Am Montag ging im chinesischen Tianjin das Treffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit zu Ende. Manche bezeichnen die Organisation schon als „Gegen-NATO“, doch im Westen kennt sie kaum jemand. Geplant wird hier die multipolare Weltordnung von morgen. Deutschland blieb der Veranstaltung fern. Wie schwer sich der Westen geopolitisch derzeit tut, arbeiten wir auch in unserer neuen Ausgabe „Der Totengräber“ heraus. Hier mehr erfahren.

    Die meisten Deutschen haben von der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) noch nie etwas gehört. Ihre Bedeutung für die Verschiebung der politischen Machtsphären kann man allerdings kaum überschätzen. Petr Bystron, AfD-Außenpolitiker und Mitglied der ESN-Fraktion im EU-Parlament, erklärte zum Gipfel auf X: „Die Annäherung Chinas an Indien sowie die Gründung der SCO-Entwicklungsbank (BRICS-Bank) sind ein großer Schritt hin zu einer multipolaren Weltordnung.“

    Das Desinteresse aus Berlin und Brüssel zeige laut Bystron, dass man den Anschluss an die entscheidenden Entwicklungen in der Weltpolitik mehr und mehr verliere. Da, wo die Musik von morgen spielt, haben die Vertreter der Kartellparteien nichts verloren.

    Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit
    15. Gipfeltreffen Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit im Juli 2015 im russischen Ufa. Die Staatschefs der damals neu aufgenommenen Mitglieder Indien und Pakistan sind nicht auf dem Foto. Foto: Kremlin.ru, CC BY 4.0, Wikimedia Commons

    Ihre „Loyalität“ gilt den aggressiven Teilen des westlichen Establishments, die Russland und China weiter als Feinde sehen und ihre Verbündeten in der EU-Kommission und im NATO-Hauptquartier suchen. Aus Sicht des AfD-Politikers ist das Desinteresse der Merz-Regierung ein schwerer Fehler. Es liege „im Interesse Deutschlands als Exportnationen, an diesen Entwicklungen zu partizipieren“, sagt er.

    Schon im September 2022 forderte Bystron, damals außenpolitischer Sprecher der AfD im Bundestag, die Beantragung eines Beobachterstatus für Deutschland. In der Begründung des Antrags hieß es: „Der Dialogpartnerstatuts bei der SOZ ermöglicht Deutschland nicht nur einen direkten Blick auf die von der SOZ angestoßenen ökonomischen und (sicherheits)politischen Initiativen, sondern auch den unmittelbaren Gedankenaustausch mit den Teilnehmerstaaten der SOZ während der Beratungsphase zu diesen Initiativen.“

    Natürlich folgte die Bundesregierung dem Rat der AfD nicht. Ein „Gedankenaustausch“ ist bis heute nicht erwünscht. Also entsteht die multipolare Weltordnung ohne Deutschland – zum Schaden unseres Landes und unserer Wirtschaft.

    Im Osten geht die Sonne auf

    Das Treffen der Staats- und Regierungschefs in Tianjin war vor allem eine Machtdemonstration. Versammelt hatten sich aufstrebende Nationen des mittleren und ferneren Ostens sowie die sogenannten BRICS-Staaten. Das Gruppenbild zeigt: Putin, Modi, Xi und Co. sind sich näher denn je. Das Märchen vom „international isolierten“ Kreml-Herrscher darf man also getrost vergessen.

    Beim Galadinner erklärte Gastgeber Xi laut Tagesschau: „Auf diesem Gipfeltreffen haben wir eine wichtige Aufgabe: Konsens zwischen allen Parteien zu erzielen, Impulse für die Zusammenarbeit zu geben und einen Entwicklungsplan zu entwerfen.“ Man zieht also an einem Strang und macht Pläne für die Zukunft – ganz im Gegensatz zur EU, die ihren Mitgliedsstaaten eine Krise nach der anderen beschert.

    Zu den wichtigsten Ergebnissen des Gipfels zählt der Entwurf einer eigenen Zentralbank für die BRICS-Staaten und die Annäherung von China an Indien nach Jahren diplomatischer Funkstille. Geopolitische Plattenverschiebungen bahnen sich an, die deutlich machen: Die unipolare Weltordnung ist Geschichte. Eine neue Realität entsteht, die man in Berlin und Brüssel weiterhin nicht zur Kenntnis nehmen will.
    Abgesang auf das Woke-Imperium.

    Der Entwurf einer multipolaren Weltordnung, die – im Gegensatz zur US-dominierten, unipolaren Weltordnung – auf einen Ausgleich militärischer, wirtschaftlicher und politischer Stärke setzt, ist den Westextremen und ihren Strategen in NATO und EU seit jeher ein Dorn im Auge. Man bleibt dort verhaftet in der Ideologie des Kalten Krieges, will die ehemaligen Sowjet-Staaten partout nicht als Partner anerkennen.

    Den weiter laufenden Ukraine-Krieg lesen manche Kommentatoren als den Versuch, die Ausbildung dieser neuen, nicht mehr westlich dominierten Weltordnung (mit Russland und China an der Spitze) zumindest noch eine Weile aufzuschieben. Die Fratze amerikanischer Neocon-Außenpolitik scheint hier immer wieder durch.

    Zu den Ursachen des Krieges Stellung zu nehmen, dazu bot die SOZ-Konferenz eine einmalige Gelegenheit, die sich Putin nicht entgehen ließ. Den versammelten Medienvertretern erklärte er: „Diese Krise wurde nicht durch Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelöst, sondern ist das Ergebnis eines Staatsstreichs in der Ukraine, der vom Westen unterstützt und provoziert wurde.“

    Und weiter: „Russland hatte nie, hat nicht und wird niemals die Absicht haben, irgendjemanden anzugreifen.“
    Mit dem Fall der unipolaren Weltordnung geht also auch die uneingeschränkte Deutungshoheit der „westlichen“ Weltsicht baden. Das muss nicht schlecht sein.

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