7. Mai 1915: Die Torpedierung eines Luxusschiffes mit über tausend Toten, darunter viele Amerikaner, ließ die Kriegspropaganda aufschäumen. Die USA hatten endlich einen Vorwand, um in den Weltkrieg einzutreten. Doch dass die „Lusitania“ kistenweise Munition transportierte, wurde verschwiegen. Mehr von unserem Autor lesen Sie in COMPACT-Geschichte „Die Todeslager der Amerikaner“ über den Massenmord an Deutschen auf den Rheinwiesen. Hier mehr erfahren.

    _ von Hans-Jürgen Wünschel

    „Das amerikanische Volk kann sich das Schauspiel von 100.000 deutschen Kindern, die infolge der britischen Blockade den langsamen Hungertod sterben, nicht vorstellen, aber es sieht sehr deutlich das mitleiderregende Gesicht eines kleinen Kindes vor sich, das im Wrack eines von Deutschen torpedierten Schiffes ertrinkt.“ Mit diesen Worten machte am 20. April 1915 Bernhard Dernburg von der Gesellschaft der Deutschen in New York darauf aufmerksam, welche psychologischen Wirkungen es haben könnte, wenn die neuartige deutsche U-Boot-Waffe ein Passagierschiff versenken würde.

    Kaiser Wilhelm II. auf einem Postkartenmotiv, 1915. Foto: Repro COMPACT

    Voller Sorge sprach er aus, dass vielleicht auch amerikanische Passagiere betroffen wären und damit ein Konfliktfall oder sogar der Kriegsfall zwischen Deutschland und den USA eintreten könnte. Ein solcher Fall dürfte, so Dernburg, unter keinen Umständen eintreten, die deutsch-amerikanischen Beziehungen dürften trotz des Krieges in Europa zwischen Österreich-Ungarn, Deutschland, Russland, Frankreich und Großbritannien keinen Schaden erleiden.

    Was könne man aber tun, um die drohende Gefahr abzuwenden, fragte Georg Viereck, der Vorsitzende der Gesellschaft und Herausgeber der Zeitung The Fatherland. Vom deutschen Militärattaché in den USA, Hauptmann Franz von Papen, dem späteren Reichskanzler, wusste man, dass der zum Hilfskreuzer umgebaute englische Passagierdampfer „Lusitania“ am 1. Mai 1915 aus dem New Yorker Hafen seine Heimreise antreten werde. Es galt die amerikanische Öffentlichkeit davor zu warnen, an Bord des englischen Schiffes zu gehen, denn seine militärische Bedeutung war nicht öffentlich bekannt. Doch die Warnungen kamen zu spät.

    Zeitungsinserat der deutschen Botschaft in den USA vom 22. April 1915, das vor Reisen auf den britischen Passagierschiffen warnt. Foto: CC0, Wikimedia Commons

    Die brisante Ladung

    Die Lusitania lief fahrplanmäßig aus. An Bord über 1.959 Passagiere, allerdings auch ein Freiwilligenregiment der 6th Rifles von Winnipeg, aus der kanadischen Provinz Manitoba. Sie hatte auch 3.863 Kartons mit Käse, 696 Fass Butter und 329 Kisten Schmalz gebunkert, was in den offiziellen Frachtpapieren vermerkt war.

    Doch die brisanteste Ladung wurde verschwiegen: 1.248 Kisten mit 7,5-cm-Schrapnellgranaten, 2.000 Kisten Handfeuerwaffenmunition der amerikanischen Firma Remington, 4.927 Kartons Patronen à 1.000 Schuss und 323 Ballen Schießbaumwolle. Alles Material, sogenannte Konterbande, das nach der Haager Konvention von 1909 auf einem Passagierschiff nicht transportiert werden durfte.

    Der britischen Admiralität war der Zeitpunkt des Auslaufens des Schiffes seiner Majestät bekannt. Sie ordnete wie üblich Geleitschutz durch den britischen Kreuzer „Juno“ an. Sollten beide Schiffe ihren Kurs beibehalten, war aufgrund der britischen Funkortung von deutschen U-Booten klar, daß sie die Fahrtroute deutscher U-Boote passieren würden.

    Zudem war bekannt, dass die Deutschen als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Hungerblockade der britischen Marine in der Nordsee am 1. Februar 1915 ihrerseits ohne international rechtliche Grundlage die Gewässer rings um Großbritannien und Irland einschließlich des Englischen Kanals zum Kriegsgebiet erklärten, wo künftig gegebenenfalls angetroffene Handelsschiffe ohne Vorwarnung angegriffen und versenkt werden würden.

    Churchills dubiose Rolle

    Winston Churchill, der Erste Lord der britischen Admiralität und der verantwortliche Erste Admiral, Lord John Fisher, wurden über die bevorstehende Begegnung informiert. Doch entgegen der Erwartung, eine Kursänderung anzuordnen und den drohenden Konflikt zu vermeiden, verfügte Churchill den Abzug der „Juno“. Der Grund blieb schleierhaft. Sollte bewusst in Kauf genommen werden, dass der englische Passagierdampfer mit amerikanischen Staatsbürgern an Bord von einem deutschen U-Boot versenkt würde, um damit die USA auf die Seite Großbritanniens in den Krieg zu ziehen?

    So jedenfalls die Anklage, die der englische Sunday-Times-Journalist Colin Simpson 1972 in seinem Buch „The Lusitania“ erhob. Simpson gab Churchill und Fisher die Verantwortung für die Versenkung der Lusitania, da sie für das geheime Munitionsschiff den Geleitzug abzogen. Schön früher hätte Churchill von „live bait“ gesprochen, von Lebendködern. Überdies sei die britische Marine nicht haftbar zu machen, so Churchill, wenn deutsche U-Boote durch ihre Kriegshandlungen auch amerikanische Staatsbürger bedrohten.

    Bereits am 19. Februar 1913 hatte Churchill erklärt, dass bald mit einem Krieg gegen Deutschland zu rechnen sei und deshalb die 1903 für die Schifffahrtslinie Cunard gebaute „Lusitania“ zusammen mit anderen Schiffen zu Hilfskreuzern umgebaut. Im Sommer 1913 wurde neben anderen Passagierschiffen auch die „Lusitania“ im Trockendock in Liverpool mit Munitionsmagazinen, Aufzügen und Geschützsockeln versehen.

    Winston Churchill . Foto: Yousuf Karsh / Public domain, CC0

    Wie effektiv die Umrüstung der britischen Passagierflotte geschah, zeigte sich schon am 14. August 1914, zwei Wochen nach Kriegsausbruch, als die britische „Carmania“, angeblich ein Passagierschiff, in der Höhe vor Brasilien das deutsche Passagierschiff „Kap Trafalgar“ mit seinen acht 12-Zentimeter-Geschützen beschoss und versenkte.

    Die Tatsache, dass auch die „Lusitania“ in dieser Funktion eingesetzt wurde, bestätigte nicht zuletzt der irische Historiker Patrick O’Sullivan, der 1998 in einer detaillierten Studie („Die Lusitania – Mythos und Wirklichkeit“) den eindeutigen Nachweis erbrachte, dass Munition befördert wurde. Bereits Jahrzehnte zuvor, Ende Januar 1923, hatte das New Yorker Appellationsgericht in einer Gerichtsentscheidung festgestellt, dass die „Lusitania“ Munition an Bord gehabt hatte und die Versenkung deshalb nicht als „Seeräuberverbrechen“, sondern als regelrechte Kriegshandlung angesehen werden muss.

    Verheerende Explosionen

    Ungeschützt tauchte am Vormittag des 7. Mai der englische Passagierdampfer am Horizont auf, 20 Meilen südlich von Queenstown in Irland. Die vier großen Schornsteine wurden bald von U 20 gesichtet und der Ozeanriese um 13.20 Uhr als solcher ausgemacht, was durch einen Blick in die Identifizierungsbücher „Janes Fighting Ships“ und „The Naval Annual“ möglich war. U-Boot-Kapitän Schwieger war bekannt, dass die „Lusitania“ zum Hilfskreuzer umgebaut war, welcher auch als Truppentransporter diente, ebenso wie das Schwesterschiff „Mauretania“, das zum gleichen Zeitpunkt Churchills Soldaten durch das Mittelmeer schiffte.

    Die Versenkung der „Lusitania“ in einer deutschen Darstellung. Im Hintergrund ein Rettungsschiff. Foto: Bundesarchiv, DVM 10 Bild-23-61-17 / CC-BY-SA 3.0

    Dass die „Lusitania“ zudem noch massenhaft Munition transportierte, konnte Schwieger indes nicht wissen. Um 2:35 Uhr feuerte U 20 aus einer Entfernung von 700 Metern einen Torpedo auf das Passagierschiff und traf es vor der Brücke. Kapitän Schwieger wunderte sich über die große Explosion. Später stellte sich heraus, dass der Torpedo offensichtlich die an Bord gelagerte Munition getroffen hatte. Schnell sank das Schiff und riss 1.198 Menschen in die Tiefe, darunter 128 amerikanische Staatsbürger, teilweise Prominente wie der Millionär Alfred Vanderbilt oder der Industrielle Charles Plamondon.

    Lord John Bigham Mersey, von der britischen Admiralität mit der Untersuchung des Falles bestimmt, führte nur widerwillig seinen Auftrag aus. Ihm kamen schon während der Verhandlung Zweifel an dem angeblich friedlichen Passagierschiff, auch aufgrund der Aussage von Überlebenden, dass nach dem Torpedotreffer offenbar Munition explodiert sei. Er nannte den Fall eine „verdammt schmutzige Angelegenheit“, verzichtete auf sein Honorar und bat, in Zukunft von solchen Untersuchungen verschont zu bleiben.

    Admiral Fisher fühlte sich ebenfalls nicht wohl in seiner Haut und trat bald nach dem 7. Mai 1915 zurück. Ein Jahr später schrieb er seinem deutschen Gegner, Großadmiral Tirpitz: „Ich mache Ihnen keinen Vorwurf, an Ihrer Stelle hätte ich genauso gehandelt.“

    Der Kriegseintritt der USA

    In der britischen Öffentlichkeit wurde dagegen die Versenkung des umgebauten Passagierdampfers unter dem Ruf „Rächt die Lusitania“ Anlass für die Anwerbung von Truppen: „Irishmen avenge the Lusitania. Join an Irish Regiment today!“ Der deutsche Botschafter in den USA, Graf Johann Heinrich Bernstorff, entschuldigte sich bei der US-Regierung, lehnte aber die Feststellung ab, dass die Versenkung nicht mit Kriegsrechtsbestimmungen überein gestanden habe. Die US-Regierung sah deshalb auch von einer Kriegserklärung an Deutschland ab.

    Allerdings nutzten einige US-Medien die Versenkung der „Lusitania“ für eine antideutsche Propaganda, die einen Stimmungsumschwung der bis dahin strikt auf Neutralität Wert legenden US-Öffentlichkeit beförderte, der dann im April 1917 nach dem intensivierten U-Boot-Krieg in den britischen Gewässern auch gegen die aus den USA kommende Versorgung des Inselreiches in der Kriegserklärung der USA an das Deutsche Reich mündete. Seltsamerweise wurde fast gleichzeitig Österreich-Ungarn, das in den Seekrieg keineswegs involviert war, ebenfalls der Krieg erklärt.

    _ Dr. Hans-Jürgen Wünschel (*1947) ist Historiker. Von 1975 bis 1976 war er Referent für Forschungsförderung im Kultusministerium von Rheinland-Pfalz, danach bis 1981 Referent für Grundsatzfragen der Bildungs- und Kulturpolitik in diesem Ministerium. Von 1981 bis 1982 leitete er das Büro des Kultusministers Georg Gölter (SPD). Es folgten Lehrtätigkeiten am Historischen Seminar der Universität Koblenz-Landau, zuletzt als Akademischer Direktor. Im Mai 2002 wurde er zum Professor an der Katholischen Universität Tschenstochau (Polen) ernannt. Die Arbeitsschwerpunkte unseres Autors sind deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Geschichte der USA und Landesgeschichte Rheinland-Pfalz.

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