgabe mit dem Titelthema «Der letzte Papst − Die Kirche zwischen Himmel und Hölle» werfen wir einen Blick hinter die hohen Mauern des Vatikans und decken höchst unchristliche Seilschaften auf. Hier bestellen.

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