Die Ereignisse ist Syrien haben sich zuletzt überschlagen. Inwiefern hinter den Kulissen die US-Wahl eine Rolle spielt, wird jedem klar, der unsere Dezember-Ausgabe „Geheimplan für Deutschland“ gelesen hat. Hier mehr erfahren.
Ein Konflikt in der Beduinenstadt Daraa im Frühjahr 2011 war der Zündfunke, der Syrien in Brand setzte. Obwohl Präsident Assad alle Forderungen der Bewohner erfüllte, begannen ausländische Kämpfer mit dem Schießen.
Angefangen hat es in Daraa, einer Stadt mit knapp 100.000 Einwohnern an der Grenze zu Jordanien. Obwohl Daraa eine Beduinenhochburg ist wie Homs und Hama, hat man es anfangs im Westen so dargestellt, als sei es der Beginn einer Studentenrevolte. Das war falsch, denn den Studenten ging es in Daraa wie überall in Syrien gut.
Ein Disput, der es in sich hatte
Es war ganz anders: Da war eine Gruppe Jugendlicher, fast noch Kinder, die Anfang Februar 2011 verantwortlich zeichneten für eine Aktion, bei der es zu Personen- und Sachschäden kam. Sie landeten im örtlichen Gefängnis, wo man ihnen ungut mitspielte. Es waren Tage vergangen, bis die Väter und Onkel und Scheichs einen Termin beim Bürgermeister erreicht hatten. Sie wurden vorstellig und baten: „Gebt uns unsere Söhne und Neffen zurück. Es sind Tage vergangen, sie hatten Strafe genug – und es sind Kinder, einige unter ihnen sind gerade erst sechzehn Jahre.“ Der Disput ging hin und her.

Beduinendorf nahe der Stadt Homs. Foto: Dorothea Schäfer
In dieser Gegend tragen die Beduinen traditionelle Bekleidung: den langen Kaftan und als Kopfbedeckung Kufiya, ein weißes oder farbiges Baumwolltuch, gehalten von einer meist schwarzen Baumwollkordel, dem Aqal. Außer im ganz privaten Umfeld gehört es sich nicht, sich ohne Kopfbedeckung zu zeigen; es wäre nicht ehrenvoll.
Die Kopfbedeckung ist ein Symbol für die Ehre, insbesondere die Aqal. „Gib uns unsere Kinder zurück – sie sind das Kostbarste, das wir haben. Wir ergeben uns Dir – sag, was Du willst. Und als Pfand unserer Unterwerfung geben wir unsere Ehre!“, sagten die Väter und Onkel und nahmen – welch ein Schritt! – zum Zeichen, wie ernst es ihnen war, vor dem Bürgermeister ihre Kufiyas und Aqals ab und legten sie auf seinen Schreibtisch.
Und der Bürgermeister? Der machte eine wegwerfende Geste mit dem Arm und fegte seinen Schreibtisch leer: „Weg mit diesem dreckigen Zeug…“ und mit einer Handbewegung ließ er den in Kufiyas und Aqals manifestierten Stolz der Beduinen im nächstbesten Papierkorb entsorgen. Daraufhin ging es recht heftig zu. Nicht nur auf dem Bürgermeisteramt – das ganze Städtchen Daraa probte den Aufstand.
Entschuldigung des Präsidenten
Die Kunde drang ziemlich schnell zum Präsidenten, der umgehend reagierte: Die Kinder kamen, wenn auch etwas lädiert (und wie gemunkelt wird, soll wohl auch eines gefehlt haben) umgehend aus dem Gefängnis frei. Der Bürgermeister, wie auch der ebenfalls in die Affäre verwickelte Gouverneur, wurden ihres Amtes enthoben und zur Verantwortung gezogen.
Und – geübt im Umgang mit all den Ethnien in seinem Land – schickte der Präsident seine Entschuldigung an die Väter, Onkel und Scheichs, einhergehend mit einer Einladung zum Gespräch im Präsidentenpalast. Ganz im Sinne der Beduinentraditionen hieß es in der präsidialen Nachricht: „Nur ihr und ich – keiner dazwischen!“
Kaum war die Nachricht überbracht, trafen Reisebusse aus Damaskus ein, und nicht nur die Väter, Onkel und Scheichs nahmen Platz, auch die Schulleitung, die Lehrer und der Vorstand des Jugendfreizeitheims. Der Präsident entschuldigte sich: Es hätte niemals vorkommen dürfen. Und er hörte dem zu, was ihm die Beduinen berichteten, und man diskutierte, was für die jungen Leute getan und was verbessert werden konnte. Es wurde auch erörtert, wie es überhaupt zu den Vorfällen kommen konnte – Graffiti und mutwillige Zerstörung an Gemeinschaftseigentum werden in der Region bei der jungen Generation nicht nur kaum praktiziert, sondern sind eher ziemlich unbekannt.
Die Spur führte zu einer Lehrerin, die den Jugendlichen ausführlich geschildert hatte, wie es im Westen zugeht und sie zu ihrem Tun ermutigt hatte. Von ihr hatten sie erfahren, dass dies „Revolution“ sei. Ein im gegebenen Kontext eher skurril anmutendes Detail, dem man zu jenem Zeitpunkt nicht übermäßig Aufmerksamkeit schenkte – das kam erst später, als ein anderer Zusammenhang da war.
Irgendwann dann ging es im Gespräch um Wiedergutmachung. „Was wollt ihr?“, fragte Assad. Das Entrichten von Blutgeld oder ähnlichen Wiedergutmachungen ist in Beduinenkreisen auch heute nichts Ungewöhnliches, sondern eine nützliche und heutzutage zunehmend praktizierte Technik, die Blutrache und ähnliche Dinge vermeiden hilft.
Da war Verschiedenes, das sie sich zum Teil lange schon für ihr Städtchen, für ihre Gemeinschaft, für die Familie gewünscht hatten. Der Präsident sagte: Ja. Und: Ja. Und dann kam ein merkwürdiger Wunsch, der zentrale Wunsch: Man habe aufgrund der Vorfälle derzeit das Vertrauen in die Obrigkeit verloren, man brauche Zeit und Abstand, um dieses wiedergewinnen zu können. Aus diesem Grund wolle man für einen näher zu bestimmenden Zeitrahmen keine Staatspräsenz, insbesondere keine Polizei mehr in Daraa.
Der Präsident war verblüfft: Keine Polizei? Was sei denn bei kleinkriminellen Vorfällen wie Diebstahl, Einbruch, Betrug? – „Wir schützen uns selbst“, lautete die Antwort. Und die Regelung des zeitweise nicht unerheblichen Verkehrsaufkommens an zentralen Brennpunkten der City? – „Wir regeln das selbst“. Assad zögerte: Für wie lange solle die Regelung denn gelten? Ein paar Wochen nur… Nun gut. Er gewährte auch dies.
Die Väter, Onkel und Scheichs, auch die Schulleitung, die Lehrer und der Vorstand des Jugendfreizeitheims nahmen ihre Plätze in den Bussen wieder ein und fuhren heim. Dort gab es viel zu berichten von der Reise nach Damaskus, und zunächst ließ sich alles erstaunlich gut an: Man organisierte sich selbst und es funktionierte, sogar der Straßenverkehr soll, nachdem die Beduinen die Regelung übernommen hatten, reibungsloser funktioniert haben.
„Ihr wart doch mal Krieger!“
Es waren keine zwei Wochen ins Land gegangen, da tauchten Fremde auf in Daraa. Erst einige, dann viele, und immer mehr. Zunächst aus Jordanien und dem Libanon, dann aus Saudi-Arabien und Ägypten. Erst einfach nur Fremde, die sich unter die Bevölkerung mischten: „Ihr seid doch wohl nicht zufrieden, nach all dem, was hier passiert ist! Ihr habt euch mit wenig abspeisen lassen! Schön blöd – reingefallen! Habt euch von der Regierung einwickeln lassen, typisch Beduinen – einfache Gemüter. Wann werdet ihr lernen, euch zu wehren? Lasst euch das doch nicht gefallen. Ihr wart doch mal Krieger – die Herren der Wüste! Und jetzt? Jetzt kuscht ihr!“ Daraa ist ein Grenzstädtchen ganz im Süden. Israel ist nicht weit, es sind nur 50 Kilometer Luftlinie nach Tiberias und 75 nach Nazareth.
Nach dem sogar nur 25 Kilometer entfernten Idlib auf der jordanischen Seite ist es lediglich ein Katzensprung, ein schmaler Streifen Wüste, durch den die Grenzlinie verläuft. Wer will sie kontrollieren?
Bald kamen Hunderte und Aberhunderte, darunter ein Trupp jordanischer Krimineller und Outlaws. Die syrische Regierung beschwerte sich, Jordanien entschuldigte sich, aber die Leute blieben. Man hatte ihnen Sold gegeben und sie mit Waffen ausgestattet. Auch einige Militärs aus Nachbarländern. Zwei Generäle recht unterschiedlicher Herkunft und ohne Visum wurden festgenommen. Aus Ägypten kamen Spezialistentrupps, ebenfalls besoldet. Dieselben, die bereits erfolgreich die ersten Anstöße des „Frühlings“ in Ägypten losgetreten hatten, ehe im zweiten Schritt dann die Studenten und die Jugend mobilisiert wurden.

Und dann, kurz vor Ostern 2011, ging es los: sinnlose Gewalt, Übergriffe, Schüsse, Bomben. Zwei- bis dreimal am Tag wurde von vermummten Trupps von den Dächern auf alles, was sich bewegt, gefeuert – Männer, Frauen, Kinder, Katzen, Hunde, Vieh – egal.
Dann kamen die Panzer. Jürgen Todenhöfer beschreibt in einem seiner Augenzeugenberichte, wie er selbst bei seinen Recherchen in einen solchen Kugelhagel aus dem Hinterhalt geriet. Er schildert auch, wie ihn die Menschen auf der Straße anhielten und ihm Vorwürfe machten, weil auf Druck des Westens die Panzer abgezogen wurden und seither mehrmals täglich wieder das Kreuzfeuer hemmungslos von den Dächern prasselt.
Schon bald breiteten sich die Unruhen in die umliegenden Beduinengebiete aus. Selbst in den Tiefen der Wüste schwanden die Chancen auf Frieden und Glück. Dörfer, die bisher gut zusammengelebt hatten, gerieten in Feindschaft.
Ein Beispiel: In einem sunnitischen Dorf gab es Gerede über Waffen in großen Mengen, die in ein alawitisches Dorf in der Nachbarschaft geliefert worden seien. Die betagten Scheichs aus beiden Ortschaften, die ein Leben lang freundschaftliche Beziehungen zwischen ihren Stämmen gepflegt hatten, trafen sich. „Was soll das? Wir hören schlechte Nachricht, dass ihr euch bewaffnet!“, sagt der eine. „Ja“, sagt der andere, „denn wir wissen, dass es bei euch ebenso ist.“
Und auch durch diese entlegenen Gegenden zogen die Trupps der Agitatoren. „Geht nach Homs, geht kämpfen, lasst eure Brüder nicht alleine, gemeinsam werdet ihr siegen!“
Immer wieder ziehen sie durch die Dörfer, und immer wieder finden sich junge Leute, die zum einen gern ein bisschen Geld für die Familie annehmen und zudem glauben wollen, was man ihnen erzählt: dass es ehrenvoll sei, für eine gute Sache zu kämpfen, dass es gut sei, den alten Kampfgeist ihrer Vorfahren aufleben zu lassen, dass sie gute Chancen hätten, ins Fernsehen zu kommen – nicht nur in Al Jazeera, sondern sogar ins europäische Fernsehen –, dass sie zum Ruhm ihres Stammes an der neuen Regierung beteiligt sein würden und vor allem, dass die arabischen Landsleute endlich, endlich die Leistung der Beduinen anerkennen würden…
Hilfe-Folgeschäden…
Was nützt es schon, dagegen zu halten und zu erklären, dass im Westen zwar täglich über Syrien berichtet wird, doch keiner ahnt, was es mit den Beduinen auf sich hat, mit den Agitatoren, mit der im Westen verherrlichten Splittergruppe der Exil-Opposition, die nicht mal einen Plan hat, wie es nach dem Sturz weiter gehen soll. Braucht sie auch nicht – da hilft der Westen dann sicher gerne aus.
Die oberste islamische Autorität in Syrien, Seine Exzellenz Großmufti Scheich Dr. Ahmad Badr Al-Din Hassoun sieht sich selbst als „säkularen Mufti“ und erläutert, dass sein Titel eben deshalb auch nicht „Mufti der Muslime“, sondern „Mufti von Syrien“ lautet: „Ich bin in unserem Land der Großmufti für alle Hautfarben, alle Sekten und alle Religionen – und auch der Mufti der Atheisten.“ Er hat einen römisch-katholischen Berater und einen armenischen Übersetzer. Und er hat in einem buddhistischen Tempel gebetet, ebenso wie in einer deutschen Kirche: „Ich ziehe keine Grenzen zwischen Religionen und Menschen. Ich glaube an sie alle und arbeite mit allen.“
Wir, der Westen, helfen gerne – sei es zum eigenen Vorteil, sei es aus uninformiertem Gutmenschentum. Man nenne nur ein einziges Land in der Region, wo die Folgeschäden dieser „Hilfe“ reparabel wären.
Die Lage in Syrien ist nur in der globalen Einordnung verständlich. Was die US-Wahl damit zu tun hat? Lesen Sie unsere Dezember-Ausgabe „Geheimplan für Deutschaland“. Hier bestellen.