Der Überfall auf Israel wurde der Hamas leicht gemacht: Die stärkste Grenzbefestigung der Welt war unbewacht, die kampferprobte Armee großteils abgezogen worden. Dies belegen die Recherchen von Bestsellerautor Gerhard Wisnewski. Weitere spektakuläre Hintergründe zu diesen Ereignisse und den Folgen finden Sie in unserer Ausgabe „Der Brandstifter“. Hier mehr erfahren.
_ von Gerhard Wisnewski
7. Oktober 2023, 6:30 Uhr: In der israelischen Region Eschkol, in der Nähe des Kibbuz Re‘im, ist das Supernova-Festival noch in vollem Gange. Ausgelassen tanzen junge Menschen zu elektronischen Psytrance-Klängen in den Morgen. Plötzlich ziehen gleißende Lichtpunkte über den blauen Morgenhimmel. Wenig später hört man Explosionen: Raketen. Die Musik verstummt. Bald darauf rennen die Partygäste in wilder Flucht davon: Hamas-Kämpfer sind auf Lieferwagen, Motorrädern und Quads aufgetaucht und eröffnen das Feuer.
Wieder andere sollen mit motorisierten Gleitschirmen eingeschwebt sein. Fast auf den Tag genau zum 50. Jahrestag des Beginns des Jom-Kippur-Krieges am 6. Oktober 1973 ist die radikale Palästinenser-Organisation Hamas (Harakat al-Muqawama al-Islamiya, auf Deutsch: Islamischer Widerstand) aus dem Gazastreifen ausgebrochen und hat Israel den Krieg erklärt.
Jedenfalls de facto: Etwa 260 Menschen sollen auf dem Festivalgelände getötet, weitere 100 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden sein. Unglaublich! Neben nacktem Entsetzen stellte sich die Welt die Frage: Wie war das möglich? Sogar die Bild-Zeitung wunderte sich am 7. Oktober: «Unklar ist bislang, wie die Angreifer aus dem Gazastreifen die streng geschützte Grenze überwinden konnten.» Und: «Wieso wurde das israelische Militär so überrascht?»
Hochsicherheitsknast am Mittelmeer
Tja, das ist in der Tat ein Rätsel. Denn der Gazastreifen, ein »Reservat« für Palästinenser an der Mittelmeerküste Israels, ist ja nicht irgendetwas, sondern ein «Freiluftgefängnis», sagte der Nahost-Experte Michael Lüders im Deutschlandfunk. So etwas wie das frühere West-Berlin auf nahöstlichem Boden.

Etwa 41 Kilometer lang und sechs bis zwölf Kilometer breit, hat er ungefähr die Ausdehnung des Bundeslandes Bremen und die Einwohnerzahl des früheren West-Berlins: etwa 2,2 Millionen. Die geomilitärische Lage ist aussichtslos: vor sich den Feind und im Rücken das Meer, so ähnlich wie 1940 die Engländer bei Dünkirchen. Die über 60 Kilometer langen Sperranlagen nicht zu vergessen, die den Gazastreifen umgeben. Vom Gazastreifen aus gesehen gibt es:
- nach einer etwa 1.000 Meter breiten «Risikozone» einen 100 bis 300 Meter breiten «Beobachtungsstreifen», der ausschließlich zu Fuß betreten werden darf, und zwar nur von Bauern;
- eine 100 Meter breite No-go-Zone, auf der streckenweise alle 160 Meter Wachtürme stehen;
- einen sechs Meter hohen Sicherheitszaun, manchen Quellen zufolge elektrisch;
- nach etwa 100 Metern einen weiteren sechs Meter hohen Sicherheitszaun, der auf einer Betonmauer steht, die bis zu 40 Meter in den Boden hineinreichen soll; danach folgen noch einmal Wachtürme.
(Quelle: Washington Post, 10.10.2023; barrons.com, 11.10.2003)
Hinzu kommen jede Menge Kameras, Sensoren, Radarsysteme und Kontrollräume, «um Infiltrationen aus dem Gazastreifen in israelisches Gebiet zu verhindern», zitierte der Thinktank Mena-Watch das israelische Verteidigungsministerium. «Die Barriere wird Terroristen daran hindern, aus dem Gazastreifen in unser Gebiet einzudringen», versprach einst auch der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu (israel-netz.de, 4.2.2019). Eine Seesperre wiederum «soll verhindern, dass palästinensische Terroristen aus dem Küstenstreifen über den Seeweg nach Israel gelangen».

Laut dem ehemaligen Verteidigungsminister Avigdor Lieberman ein «weltweit einzigartiges Hindernis»: Über ein Unterwasser-Sensoren-System «kann die Armee an der Meeresgrenze Schwimmer und Taucher in dem Gebiet beobachten» (israel-netz.de, 28.5.2018). Der Seeweg führt also auch nicht nach Israel. Der Flughafen von Gaza wurde schon 2001 zerbombt und ist außer Betrieb, und selbstredend haben die Palästinenser weder eine Luftwaffe noch Raketenabwehrsysteme. Neben der Kontrolle über die Land-, Luft- und Wasserwege besitzt Israel schließlich auch die Hoheit über den Luftraum, die Hoheitsgewässer sowie die Nahrungsmittel-, Wasser- und Energieversorgung des Gazastreifens.
Wo war der Mossad?
Die Sperranlagen sollten also exakt das verhindern, was am 7. Oktober 2023 geschah. «Viele Menschen in Israel sind fassungslos, dass Terroristen aus Gaza ungehindert die Grenze durchbrechen konnten» (Tagesspiegel, 9.10.2023). «Ich frage mich immer wieder, wie es möglich war, dass Terroristen einfach so mit Jeeps und Motorrädern in Israel eindringen konnten», staunte auch die deutsche Showmasterin Andrea Kiewel (Fernsehgarten), die sich bei ihrem Freund in Israel aufhielt. Sie fragt sich: «In ein Land, das seit seiner Gründung in ständiger Verteidigungsbereitschaft ist und die besten Sicherheitsapparate und Geheimdienste der Welt hat? So ein Überfall muss doch geplant gewesen sein! Wo war die Armee, wo der Mossad? Wie kann es sein, dass man unsere Soldaten im Schlaf überraschen und eiskalt umbringen kann?» (Bild, 8.10.2023)
In den Sicherheitszaun seien große Löcher geschnitten worden, erläuterte ein Bild-Reporter, sodass Hamas-Kämpfer mit Zweirädern hindurchfahren konnten; auch Bulldozer seien beteiligt gewesen. «Wir sehen, wie sich Hamas-Leute, Kämpfer der Terrororganisation, dort frei durchbewegen», sagte er zu Videos des Angriffs. «Wir sehen also, wie der Zaun bereits zerschnitten wurde…» Man könne mitverfolgen, wie Kämpfer mit Motorrädern «durch die Grenze fahren, die eigentlich bewacht werden sollte von israelischen Soldaten».
Danach seien die Hamas-Leute zunächst gar nicht auf israelisches Militär gestoßen: «…wir können uns das immer noch nicht ganz erklären, wie es soweit kommen konnte, aber wir sehen hier Militärbasen nahe der Grenze, die überrannt wurden von Hamas-Terroristen. (…) Trotz tausender Kameras, die hier installiert sind, trotz Drohnen in der Luft und trotz Soldaten, die hier eigentlich Wache stehen sollten…» («Terror-Überfall auf Israel», Bild-TV, Youtube, 7.10.2023). Des Weiteren ist das Gaza-Ghetto durchsetzt mit israelischen Spitzeln und Agenten, die jede gefährliche Entwicklung weit im Vorfeld melden würden. Mit anderen Worten: Der Gazastreifen ist für Israel ein offenes Buch und befindet sich praktisch uneingeschränkt in seiner Gewalt. Keine Maus geht hier rein oder raus, ohne dass Israel es mitbekommt.
Fragen wir deshalb einmal jemanden, der es wirklich wissen muss, nämlich die Journalistin Efrat Fenigson aus Tel Aviv, die sowohl in der israelischen Armee als auch im Nachrichtendienst tätig war:
«Ich kenne die Sicherheitsübungen, ich kenne die verschiedenen Verteidigungsebenen, und ich kenne die Einsatzkräfte am Boden», sagte sie in einem Youtube-Interview (exklusiv auf dem Kanal von Marc Friedrich, 9.10.2023): «Ich kenne die verschiedenen Divisionen, die eigentlich im Alarmzustand sein sollten und die über solche Dinge Bescheid wissen sollten.»
Hier ihr (gekürzter) Bericht: «Wir haben Berichte von Menschen, die rund um den Gazastreifen leben. Anwohner, die {am 7. Oktober} in ihren Häusern eingesperrt waren. Es hat angefangen mit vier bis fünf Stunden ohne Hilfe. Es ging bis zu acht, neun Stunden. Und manche Bewohner steckten sogar bis zu 24 Stunden in ihren Häusern fest. Niemand kam zu Hilfe, es gab keine Polizei, keine Armee, keine zivile Hilfe.

Es war wirklich erstaunlich», sagte sie. «Was passiert ist, ist sehr, sehr komisch», es gebe da «ein großes Fragezeichen: Was ist mit dem israelischen Geheimdienst los?» So habe ein Hamas-Soldat in seiner Befragung gesagt, sie hätten sich über ein Jahr vorbereitet. «Dann ist es höchst unwahrscheinlich, dass die Nachrichtendienste von Israel – der Mossad, der Schabak – nichts davon wussten», so Fenigson.
«“Es hat fünf Stunden gedauert, bis Israel angefangen hat, auf uns zu schießen“, hat er gesagt. Und das ist wahr. Da war nichts, für fünf ganze Stunden. Der Grenzzaun war komplett offen. An 15 verschiedenen Stellen, wo sie durchbrachen, und es gab keine Helikopter, keine Drohnen, keine Artillerie, nichts. (…) Der Mann, der gefasst wurde, sagte: ”Wir waren bereit mit 1.000 Soldaten. (…) Wir waren überrascht und geschockt, dass die IDF [Israel Defence Forces] nicht auf uns warteten.”»
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«Ich habe damals vor 25 Jahren nahe der Grenze zu Gaza gedient, und als ich da war, gab es kein Internet», so Fenigson. «Jetzt ist alles viel ausgeklügelter. Aber sogar damals, als ich da war, hätte eine Katze alle notwendigen Einsatzkräfte auf den Plan gerufen. Heute gibt es automatische Maschinengewehre, die auf alles schießen, was sich dem Zaun nähert. Es gibt Helikopter, Drohnen, wie ich bereits sagte, eigentlich alles. Und nichts davon hat funktioniert?»
Eine gute Frage: Es gebe Leute, die das mit Cyber-Attacken auf das Militär erklärten, aber dennoch sollten an der Grenze auch Bodentruppen sein. Überdies habe «die Hamas vor etwa drei Wochen Videomaterial veröffentlicht, in dem sie ihren genauen Plan beschreibt, wie sie nach Israel eindringen und es attackieren würde. Und einer der Reporter, der darüber berichtet hat, stellte sich die gleiche Frage wie ich: ”Wo ist der israelische Nachrichtendienst?”«
Die Verlegung der Streitkräfte
Fenigson weiter: «Viele der Streitkräfte, die das Gebiet rund um den Gazastreifen besetzten, waren in einen anderen Teil Israels verlegt worden. Das ganze Gaza-Bataillon wurde in den Bereich Samara und Judäa verlegt (…). Sie reden über 60 bis 80 Prozent der Streitkräfte, die verlegt worden waren. Es waren also viel weniger von den Verteidigungsstreitkräften da, die eigentlich in diesem Gebiet an einem normalen Tag anwesend sind. Das ist sehr, sehr komisch. Ich weiß nicht, was die Gründe dafür sind, aber ich sage Ihnen, dass es keine Chance gibt, dass die Nachrichtendienste nichts davon wussten.»
Auch eine weitere – nach eigenen Angaben – Ex-Soldatin sagte in einem Video: «Ich habe während des Gazakrieges 2014 in der Gaza-Division {der israelischen Verteidigungsstreitkräfte} gedient… Hören Sie mir zu, und hören Sie mir gut zu: Es gibt keine Möglichkeit, dass sich jemand der Grenze nähern kann, ohne dass wir davon wissen.»
Und weiter: «Die Beobachterinnen sitzen vier Stunden in ihren Bunkern und dürfen ihre Augen nicht abwenden. Sie sitzen vor dem Bildschirm. Das kann überhaupt nicht sein. Wir schauten vier Stunden lang auf den Monitor und sahen alles, was dort passierte. Es war unmöglich, überhaupt wegzuschauen. (…) Hören Sie, ich wurde nachts geweckt, als eine Taube bemerkt wurde, als sich ein Storch dem Zaun näherte, schon fast als eine Kakerlake unter dem Zaun hindurchlief. Und hier stellt sich heraus, dass sie mithilfe von Traktoren alles in aller Ruhe gemeistert haben sollen? Und es stellt sich heraus, dass keiner der 400 Leute bemerkt wurde? Ja, ich sage Ihnen: Nicht einmal eine Taube konnte unbemerkt zum Zaun fliegen (…). Es kann nur eine Möglichkeit geben: Dass jemand von innen dazu beigetragen hat.» (Telegram-Kanal efenigson).
Hilfestellung für die Hamas
Die Washington Post beschrieb am 30. Juli 2014, «wie Israel zur Gründung der Hamas beigetragen hat»: Zu einem gewissen Grad habe die islamistische Organisation «ihre Existenz dem jüdischen Staat zu verdanken». Die Hamas sei 1988 gegründet worden, aber schon mehr als ein Jahrzehnt zuvor hätten die israelischen Behörden ihren Aufstieg «aktiv ermöglicht». Natürlich wird das heute von beiden Seiten bestritten – es ist auch schon so lange her.

Heute kommt das Geld für die Hamas ja ganz woanders her – versprochen. Zum Beispiel aus Qatar. Jedenfalls bis zum 30. März 2020. Zu diesem Datum wollten die Scheichs die Unterstützung der Organisation stoppen. Und wer tauchte daraufhin in Qatar auf: der Chef des Mossad, Yossi Cohen, und der für den Gazastreifen zuständige Führungsoffizier der israelischen Streitkräfte, Herzi Halevi. Soso – und was wollten die beiden da? Ganz einfach: Sie wollten die Qatarer bitten, die Unterstützung für die Hamas fortzusetzen, also zu einer Zeit, als sich die Hamas längst als Terrororganisation entpuppt hatte. Das behaupte nicht ich, sondern der Netanjahu-Kritiker und zeitweilige Außen- und Verteidigungsminister, Avigdor Lieberman.
«In einem Gespräch mit dem Nachrichtensender Channel 12 warf Lieberman Netanjahu vor, die Qatarer ”angefleht” zu haben, die im Gazastreifen ansässige Terrorgruppe weiterhin zu unterstützen», berichtete die Times of Israel.
Denn Israel kann das natürlich nicht mehr selbst tun. «Plötzlich tritt Netanjahu als Verteidiger der Hamas auf, als sei sie eine Umweltorganisation», zitierte das Blatt Lieberman. «Das ist eine Politik der Unterwerfung unter den Terror», sagte er und fügte hinzu, dass Israel der Hamas «Schutzgeld» zahle, «um ruhig zu bleiben». Praktischerweise hält sich übrigens auch die «wichtigste Führungsfigur» der Hamas, Ismail
Haniyya, immer wieder in Qatar auf, von wo aus er die Hamas organisiert, so Wikipedia.
Aber Fakt ist nun einmal: Israel hat die Hamas nicht umsonst hochgepäppelt, sondern braucht sie als einigenden Feind. Im Angriff vom 7. Oktober bündeln sich viele Motive. Gerade jetzt ist das Land so zerrissen wie nie zuvor. Ministerpräsident Netanjahu ist in einer verzweifelten Lage: Hunderttausende gingen in den vergangenen Jahren gegen ihn auf die Straße, ihm selbst drohen zehn Jahre Haft wegen Korruption.
Aber nichts einigt die Menschen so sehr wie eine Bedrohung von außen und ein Krieg. Die Botschaft: Es gibt jetzt Wichtigeres als einen korrupten und unfähigen Ministerpräsidenten. Des Weiteren kann Netanjahu mit der Vertreibung der Palästinenser vom geschmähten Versager (und für manche: Verbrecher) zum Vater von Groß-Israel aufsteigen – inklusive Gazastreifen und anderer Palästinensergebiete…
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