Die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas dreht durch. Sie sagt: „Russlands Niederlage wäre nicht schlecht, denn dann könnte es echte Veränderungen in der Gesellschaft geben.“ Behauptet wird immer, diese Leute wollen nur, dass sich Putin aus der Ukraine zurückzieht. Aber sie wollen Russland zerschlagen. Wie Kallas tickt, haben wir in der COPMACT-Ausgabe „Krieg oder Frieden“ beleuchtet. Lohnt! Hier mehr erfahren.
Eigentlich wollte sie NATO-Generalsekretärin werden, doch jetzt führt sie die Außenpolitik der Europäischen Union: Die 47-jährige Estin Kaja Kallas war die Wunschkandidatin von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, erhielt die Zustimmung des Straßburger Parlaments und trat ihr Amt am 1. Dezember an.
Innerhalb von 24 Stunden machte sie schon klar, wo ihre Prioritäten liegen – sie reiste nach Kiew. „Der erste schwere Fehler von Kaja Kallas“, titelte Die Presse aus Wien. „Die neue Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik verspricht der Ukraine jedmögliche Unterstützung für einen Sieg gegen Russland. Damit überschreitet sie ihre Kompetenzen und weckt Erwartungen, die sie enttäuschen wird.“
Fettnäpfchen-Marathon
Kallas selbst lässt sich von solcher Kritik nicht beeindrucken. Sie „isst Russen zum Frühstück“, so ein Bonmot, das ein anonymer EU-Diplomat zum Besten gegeben hat. Ende November machte sie sich mit der Unterstützung der Putschisten in Georgien wichtig, deren gewalttätige Straßenproteste sie als legitim begrüßte.
Auch mit China legte sie sich flott an: Bislang bezeichnete Brüssel die Volksrepublik immer mit dem Dreiklang „Partner, Wettbewerber und strategischer Rivale“. Kallas strich die ersten beiden Begriffe und bereitet sich wohl darauf vor, in die gleichen Fettnäpfchen wie die deutsche Außenministerin zu treten. Vor allem brachte Kallas EU-Bodentruppen für die Ukraine ins Spiel – angeblich zur Friedenssicherung nach einem Waffenstillstand. Annalena Baerbock griff die Vorlage einige Tage später auf und offerierte gleich Bundeswehrsoldaten für das wahnsinnige Vorhaben.
In der Mischung aus Unbedarftheit und Aggressivität ähneln sich die beiden Frauen. Baerbock über Kallas im März 2024, bei der Verleihung des Walter-Rathenau-Preises, im vertraulichen Duz-Ton: „Vor 36 Jahren besuchte ein 11-jähriges Mädchen namens Kaja Kallas zusammen mit ihrer Familie zum ersten Mal Berlin. (…) Du erhältst diesen Preis, weil du diese Luft der Freiheit nie als selbstverständlich angesehen hast. (…) Wir dürfen unsere Freiheit nicht als selbstverständlich ansehen. (…) Das haben die Estinnen und Esten, das hast du, liebe Kaja, viel früher verstanden als viele von uns hier im restlichen Europa, auch hier in Deutschland. Freiheit ist so wichtig wie die Luft, die wir atmen. (…) Und du sagtest mir ganz unmissverständlich, dass Deutschland eine Führungsrolle werde übernehmen müssen, wenn wir die russische Aggression stoppen wollten.“ Darf man sagen, da haben sich die beiden Richtigen gefunden?
Baerbock bezeichnete Kallas als spätes Opfer der kommunistischen Besetzung Estlands: „Was es bedeutet, als integraler Bestandteil der Sowjetunion behandelt zu werden: Für dich, (…) liebe Kaja, ist es Teil deiner Familiengeschichte.“ Doch tatsächlich ist die Sache viel komplizierter.
Geboren 1977 in der Hauptstadt Tallinn, wuchs die kleine Kaja als Tochter des einflussreichen sowjetischen Parteifunktionärs Siim Kallas auf. Ihr Vater, nicht nur führendes Mitglied der KP, sondern auch Leiter der estnischen Niederlassung der sowjetischen Sberbank, verfügte über beträchtliche Macht.
Pure Heuchelei
Die Familie führte ein Leben im Wohlstand, was zahlreiche öffentlich zugängliche Fotos belegen: weitläufige Wohnungen, luxuriöse Einrichtungsgegenstände und teure Kleidung. Diese Bilder vermitteln einen Eindruck von einem Leben im Überfluss, den sich viele Menschen in der Sowjetunion – und erst recht in den 1990er Jahren, als breite Teile der Bevölkerung in bittere Armut gestürzt wurden – niemals hätten leisten können. Kallas jedoch behauptet, sie habe als Kind auf Süßigkeiten verzichten müssen und sich stattdessen mit Sahne und Zucker begnügt. Solche rührseligen Geschichten werfen Zweifel an der Authentizität ihrer Selbstdarstellung auf.
Ihre Mutter, die als Baby nach Sibirien deportiert wurde, kehrte später nach Estland zurück – eine Erfahrung, die zweifellos die antirussische Haltung von Kaja Kallas prägte. Aber hier beginnt auch die Heuchelei: Trotz der vermeintlichen politischen Härte des sowjetischen Systems war es für sie, deren Familie im Nazi-Kollaborateure-Verdacht stand, offenbar kein Problem, mit Siim Kallas einen kommunistischen Spitzenfunktionär zu heiraten. Ihr Großvater mütterlicherseits war Mitglied des berüchtigten estnischen Terrorbataillons Omakaitse gewesen, das an den Kämpfen gegen sowjetische Partisanen und der Ausrottung der Juden beteiligt war.
Feindbild Russland
Die Karriere von Kallas wurde maßgeblich von ihrem Vater unterstützt. Siim Kallas, der nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die sogenannte Reformpartei gründete und sowohl Premierminister (2002/2003) als auch EU-Kommissar (2004 bis 2019) wurde, ebnete seiner Tochter den Weg in die Politik – ein Paradebeispiel für Nepotismus, der ansonsten als Markenzeichen Russlands angesehen wird. Sie trat 2010 in die Partei ihres Papas ein und wurde schon ein Jahr darauf Parlamentsabgeordnete.
Im EU-Parlament (2014 bis 2021) machte sich Kallas schnell einen Namen durch ihre betont harte Rhetorik gegenüber Russland, die ihr die Unterstützung der USA sicherte. Die New York Times bezeichnete sie als „Liebling amerikanischer Hardliner“, Politico als „Putin-Schreck“. In einem Interview mit der Financial Times erklärte sie: „Frieden um jeden Preis ist nicht die Lösung, denn das führt zu mehr Krieg.“
Und ihr Ehemann?
Ihre Amtszeit als Premierministerin – seit Januar 2021 in wechselnden Koalitionen – war von Fehlern und Skandalen geprägt. Ihre radikale Wirtschaftspolitik führte zu explodierenden Energiepreisen und Sparmaßnahmen, die die estnische Bevölkerung stark belasteten. Bei den EU-Wahlen im Juni 2024 landete ihre Reformpartei mit 17,9 Prozent nur noch auf Platz drei (ein Minus von 8,3 Prozent), und Umfragen im gleichen Zeitraum zeigten, dass lediglich knapp ein Viertel der Esten mit ihrer Arbeit als Regierungschefin zufrieden war.
Ein wichtiger Grund liegt in Folgendem: Zum Markenzeichen von Kallas gehört ihre beinharte Haltung in der Sanktionsfrage. Das wirkt seltsam, wenn man die Rolle ihres Ehemanns Arvo Hallik in Betracht zieht: Er importiert über seine Firma Stark Logistics aus dem sogenannten Schurkenstaat Waren wie Nickel, die auf dem Index stehen – und zahlt dafür brav Steuern in Russland. Während die estnische Bevölkerung unter den wirtschaftlichen Auswirkungen des Wirtschaftskrieges litt, florierten die Geschäfte von Kajas Gespons.
Zu Hause ist ihr Ruf ruiniert – aber sie fiel nach oben: Als EU-Kommissarin beträgt ihr Grundgehalt knapp 20.000 Euro im Monat, als estnische Ministerpräsidentin musste sie sich mit 7.300 Euro begnügen.
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