In der Ukraine  tobt ein Machtkampf hinter internen Kulissen. Präsident Selenski hat die Entmachtung der von der US-Botschaft kontrollierten Anti-Korruptionsbehörden durchgesetzt, die Empörung ist gewaltig. Es kommt zu Demonstrationen. Wir setzen auf Frieden und liefern die Druschba-Silbermedaille, exklusiv bei COMPACT erhältlich. Hier mehr erfahren.

    _ von Thomas Röper

    Das ukrainische Parlament, die Rada, hat am Dienstag ein Gesetz beschlossen, mit dem das Anti-Korruptionsbüro der Ukraine (NABU) und die Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft (SAP), die bisher unabhängig von staatlichen Strukturen der Ukraine operiert haben, der ukrainischen Generalstaatsanwaltschaft unterstellt werden.

    Deutschen Medien war dieser Vorgang zunächst kaum eine Meldung wert. In den USA ist es anders, dort gab es alleine bei Bloomberg zwei Artikel über diese Vorgänge. Die Stoßrichtung war dabei, dass es nicht gut sei, wenn die „unabhängigen“ ukrainischen Anti-Korruptionsbehörden unter die Kontrolle der Generalstaatsanwaltschaft geraten würden. Auch die G7 haben den Schritt kritisiert und ihre „ernsthafte Besorgnis“ geäußert. Im Mittelpunkt der Sorge: Der Westen könne die Waffenlieferungen an Kiew wegen der in der Ukraine nun weniger kontrollierten Korruption einstellen.

    All das klingt zunächst nicht allzu spektakulär, aber der Eindruck täuscht, denn was in Kiew derzeit vorgeht, ist ein Machtkampf, bei dem Selenski und sein Büro mit sehr hohen Einsätzen spielen.

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    Für Außenstehende sind die Machtstrukturen in der Ukraine ziemlich kompliziert, zumal die Macht in diesem Land nicht wirklich gemäß der Verfassung ausgeübt wird. Die Ukraine ist laut ihrer Verfassung, wie auch Deutschland, eine parlamentarische Republik. Das bedeutet, dass das Parlament die Macht innehaben sollte. Laut ukrainischer Verfassung muss es in der Ukraine eine Regierungskoalition mit parlamentarischer Mehrheit geben, die den Ministerpräsidenten und seine Minister wählt.

    Der Präsident hat laut der ukrainischen Verfassung zwar mehr Vollmachten als der deutsche Bundespräsident, aber die ukrainische Verfassung sieht nicht vor, dass er die Regierung führt und die Politik des Landes bestimmt, obwohl es in der Ukraine in der Praxis so geschieht.

    Machtbündelung unter Poroschenko

    In meinem Buch „Das Ukraine-Kartell“ habe ich aufgezeigt, wie Präsident Poroschenko seinerzeit die Macht an sich gerissen hat. Nach 2014 gab es einen Machtkampf zwischen dem damaligen Ministerpräsidenten Jazenjuk und Präsident Poroschenko, den Letztgenannter dank der Unterstützung des damaligen US-Vizepräsidenten Biden gewinnen konnte.

    Danach hat Poroschenko die Chefs der Geheimdienste und den Generalstaatsanwalt ernannt. So hatte er die faktische Macht in der Ukraine übernommen, denn nun konnte er politische Gegner ausspionieren und bei Bedarf den Generalstaatsanwalt (auch fingierte) Strafverfahren gegen sie eröffnen lassen.

    Selenski hat dieses System bei seiner Machtübernahme 2019 übernommen. Manche werden sich an die Machtkämpfe im Sommer 2019 erinnern, denn es war Selenskis erste Maßnahme nach seinem Amtsantritt als Präsident, das Parlament aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen, weil er im Parlament eine eigene Mehrheit benötigte, um seine Kandidaten als Chefs von Geheimdiensten und Generalstaatsanwaltschaft ernennen zu können.

    Und schon bei der ersten Sitzung des neu gewählten Parlaments im August 2019 wurden seine Kandidaten bestätigt, womit er die totale Macht in der Ukraine in den Händen hatte.

    Intimfeinde: Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko (links, im Amt 2014 bis 2019) verstaatlichte die PrivatBank des Oligarchen Ihor Kolomoisky. Der setzte in der Folge auf Selenski. Foto: imago/ITAR-TASS

    Die Sache hat allerdings einen Haken, denn nach dem Maidan haben die USA de facto die Macht in der Ukraine übernommen. Schlüsselfigur dabei war der damalige US-Vizepräsident Biden, der von Präsident Obama zum Verantwortlichen für die Ukraine ernannt wurde.

    Nach dem Maidan war Bidens Mantra, man müsse die Korruption in der Ukraine bekämpfen. Dazu sollte die Zuständigkeit für Korruptionsdelikte von der Staatsanwaltschaft auf neu zu schaffende Strukturen verlegt werden. Im Ergebnis wurde 2014 das NABU gegründet. Dies ist jedoch keineswegs unabhängig, sondern es untersteht de facto der US-Botschaft in Kiew.

    Werkzeug zur Einschüchterung

    Das wird im Westen gerne verschwiegen, aber wenn das doch mal in den Medien thematisiert wurde, dann hieß es, die US-Kontrolle solle den Kampf gegen Korruption stärken und ihn den korrupten ukrainischen Behörden entziehen. Das NABU wurde danach zur Durchsetzung von US-Interessen in der Ukraine genutzt. Wer sich in der Ukraine den USA (oder ihren Vertretern) widersetzte, bekam umgehend eine Korruptionsanklage an den Hals, was zur Folge hatte, dass Eigentum schon wegen des bloßen Verdachts auf Korruption eingezogen werden konnte.

    Das NABU ist also keineswegs unabhängig, wie US-Medien behaupten, sondern es ist eines der zentralen Instrumente der US-Regierung zur Kontrolle der Ukraine, das unter Präsident Biden sehr aktiv eingesetzt wurde. Allerdings scheint Trump, im Gegensatz zu Biden, kein großes Interesse an der Ukraine zu haben, denn nach allem, was bekannt ist, nutzt er die unter Biden seit 2014 geschaffenen Instrumente nicht wirklich. Er übt seine Macht über die Ukraine nach seinen Methoden aus, also mit offenem Druck und Drohungen.

    Das Desinteresse von Trump und seinem Team ist auch die einzige Erklärung dafür, warum es von der US-Regierung bisher keine Reaktion auf die faktische Entmachtung des NABU gegeben hat.

    Druck auf Selenski

    In Kiew ist in den letzten Monaten immer offener ein Machtkampf ausgetragen worden. Dabei geht es um Andrej Jermak, den wichtigsten Mitarbeiter in Selenskis Präsidialverwaltung. Jermak wird als die graue Eminenz in der Ukraine bezeichnet und nicht wenige Experten vermuten sogar, dass in Wirklichkeit er – und nicht etwa Selenski – in der Ukraine die Macht habe.

    Allerdings gibt es in letzter Zeit immer mehr Meldungen darüber, dass die US-Regierung mit Jermak unzufrieden sei und ihn am liebsten abservieren würde. Das ist keine Eigenart der Trump-Administration, auch aus dem Biden-Team gab es immer wieder unzufriedene Äußerungen über Jermak.

    Letzte Woche habe ich einen Artikel der Financial Times übersetzt, in dem Selenski und sein Apparat dafür kritisiert wurden, dass sie zunehmend autoritär regierten und brutal gegen Kritiker vorgingen, indem der (Selenski direkt unterstellte) Geheimdienst SBU bei ihnen ohne gerichtliche Anordnung Razzien und Wohnungsdurchsuchungen durchführe. Als Vorwand würden dabei unter anderem Korruptionsvorwürfe gegen jene erhoben, die in Selenskis Umfeld über Korruption recherchieren.

    Der Artikel der Financial Times war deshalb interessant, weil über diese Vorgänge im Westen nicht berichtet wird. Der Artikel und der Zeitpunkt seiner Veröffentlichung waren sicher kein Zufall, sondern eher Teil der Kampagne, mit der die Transatlantiker Druck auf Selenski machen wollen, damit er die Finger vom NABU lässt. Genauso muss man auch die Warnung verstehen, Selenskis Vorgehen gegen das NABU könnte sogar die westlichen Waffenlieferungen gefährden.

    Aber es half nichts, denn Selenski (oder Jermak) setzt seinen Willen bisher durch, und die Rada hat das NABU am Dienstag der Generalstaatsanwaltschaft – und damit de facto Selenskis Präsidialamt – unterstellt.

    Foto: shutterstock.com/photocosmos1

    Am Montag, dem 21. Juli, führte der Selenski unterstellte ukrainische Geheimdienst SBU 70 Durchsuchungen bei Mitarbeitern des NABU durch. Der SBU meldete die Festnahme des Leiters der interregionalen Detektivabteilung der Behörde, Ruslan Magomedrasulow, und erhob Anklage in Abwesenheit gegen den Rada-Abgeordneten der in Kiew verbotenen Oppositionspartei „Plattform für das Leben“, Fjodor Christenko. Außerdem erhob das Staatliche Ermittlungsbüro Anklage gegen drei NABU-Mitarbeiter wegen eines Verkehrsunfalls. Später nahm der SBU einen weiteren Mitarbeiter des NABU wegen angeblichen Hochverrats fest.

    Das NABU erklärte, die Durchsuchungen seien ohne Gerichtsbeschluss durchgeführt worden, und es sei Gewalt gegen Magomedrasulow angewendet worden, obwohl dieser keinen Widerstand geleistet habe. Der SBU hat auch bei der Anti-Korruptionsstaatsanwaltschaft SAP eine Überprüfung begonnen. Selenski versucht seit geraumer Zeit, die Kontrolle über das NABU zu erlangen.

    „Strafmaßnahme“

    Am 23. Juni erhob das NABU Korruptionsvorwürfe gegen Alexej Tschernyschow, den damaligen stellvertretenden Ministerpräsidenten und Minister für Nationale Einheit der Ukraine, der als einflussreiche Persönlichkeit in Selenskis Umfeld gilt, was zu der nun erfolgten Eskalation des Konflikts beitrug.

    Die einflussreiche Rada-Abgeordnete Anna Skorochod erklärte in einem Interview, die groß angelegten Durchsuchungen beim NABU am 21. Juli seien von Selenskis Büroleiter Andrej Jermak initiiert worden: Auf die Frage, ob es sich dabei um eine „Erziehungsmaßnahme“ handele, antwortete die Abgeordnete:

    „Nein, das ist eine Strafmaßnahme. Seit drei bis vier Monaten kursieren Gerüchte, dass Selenskis Büro den NABU-Chef ersetzen will. Da dies nicht freiwillig geschehen konnte, muss ein Präzedenzfall geschaffen werden. Daher wird ein Präzedenzfall geschaffen, und wie wir sehen, geschieht das immer auf Grundlage der wichtigsten Paragrafen ‚Arbeit für die Russische Föderation’ und ‚nationale Sicherheit‘.“

    Der Machtkampf in der Ukraine wird längst teilweise öffentlich ausgetragen. So berichtete der Rada-Abgeordneter Dmitri Rasumkow, seine Kollegen würden Jermak als „Wladimir Selenskis Chef“ bezeichnen, und Skorochod äußerte die Meinung, Jermak suche nach einem Nachfolger für Selenski.

    Am Dienstag fand in der Rada eine Abstimmung über die Unterstellung des NABU und der SAP unter die Generalstaatsanwaltschaft statt. Dagegen protestierte das NABU in einer Erklärung, in der es hieß:

    „Das Parlament bereitet sich auf die zweite Lesung des in letzter Minute geänderten Gesetzentwurfs Nr. 12414 vor. Dieser zerstört faktisch die Unabhängigkeit der SAP und unterstellt die Aktivitäten von NABU und SAP dem Generalstaatsanwalt. (…) Sollte dieser Gesetzentwurf angenommen werden, würde der SAP-Chef nur noch eine nominelle Person sein, das NABU würde seine Unabhängigkeit verlieren und zu einer Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft werden. Die seit 2015 gemeinsam mit internationalen Partnern aufgebaute Antikorruptionsinfrastruktur der Ukraine würde zerstört.“

    Die Abstimmung in der Rada verlief turbulent. Einige Abgeordnete versuchten, die Debatte zu verhindern, indem sie das Rednerpult blockierten. Das änderte aber nichts daran, dass das Gesetz schließlich mit 263 gegen 13 Stimmen angenommen wurde.

    Kommt es zum Putsch?

    Wie nervös man in Selenskis Büro angesichts des Machtkampfes war, zeigt die Tatsache, dass das gewöhnlich sehr gut informierte ukrainische Portal strana gemeldet hat, dass die Sicherheitsvorkehrungen im Regierungsviertel in Kiew ab Montag verstärkt worden sind, weil man Widerstand des NABU gegen seine Entmachtung fürchtet. Strana zitiert eine Quelle, die am Montag bei einer Sitzung der Sicherheitsorgane teilgenommen hat. Dort heißt es:

    „Es wurde beschlossen, alle Posten rund um das Regierungsviertel so weit wie möglich zu verstärken. Die Hauptaufgabe besteht darin, NABU-Mitarbeiter daran zu hindern, in die Gebäude des Regierungsviertels einzudringen. Das wird als das Eindringen von Terroristen oder einer Person mit einer Kriegswaffe angesehen.“

    Selenski und seine Mannschaft hatten also ernsthafte Befürchtungen, das NABU könnte einen Putschversuch wagen, was angesichts der Tatsache, dass die USA hinter dem NABU stehen, auch keineswegs abwegig ist. Wäre das Interesse an der Ukraine und an dem Machtinstrument NABU in der aktuellen US-Regierung genauso groß, wie es unter der Biden-Regierung war, wäre ein von der US-Regierung unterstützter Putschversuch denkbar gewesen, zumal die USA bekanntlich beste Verbindungen in die Sicherheitsdienste und das Militär der Ukraine haben, was die Voraussetzung für erfolgreiche Putsche ist.

    Wenn man diese Ereignisse bedenkt, erscheint die von Selenski derzeit durchgeführte Regierungsumbildung in einem neuen Licht. Damit versucht Selenski (oder Jermak), loyale Kandidaten in die Regierung zu setzen und Personen, an deren Loyalität man in Selenskys Büro zweifelt, aus der Regierung zu entfernen.
    Die Gefahr für Selenski ist keineswegs gebannt, denn der Machtkampf in der Ukraine ist nicht entschieden. Erste Reaktionen zeigen, dass die EU gar nicht glücklich mit Selenskis Vorgehen ist. Die EU-Kommissarin für die EU-Erweiterung, Marta Kos, schrieb auf X:

    „Wir äußerten unsere ernsthafte Besorgnis über die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Rechtsstaatlichkeit, insbesondere über die Änderungen des NABU- und SAP-Gesetzes. Wir werden mit der Ukraine weiterhin an den notwendigen Reformen der Rechtsstaatlichkeit und den Fortschritten auf ihrem Weg in die EU arbeiten.”

    Außerdem kam es am Abend in Kiew und anderen ukrainischen Städten zu Protesten gegen das Gesetz. Zu den Demonstrationen hatte das ukrainische Zentrum zur Korruptionsbekämpfung zusammen mit Veteranen der Streitkräfte aufgerufen. Aus der Westukraine sendete der schon beim Maidan als Lieferant für die Bilder der westlichen Medien in Erscheinung getretene Internet-TV-Sender Espresso Bilder der Proteste, auf denen die Menschen Losungen wie „Das ist kein Gesetz, das ist die Kapitulation vor der Korruption“ oder „Wir können einen Maidan 2.0 organisieren! Habt Ihr Lust?“ skandierten.

    All das zeigt, dass Selenski längst nicht mehr so sicher auf seinem Stuhl sitzt, wie man von außen denken mag. In der Ukraine rumort es, und sollte sich im Westen der Daumen über Selenski senken, kann er offenbar sehr schnell aus dem Amt entfernt werden.

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