Bundestagspräsidentin Julia Klöckner nennt Deutschland den „Puff Europas“ – und trifft damit einen Nerv: Ein System, das Freiheit spielt, aber Ausbeutung ermöglicht. Das hat auch Thilo Sarrazin erkannt. In „Deutschland schafft sich ab – Die Bilanz nach 15 Jahren“ legt er den Finger in die Wunde. Lesenswert! Hier mehr erfahren.
Deutschland – der Puff Europas? Mit dieser Formulierung hat Julia Klöckner (CDU) eine Debatte losgetreten, die Politik und Medien gleichermaßen aufschreckt. Die frühere Bundesministerin sieht in der deutschen Prostitutionspolitik keinen liberalen Schutzraum, sondern einen riesigen Markt für Ausbeutung und Menschenhandel. Ihre Diagnose: Ein System, das Freiheit predigt, aber Kriminalität belohnt. Klöckner fordert die Einführung des Nordischen Modells, das heißt nicht das Verbot von Prostitution, sondern die Bestrafung der Freier. Die Frauen, die Sexdienste anbieten, bleiben bei der Strafverfolgung unbehelligt.
Problem eben nicht gelöst!
Seit 2016 ist Prostitution von staatlicher Seite nicht mehr illegal, sondern gesetzlich anerkannt – abgesichert durch das Prostitutionsgesetz. Das große Versprechen: Kriminalität rausdrängen, Arbeitsbedingungen verbessern, Prostitution in bürokratisch saubere Bahnen lenken. Plötzlich war Sexarbeit eine „Dienstleistung“, mit Lohnanspruch, Sozialversicherung und Stempel vom Amt. Der Staat erklärte: Das ist jetzt ein Beruf wie jeder andere. Problem gelöst – zumindest auf dem Papier.
Nur: In der Realität bleibt das Elend. Trotz dieser Regelungen zeigen Studien, dass viele der gefährdeten Gruppen wie zum Beispiel Zwangsprostituierte kaum erreicht werden. Wer nicht freiwillig im System steckt, fällt erst recht durch die Raster.

Die Zahl der angemeldeten Prostituierten in Deutschland ist gestiegen: Ende 2024 waren rund 32.300 Personen registriert, rund 5,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Dunkelziffer dürfte vermutlich deutlich höher sein. Von den rund 32.300 offiziell gemeldeten Prostituierten in Deutschland sind die meisten junge Erwachsene: Drei Viertel sind zwischen 21 und 44 Jahre alt, nur ein kleiner Teil jünger oder älter. Auffällig ist der Herkunftsmix: Nur 17 Prozent besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. An der Spitze stehen rumänische, bulgarische und spanische Frauen. Auch hier ist zu bedenken – es sind nur die offizielle Zahlen.
Die Kriminalstatistik spricht eine deutliche Sprache. Das BKA registrierte 2024 364 abgeschlossene Verfahren zur sexuellen Ausbeutung – der höchste Stand seit zehn Jahren. Immer häufiger findet Prostitution versteckt in Wohnungen statt: 270 Opfer wurden dort entdeckt (2023: 201). Solche Orte bleiben Behörden meist verborgen.

Insgesamt wurden 465 Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung ermittelt – überwiegend Frauen und sehr junge Personen, darunter 209 Minderjährige. Der Anteil deutscher Opfer liegt bei 23,7 Prozent, doch das ist nur die sichtbare Spitze: Deutsche Betroffene zeigen Ausbeutung häufiger an. Bei ausländischen Opfern bleibt Gewalt viel öfter unsichtbar.
Wer meint, Prostitution sei hierzulande ein normaler Job wie jeder andere, verschließt die Augen vor der Realität: Dieser Markt lebt von Armut, Druck und dem Einfluss krimineller Strukturen. Am Leben gehalten wird er von den Freiern – ohne ihre Nachfrage würde die Branche sofort kollabieren. Solange sie glauben, Anspruch auf fremde Körper zu haben, bleibt das Machtverhältnis unverändert.
Und solange der Staat Formulare herausgibt und die Gesellschaft moralisch die Augen zukneift, bleibt Prostitution ein Geschäft mit der Verzweiflung anderer. Deutschland nennt das „Dienstleistung“. Tatsächlich ist es: ein Markt, der nur funktioniert, weil jemand keine Wahl hat. In „Deutschland schafft sich ab – Die Bilanz nach 15 Jahren“ lässt Thilo Sarrazin kaum einen Bereich aus, der eine kritische Betrachtung verdient. Eine ebenso glänzende wie erschreckende Bestandsaufnahme. Hier bestellen.



